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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Gin Original aus den Befreiungskriegen

Leipzigs -- die 1818 ja in: allgemeinen noch um ein besseres Deutsch gewöhnt
waren als wir heutzutage -- die Prendelschen Erlasse mit immer neuem Ver¬
gnügen gelesen haben werden.

Aber unter dieser unvollkommenen äußern, grammatischen Form liegt eine
innere, stilistische, die aufs angenehmste berührt. Da ist nichts von Kanzleistil,
nichts von würdevollem Behörden- und Kommandoton, immer findet der Ge¬
danke den schlichtesten, natürlichsten Ausdruck, immer redet der Verfasser, wie
der Volksmund redet, derb und bildlich, immer spricht er gemütlich und ver¬
traulich zur Bürgerschaft und begründet seiue Wünsche durch persönliche oder
allgemein menschliche Beobachtungen und Erfahrungen. Es sind Satze in
seineu Bekanntmachungen, die, wenn man sie aus dem Zusammenhange nimmt,
garnicht klingen, als ob sie aus deu Erlassen eines militärischen Stadtkomman¬
danten, sondern aus einer gut geschriebenen volkstümlichen Schrift jener Zeit
stammten. Schon hierin zeigt sich der ganze Mann. Freilich darf mau dabei
nicht vergessen, daß in den öffentlichen Bekanutnmchuugen damals überhaupt
noch ein menschlicherer Ton herrschte -- auch aus den Bekanntmachungen och
Leipziger Rates aus dem vorigen und noch aus dem Anfange dieses Jahr¬
hunderts klingt überall ein väterliches Zureden, Mahnen, Warnen, Belehren
heraus, kein bloßes Befehlen und Drohen --, anderseits daß eine große Zeit
mit großen Erlebnissen manches kleinlich Bureaulratische beseitigt und die
Menschen einander näher bringt; man denke an die großartig schlichte, in
ihrer Art klassische Form, in der 1870 manche unsrer Siegesdepeschen vom
französischen Kriegsschauplatze abgefaßt waren.

Nun aber vollends der Inhalt dieser Erlasse! Es ist wahr: Prendel
war ein kleiner Tyrann, er mengte sich in alles, alles wollte er persönlich
erledigen, und bisweilen trat er mit unerbittlicher Strenge auf. Aber alles,
was er anordnete, diente doch ohne Ausnahme dem Zweck, in unruhiger, ge¬
fahrvoller Zeit nach Möglichkeit für Ruhe, Sicherheit und Wohlbefinden der
Bürgerschaft und für gute Beziehungen zwischen ihr und ihren immer wechselnde"
ungebetenen Gästen zu sorgen. Alles, was er anordnete, war vernünftig,
billig, ja eigentlich selbstverständlich, bei allem hatte er die besten nud lautersten
Absichten, und bei aller Strenge und Bärbeißigkeit, die er zu Schall trügt,
verfährt er doch immer mit Welt- und Lebensklugheit und laßt, wie ein guter
Vater oder Lehrer, so viel Liebe und Menschenfreundlichkeit, jn gelegentlich
selbst so viel gute Laune durchblicken, daß ihm sicher niemand, selbst die Be¬
troffenen nicht, ernstlich böse, daß wohl alle mit seinem Regiment zufrieden
sein konnten.

Bestätigt und ergänzt wird dieses Bild durch Mitteilungen des ehe¬
maligen Leipziger Bürgermeisters Gross und durch ein Aktenstück des Leipziger
Ratsarchivs, das besonders für Prendel angelegt worden war und das die
Aufschrift trügt: ^elf., die vom hiesigen Stadteommandanten, dein Russisch


Gin Original aus den Befreiungskriegen

Leipzigs — die 1818 ja in: allgemeinen noch um ein besseres Deutsch gewöhnt
waren als wir heutzutage — die Prendelschen Erlasse mit immer neuem Ver¬
gnügen gelesen haben werden.

Aber unter dieser unvollkommenen äußern, grammatischen Form liegt eine
innere, stilistische, die aufs angenehmste berührt. Da ist nichts von Kanzleistil,
nichts von würdevollem Behörden- und Kommandoton, immer findet der Ge¬
danke den schlichtesten, natürlichsten Ausdruck, immer redet der Verfasser, wie
der Volksmund redet, derb und bildlich, immer spricht er gemütlich und ver¬
traulich zur Bürgerschaft und begründet seiue Wünsche durch persönliche oder
allgemein menschliche Beobachtungen und Erfahrungen. Es sind Satze in
seineu Bekanntmachungen, die, wenn man sie aus dem Zusammenhange nimmt,
garnicht klingen, als ob sie aus deu Erlassen eines militärischen Stadtkomman¬
danten, sondern aus einer gut geschriebenen volkstümlichen Schrift jener Zeit
stammten. Schon hierin zeigt sich der ganze Mann. Freilich darf mau dabei
nicht vergessen, daß in den öffentlichen Bekanutnmchuugen damals überhaupt
noch ein menschlicherer Ton herrschte — auch aus den Bekanntmachungen och
Leipziger Rates aus dem vorigen und noch aus dem Anfange dieses Jahr¬
hunderts klingt überall ein väterliches Zureden, Mahnen, Warnen, Belehren
heraus, kein bloßes Befehlen und Drohen —, anderseits daß eine große Zeit
mit großen Erlebnissen manches kleinlich Bureaulratische beseitigt und die
Menschen einander näher bringt; man denke an die großartig schlichte, in
ihrer Art klassische Form, in der 1870 manche unsrer Siegesdepeschen vom
französischen Kriegsschauplatze abgefaßt waren.

Nun aber vollends der Inhalt dieser Erlasse! Es ist wahr: Prendel
war ein kleiner Tyrann, er mengte sich in alles, alles wollte er persönlich
erledigen, und bisweilen trat er mit unerbittlicher Strenge auf. Aber alles,
was er anordnete, diente doch ohne Ausnahme dem Zweck, in unruhiger, ge¬
fahrvoller Zeit nach Möglichkeit für Ruhe, Sicherheit und Wohlbefinden der
Bürgerschaft und für gute Beziehungen zwischen ihr und ihren immer wechselnde»
ungebetenen Gästen zu sorgen. Alles, was er anordnete, war vernünftig,
billig, ja eigentlich selbstverständlich, bei allem hatte er die besten nud lautersten
Absichten, und bei aller Strenge und Bärbeißigkeit, die er zu Schall trügt,
verfährt er doch immer mit Welt- und Lebensklugheit und laßt, wie ein guter
Vater oder Lehrer, so viel Liebe und Menschenfreundlichkeit, jn gelegentlich
selbst so viel gute Laune durchblicken, daß ihm sicher niemand, selbst die Be¬
troffenen nicht, ernstlich böse, daß wohl alle mit seinem Regiment zufrieden
sein konnten.

Bestätigt und ergänzt wird dieses Bild durch Mitteilungen des ehe¬
maligen Leipziger Bürgermeisters Gross und durch ein Aktenstück des Leipziger
Ratsarchivs, das besonders für Prendel angelegt worden war und das die
Aufschrift trügt: ^elf., die vom hiesigen Stadteommandanten, dein Russisch


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[0514] Gin Original aus den Befreiungskriegen Leipzigs — die 1818 ja in: allgemeinen noch um ein besseres Deutsch gewöhnt waren als wir heutzutage — die Prendelschen Erlasse mit immer neuem Ver¬ gnügen gelesen haben werden. Aber unter dieser unvollkommenen äußern, grammatischen Form liegt eine innere, stilistische, die aufs angenehmste berührt. Da ist nichts von Kanzleistil, nichts von würdevollem Behörden- und Kommandoton, immer findet der Ge¬ danke den schlichtesten, natürlichsten Ausdruck, immer redet der Verfasser, wie der Volksmund redet, derb und bildlich, immer spricht er gemütlich und ver¬ traulich zur Bürgerschaft und begründet seiue Wünsche durch persönliche oder allgemein menschliche Beobachtungen und Erfahrungen. Es sind Satze in seineu Bekanntmachungen, die, wenn man sie aus dem Zusammenhange nimmt, garnicht klingen, als ob sie aus deu Erlassen eines militärischen Stadtkomman¬ danten, sondern aus einer gut geschriebenen volkstümlichen Schrift jener Zeit stammten. Schon hierin zeigt sich der ganze Mann. Freilich darf mau dabei nicht vergessen, daß in den öffentlichen Bekanutnmchuugen damals überhaupt noch ein menschlicherer Ton herrschte — auch aus den Bekanntmachungen och Leipziger Rates aus dem vorigen und noch aus dem Anfange dieses Jahr¬ hunderts klingt überall ein väterliches Zureden, Mahnen, Warnen, Belehren heraus, kein bloßes Befehlen und Drohen —, anderseits daß eine große Zeit mit großen Erlebnissen manches kleinlich Bureaulratische beseitigt und die Menschen einander näher bringt; man denke an die großartig schlichte, in ihrer Art klassische Form, in der 1870 manche unsrer Siegesdepeschen vom französischen Kriegsschauplatze abgefaßt waren. Nun aber vollends der Inhalt dieser Erlasse! Es ist wahr: Prendel war ein kleiner Tyrann, er mengte sich in alles, alles wollte er persönlich erledigen, und bisweilen trat er mit unerbittlicher Strenge auf. Aber alles, was er anordnete, diente doch ohne Ausnahme dem Zweck, in unruhiger, ge¬ fahrvoller Zeit nach Möglichkeit für Ruhe, Sicherheit und Wohlbefinden der Bürgerschaft und für gute Beziehungen zwischen ihr und ihren immer wechselnde» ungebetenen Gästen zu sorgen. Alles, was er anordnete, war vernünftig, billig, ja eigentlich selbstverständlich, bei allem hatte er die besten nud lautersten Absichten, und bei aller Strenge und Bärbeißigkeit, die er zu Schall trügt, verfährt er doch immer mit Welt- und Lebensklugheit und laßt, wie ein guter Vater oder Lehrer, so viel Liebe und Menschenfreundlichkeit, jn gelegentlich selbst so viel gute Laune durchblicken, daß ihm sicher niemand, selbst die Be¬ troffenen nicht, ernstlich böse, daß wohl alle mit seinem Regiment zufrieden sein konnten. Bestätigt und ergänzt wird dieses Bild durch Mitteilungen des ehe¬ maligen Leipziger Bürgermeisters Gross und durch ein Aktenstück des Leipziger Ratsarchivs, das besonders für Prendel angelegt worden war und das die Aufschrift trügt: ^elf., die vom hiesigen Stadteommandanten, dein Russisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/514>, abgerufen am 23.07.2024.