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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Vorhang und Drama

schließen können; Schillers Schluß kann an keiner andern Stelle, ja bei keinem
andern Worte gedacht werden.

Es ist klar, daß dieser Unterschied von großer Wichtigkeit sein muß für
deu Aufbau des Dramas, die Verteilung des Stoffes in die Akte, die Bedeutung
der Akte als Teile eines Ganzen, die Behandlung des Zwischenaktes u. a, in.
Deswegen erschien es nicht unwichtig, den Grund dieses Unterschiedes aufzu¬
suchen. Ich glaube nach eingehender Untersuchung gefunden zu haben, daß
die wirksamere Gestaltung des Aktschlusses aufs engste zusammenhängt mit
dein Zwischenaktsvvrhang. Die Gewohnheit der neuern Bühne, am Schlüsse
jedes Aktes deu Vorhang fallen zu lassen und deu Zuschauer sich selbst zurück¬
zugeben, machte den Akt zu eine" in sich abgeschlossenen Teile eines größern
Ganzen, sie erhob das .Zufällige des Schlusses zum notwendigen und schuf
eigentlich erst den Begriff unsers Aktes. Eine kurze Darlegung der Geschichte
des Aktschlusses und der Verwendung des Vorhangs wird meine Behauptung
beweisen.

Die Griechen hatten keinen Vorhang; bei den Römern sind zwei Arten
0vn Vorhang, -Mg-vain und "loin'inen, bezeugt, von denen aber nur der erste
für uns von Wichtigkeit ist. Das altiora lag während des Spiels aufge-
wickelt auf dem Boden oder eingesenkt in einer Vertiefung längs des Proszeniums.
Beim Schlüsse des Stückes wurde es in die Höhe gezogen -- also umgekehrt
wie bei uus ^, sodaß die eingewebten Figuren allmählich der Erde entstiegen
und den Vorhang selbst zu heben schienen. Sehr anschaulich vergleicht Ovid
damit das Emporwachsen der Drachensaat als Männer aus der Erde.

Ein Abschließen der Bühne dnrch den Vorhang während des Dramas
kennen auch die Römer nicht. Daher war ihnen auch der Begriff des Aufzuges
oder Aktes unbekannt. Die Einfachheit der griechischen Fabel, die in der Natur
begründete Einheit der Zeit und des Ortes machte ein Abschließen, ein Auf¬
hören innerhalb des Dramas unnötig. In gewissem Sinne könnte man die
Chorlieder der Komödie sowie das Spiel des Flötenspielers in der neuern attischen
Komödie mit der Zwischenaktsmusik des modernen Theaters vergleichen. In
der Theorie scheint die Akteinteilung von den Alexandrinern eingeführt worden zu
sein. Auch die Dramen des Plautus und Terenz habe" noch keine Einteilung
in Akte gehabt; in deu Handschriften findet sich wenigstens keine Spur davon.
Aber Cicero kennt den Begriff des Aktes, und Varro schrieb sogar ein Buch
I)o aotidus 8eLnici8, Aus Horazens Dichtkunst ist die Regel allbekannt, daß
die Tragödie nicht mehr oder weniger als fünf Akte haben soll. Donat klagt
öfters über die Schwierigkeit, die Akteinteilung bei Terenz festzustellen. Die
Regel, die er angiebt, daß der Aktschluß da einzutreten habe, wo die Bühne
leer sei, wo also in der Tragödie der Chor, in der Komödie die Flötenspieler
sich hören lassen konnten, ist deswegen sehr wichtig, weil sie bis in das vorige
Jahrhundert maßgebend geblieben ist.


Vorhang und Drama

schließen können; Schillers Schluß kann an keiner andern Stelle, ja bei keinem
andern Worte gedacht werden.

Es ist klar, daß dieser Unterschied von großer Wichtigkeit sein muß für
deu Aufbau des Dramas, die Verteilung des Stoffes in die Akte, die Bedeutung
der Akte als Teile eines Ganzen, die Behandlung des Zwischenaktes u. a, in.
Deswegen erschien es nicht unwichtig, den Grund dieses Unterschiedes aufzu¬
suchen. Ich glaube nach eingehender Untersuchung gefunden zu haben, daß
die wirksamere Gestaltung des Aktschlusses aufs engste zusammenhängt mit
dein Zwischenaktsvvrhang. Die Gewohnheit der neuern Bühne, am Schlüsse
jedes Aktes deu Vorhang fallen zu lassen und deu Zuschauer sich selbst zurück¬
zugeben, machte den Akt zu eine» in sich abgeschlossenen Teile eines größern
Ganzen, sie erhob das .Zufällige des Schlusses zum notwendigen und schuf
eigentlich erst den Begriff unsers Aktes. Eine kurze Darlegung der Geschichte
des Aktschlusses und der Verwendung des Vorhangs wird meine Behauptung
beweisen.

Die Griechen hatten keinen Vorhang; bei den Römern sind zwei Arten
0vn Vorhang, -Mg-vain und »loin'inen, bezeugt, von denen aber nur der erste
für uns von Wichtigkeit ist. Das altiora lag während des Spiels aufge-
wickelt auf dem Boden oder eingesenkt in einer Vertiefung längs des Proszeniums.
Beim Schlüsse des Stückes wurde es in die Höhe gezogen — also umgekehrt
wie bei uus ^, sodaß die eingewebten Figuren allmählich der Erde entstiegen
und den Vorhang selbst zu heben schienen. Sehr anschaulich vergleicht Ovid
damit das Emporwachsen der Drachensaat als Männer aus der Erde.

Ein Abschließen der Bühne dnrch den Vorhang während des Dramas
kennen auch die Römer nicht. Daher war ihnen auch der Begriff des Aufzuges
oder Aktes unbekannt. Die Einfachheit der griechischen Fabel, die in der Natur
begründete Einheit der Zeit und des Ortes machte ein Abschließen, ein Auf¬
hören innerhalb des Dramas unnötig. In gewissem Sinne könnte man die
Chorlieder der Komödie sowie das Spiel des Flötenspielers in der neuern attischen
Komödie mit der Zwischenaktsmusik des modernen Theaters vergleichen. In
der Theorie scheint die Akteinteilung von den Alexandrinern eingeführt worden zu
sein. Auch die Dramen des Plautus und Terenz habe» noch keine Einteilung
in Akte gehabt; in deu Handschriften findet sich wenigstens keine Spur davon.
Aber Cicero kennt den Begriff des Aktes, und Varro schrieb sogar ein Buch
I)o aotidus 8eLnici8, Aus Horazens Dichtkunst ist die Regel allbekannt, daß
die Tragödie nicht mehr oder weniger als fünf Akte haben soll. Donat klagt
öfters über die Schwierigkeit, die Akteinteilung bei Terenz festzustellen. Die
Regel, die er angiebt, daß der Aktschluß da einzutreten habe, wo die Bühne
leer sei, wo also in der Tragödie der Chor, in der Komödie die Flötenspieler
sich hören lassen konnten, ist deswegen sehr wichtig, weil sie bis in das vorige
Jahrhundert maßgebend geblieben ist.


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[0468] Vorhang und Drama schließen können; Schillers Schluß kann an keiner andern Stelle, ja bei keinem andern Worte gedacht werden. Es ist klar, daß dieser Unterschied von großer Wichtigkeit sein muß für deu Aufbau des Dramas, die Verteilung des Stoffes in die Akte, die Bedeutung der Akte als Teile eines Ganzen, die Behandlung des Zwischenaktes u. a, in. Deswegen erschien es nicht unwichtig, den Grund dieses Unterschiedes aufzu¬ suchen. Ich glaube nach eingehender Untersuchung gefunden zu haben, daß die wirksamere Gestaltung des Aktschlusses aufs engste zusammenhängt mit dein Zwischenaktsvvrhang. Die Gewohnheit der neuern Bühne, am Schlüsse jedes Aktes deu Vorhang fallen zu lassen und deu Zuschauer sich selbst zurück¬ zugeben, machte den Akt zu eine» in sich abgeschlossenen Teile eines größern Ganzen, sie erhob das .Zufällige des Schlusses zum notwendigen und schuf eigentlich erst den Begriff unsers Aktes. Eine kurze Darlegung der Geschichte des Aktschlusses und der Verwendung des Vorhangs wird meine Behauptung beweisen. Die Griechen hatten keinen Vorhang; bei den Römern sind zwei Arten 0vn Vorhang, -Mg-vain und »loin'inen, bezeugt, von denen aber nur der erste für uns von Wichtigkeit ist. Das altiora lag während des Spiels aufge- wickelt auf dem Boden oder eingesenkt in einer Vertiefung längs des Proszeniums. Beim Schlüsse des Stückes wurde es in die Höhe gezogen — also umgekehrt wie bei uus ^, sodaß die eingewebten Figuren allmählich der Erde entstiegen und den Vorhang selbst zu heben schienen. Sehr anschaulich vergleicht Ovid damit das Emporwachsen der Drachensaat als Männer aus der Erde. Ein Abschließen der Bühne dnrch den Vorhang während des Dramas kennen auch die Römer nicht. Daher war ihnen auch der Begriff des Aufzuges oder Aktes unbekannt. Die Einfachheit der griechischen Fabel, die in der Natur begründete Einheit der Zeit und des Ortes machte ein Abschließen, ein Auf¬ hören innerhalb des Dramas unnötig. In gewissem Sinne könnte man die Chorlieder der Komödie sowie das Spiel des Flötenspielers in der neuern attischen Komödie mit der Zwischenaktsmusik des modernen Theaters vergleichen. In der Theorie scheint die Akteinteilung von den Alexandrinern eingeführt worden zu sein. Auch die Dramen des Plautus und Terenz habe» noch keine Einteilung in Akte gehabt; in deu Handschriften findet sich wenigstens keine Spur davon. Aber Cicero kennt den Begriff des Aktes, und Varro schrieb sogar ein Buch I)o aotidus 8eLnici8, Aus Horazens Dichtkunst ist die Regel allbekannt, daß die Tragödie nicht mehr oder weniger als fünf Akte haben soll. Donat klagt öfters über die Schwierigkeit, die Akteinteilung bei Terenz festzustellen. Die Regel, die er angiebt, daß der Aktschluß da einzutreten habe, wo die Bühne leer sei, wo also in der Tragödie der Chor, in der Komödie die Flötenspieler sich hören lassen konnten, ist deswegen sehr wichtig, weil sie bis in das vorige Jahrhundert maßgebend geblieben ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/468>, abgerufen am 23.07.2024.