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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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und das; sie nicht solche Verrichtungen vorführt, die nur einen Tag dauern,
sondern darzu eine längere, doch nicht gar zu weitläufige Zeit von Nöten ist;
ferner unterscheidet sie sich auch dadurch, daß wir mehr oder weniger als fünf
Akte haben, und daß bei uns gemeiniglich mehr Personen auf der Bühne sind
als bei den Römern." Ein "Fürhang" wird erwähnt, nirgends jedoch gesagt,
daß man ihn am Schluß des Aktes habe fallen lassen.

Weit wichtiger für unser modernes Drama ist das französische Theater
gewesen, das schon frühzeitig Vorhang, Kulissen und bewegliche Dekorationen
hatte. Das auch von Lessing vielfach angeführte Werk Hedelins, des Abtes
von Anbignac, ?r"t.iWe ein tlMti'0. vom Jahre 1657, giebt uns ein deutliches
Bild von den Anschauungen der Franzosen über das Wesen des Aktes und
des Zwischenaktes. "Wir nennen -- sagt Hedelin im fünften Kapitel -- einen
Auszug den fünften Teil eines dramatischen Gedichtes, vor und nach dem sich
die Musik hören läßt und der bei uns in ungefähr >W(> Versen besteht." "Da
die Dichter, heißt es an einer andern Stelle, erkannten, daß es unmöglich
wäre für den Zuschauer, auf 1590 bis 1609 Verse Acht zu haben, ohne daß
man darüber ungeduldig und die Zeit zu lang würde, so haben sie die Chöre
beibehalten, die wegen der Musik und des Tanzes die Aufmerksamkeit der Zu¬
schauer nicht ermatteten, oder sie haben um ihrer Statt musikalische Konzerte
und andre Lustspiele der Mimen und Embolerien eingeführt. Da sie aber
endlich überlegten, wie weit die Geduld der Zuschauer ohne diese Ermunterung
zureiche, so kamen sie darin überein, das Stück in fünf Akte zu teilen." An
einer dritten Stelle wird gesagt: "Da man erkannte, daß ein Drama viele Dinge
in sich enthält, die auf der Schaubühne nicht dargestellt werden können, und
da manchmal alle Personen entfernt sein und wo anders etwas vornehmen
müssen, das auch Zeit erfordert, so hat man hierfür jene Zeit erwählt, die
die Aufzüge des Stückes von einander trennt, die früher mit dem Gesang der
Chöre, jetzt mit Nebenspielen oder der Musik zugebracht wird. Wenn wir
eine Zeit lang keine Personen auf der Bühne sehen, und die Vorstellung durch
ein andres Vergnügen unterbrochen wird, auf das wir Acht geben, so nehmen
nur diese Augenblicke gern für ganze Stunden an. Die Dichter haben also
die Zwischenzeit beibehalten, damit die Musik, die zur theatralischen Handlung
nicht gehört, diese angenehme Verführung der Zuschauer erleichtern möge."
Auf die Frage, wo der Schluß des Aufzuges einzutreten habe, antwortet
Hedelin zwar, daß die Regel des Donat, dann zu schließen, wenn keine Person
mehr auf der Bühne sei, nicht ausreiche, es müßte auch das, was dargestellt
wird, zu Ende geführt sein; aber er ist noch weit entfernt von einer inner¬
lichen Auffassung des Aktschlusses, wie die obige Definition und ihre noch
charakteristischere Begründung beweist. Es war auch hier ein Festhalten an
antiken oder vermeintlich antiken Gesetzen, die dort natürlich waren, hier zur
Unnatur und zu lästigen Fesseln wurden. Freilich gilt Hedelin mit Recht als


und das; sie nicht solche Verrichtungen vorführt, die nur einen Tag dauern,
sondern darzu eine längere, doch nicht gar zu weitläufige Zeit von Nöten ist;
ferner unterscheidet sie sich auch dadurch, daß wir mehr oder weniger als fünf
Akte haben, und daß bei uns gemeiniglich mehr Personen auf der Bühne sind
als bei den Römern." Ein „Fürhang" wird erwähnt, nirgends jedoch gesagt,
daß man ihn am Schluß des Aktes habe fallen lassen.

Weit wichtiger für unser modernes Drama ist das französische Theater
gewesen, das schon frühzeitig Vorhang, Kulissen und bewegliche Dekorationen
hatte. Das auch von Lessing vielfach angeführte Werk Hedelins, des Abtes
von Anbignac, ?r»t.iWe ein tlMti'0. vom Jahre 1657, giebt uns ein deutliches
Bild von den Anschauungen der Franzosen über das Wesen des Aktes und
des Zwischenaktes. „Wir nennen — sagt Hedelin im fünften Kapitel — einen
Auszug den fünften Teil eines dramatischen Gedichtes, vor und nach dem sich
die Musik hören läßt und der bei uns in ungefähr >W(> Versen besteht." „Da
die Dichter, heißt es an einer andern Stelle, erkannten, daß es unmöglich
wäre für den Zuschauer, auf 1590 bis 1609 Verse Acht zu haben, ohne daß
man darüber ungeduldig und die Zeit zu lang würde, so haben sie die Chöre
beibehalten, die wegen der Musik und des Tanzes die Aufmerksamkeit der Zu¬
schauer nicht ermatteten, oder sie haben um ihrer Statt musikalische Konzerte
und andre Lustspiele der Mimen und Embolerien eingeführt. Da sie aber
endlich überlegten, wie weit die Geduld der Zuschauer ohne diese Ermunterung
zureiche, so kamen sie darin überein, das Stück in fünf Akte zu teilen." An
einer dritten Stelle wird gesagt: „Da man erkannte, daß ein Drama viele Dinge
in sich enthält, die auf der Schaubühne nicht dargestellt werden können, und
da manchmal alle Personen entfernt sein und wo anders etwas vornehmen
müssen, das auch Zeit erfordert, so hat man hierfür jene Zeit erwählt, die
die Aufzüge des Stückes von einander trennt, die früher mit dem Gesang der
Chöre, jetzt mit Nebenspielen oder der Musik zugebracht wird. Wenn wir
eine Zeit lang keine Personen auf der Bühne sehen, und die Vorstellung durch
ein andres Vergnügen unterbrochen wird, auf das wir Acht geben, so nehmen
nur diese Augenblicke gern für ganze Stunden an. Die Dichter haben also
die Zwischenzeit beibehalten, damit die Musik, die zur theatralischen Handlung
nicht gehört, diese angenehme Verführung der Zuschauer erleichtern möge."
Auf die Frage, wo der Schluß des Aufzuges einzutreten habe, antwortet
Hedelin zwar, daß die Regel des Donat, dann zu schließen, wenn keine Person
mehr auf der Bühne sei, nicht ausreiche, es müßte auch das, was dargestellt
wird, zu Ende geführt sein; aber er ist noch weit entfernt von einer inner¬
lichen Auffassung des Aktschlusses, wie die obige Definition und ihre noch
charakteristischere Begründung beweist. Es war auch hier ein Festhalten an
antiken oder vermeintlich antiken Gesetzen, die dort natürlich waren, hier zur
Unnatur und zu lästigen Fesseln wurden. Freilich gilt Hedelin mit Recht als


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[0472] und das; sie nicht solche Verrichtungen vorführt, die nur einen Tag dauern, sondern darzu eine längere, doch nicht gar zu weitläufige Zeit von Nöten ist; ferner unterscheidet sie sich auch dadurch, daß wir mehr oder weniger als fünf Akte haben, und daß bei uns gemeiniglich mehr Personen auf der Bühne sind als bei den Römern." Ein „Fürhang" wird erwähnt, nirgends jedoch gesagt, daß man ihn am Schluß des Aktes habe fallen lassen. Weit wichtiger für unser modernes Drama ist das französische Theater gewesen, das schon frühzeitig Vorhang, Kulissen und bewegliche Dekorationen hatte. Das auch von Lessing vielfach angeführte Werk Hedelins, des Abtes von Anbignac, ?r»t.iWe ein tlMti'0. vom Jahre 1657, giebt uns ein deutliches Bild von den Anschauungen der Franzosen über das Wesen des Aktes und des Zwischenaktes. „Wir nennen — sagt Hedelin im fünften Kapitel — einen Auszug den fünften Teil eines dramatischen Gedichtes, vor und nach dem sich die Musik hören läßt und der bei uns in ungefähr >W(> Versen besteht." „Da die Dichter, heißt es an einer andern Stelle, erkannten, daß es unmöglich wäre für den Zuschauer, auf 1590 bis 1609 Verse Acht zu haben, ohne daß man darüber ungeduldig und die Zeit zu lang würde, so haben sie die Chöre beibehalten, die wegen der Musik und des Tanzes die Aufmerksamkeit der Zu¬ schauer nicht ermatteten, oder sie haben um ihrer Statt musikalische Konzerte und andre Lustspiele der Mimen und Embolerien eingeführt. Da sie aber endlich überlegten, wie weit die Geduld der Zuschauer ohne diese Ermunterung zureiche, so kamen sie darin überein, das Stück in fünf Akte zu teilen." An einer dritten Stelle wird gesagt: „Da man erkannte, daß ein Drama viele Dinge in sich enthält, die auf der Schaubühne nicht dargestellt werden können, und da manchmal alle Personen entfernt sein und wo anders etwas vornehmen müssen, das auch Zeit erfordert, so hat man hierfür jene Zeit erwählt, die die Aufzüge des Stückes von einander trennt, die früher mit dem Gesang der Chöre, jetzt mit Nebenspielen oder der Musik zugebracht wird. Wenn wir eine Zeit lang keine Personen auf der Bühne sehen, und die Vorstellung durch ein andres Vergnügen unterbrochen wird, auf das wir Acht geben, so nehmen nur diese Augenblicke gern für ganze Stunden an. Die Dichter haben also die Zwischenzeit beibehalten, damit die Musik, die zur theatralischen Handlung nicht gehört, diese angenehme Verführung der Zuschauer erleichtern möge." Auf die Frage, wo der Schluß des Aufzuges einzutreten habe, antwortet Hedelin zwar, daß die Regel des Donat, dann zu schließen, wenn keine Person mehr auf der Bühne sei, nicht ausreiche, es müßte auch das, was dargestellt wird, zu Ende geführt sein; aber er ist noch weit entfernt von einer inner¬ lichen Auffassung des Aktschlusses, wie die obige Definition und ihre noch charakteristischere Begründung beweist. Es war auch hier ein Festhalten an antiken oder vermeintlich antiken Gesetzen, die dort natürlich waren, hier zur Unnatur und zu lästigen Fesseln wurden. Freilich gilt Hedelin mit Recht als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/472>, abgerufen am 23.07.2024.