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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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ja es ist so etwas im Werck -- Aja -- ja über diese Reiße hätte ich doch
etwas mit Mama zu reden."

Diese Gegenständlichkeit und Lebhaftigkeit der Darstellung, die den Leser
mit unwiderstehlichem Zauber fesselt, kann nicht geschildert, sie muß beim
Lesen selbst genossen werden. Der Besuch bei der Königin Luise, das Auf¬
ziehen der preußischen Wnchtparade, wobei Frau Aja mit Ausrufungszeichen
malt, wie die Parade in die Hauptwache einschwenkt, die glücklichen und un¬
glücklichen .Kriegsbegebenheiten in Frankfurt, die Rückkehr der Frankfurter Sol¬
daten, die mit Stöcken bewaffnet Wache halten, da ihnen der Feind die
Waffen weggenommen hat, das alles sind wahre Prachtstücke naiver und
doch zugleich sprachgewandter Darstellung. Ihr klarer Verstand, ihre schöne
Gabe, durch treffende Gleichnisse anschaulicher zu werden, ihr unerschöpf¬
licher Schatz von Witz und Laune zeigt sich fast auf jeder Seite. Sie ist sich
aber dieser schönen Kunst auch bewußt: "Meine Gabe, die mir Gott gegeben hat
ist eine lebendige Darstellung aller Dinge die in mein Wißen einschlagen,
großes und kleines, Wahrheit und Märgen n. s. w., sowie ich in einen Circul
komme wird alles heiter und froh, weil ich erzähle." -- "Bücher schreiben?
nein das kan ich nicht aber was andre geschrieben zu Erzählen -- da suche
ich meinen Meister!!!"")

Die Gegenständlichkeit der Darstellung erstreckt sich sogar auf sie selbst.
Sie spricht vou sich in der dritten Person und weiß sehr fein gerade dadurch
eine ihrer Haupteigenschaften zu bethätigen: die Selbstironie. Wie sie in ihrer
Natürlichkeit und Bescheidenheit über die ihr dargebrachten Huldigungen dachte,
zeigt ein Brief an Christiane: "Ich werde (ohne daß ich begreifen kan wie
es eigendtlich zugeht) von so vielen Menschen geliebt geehrt -- gesucht -- das ich
mir offte selbst ein Nutze! bin und nicht weiß was die Leute an mir haben."
Gerade wegen dieser Huldigungen aber sucht sie sich mit Fleiß ihre Fehler
vorzuhalten, übt sie mit Vorliebe jene Kunst, über sich selbst zu lächeln, die
ihren Briefen die Färbung des ungesucht Geistvoller verleiht. Ihre Red¬
seligkeit, ihre allzugroße Neigung für das Theater, ihre Furcht vor allem
Unangenehmen und Störenden geißelt sie wiederholt an sich selbst. Als etwas
leichtsinnig aber guten Herzens charakterisirt sie ihre Landsleute und meint sich
selbst damit. Denn eine echte Frankfurterin ist sie und will sie sein. Demo¬
kratisch aber auch bürgerlich stolz steht und bleibt sie auf dem Boden, auf dem
sie geboren ist. Trotz aller Drangsale des Krieges, trotz der Bitten des
Sohnes ist sie nicht zu bewegen, Frankfurt zu verlassen und nach Weimar



*) Ans dem Sprachschatze der Frau Rat führe ich einiges Merkwürdige an. Das, sie
trotz Stephan Rückantwort gebraucht hat, wußten wir schon aus den Briefen an Anna
Amalici. Neu ist der hübsche Ausdruck Behörde für Adresse: "Habe die Güte den Brief
an seine Behördte abzugeben." Für verauktionireu sagt sie im Ausruf verkaufen,
für Spediteur braucht sie Güterbestätter.

ja es ist so etwas im Werck — Aja — ja über diese Reiße hätte ich doch
etwas mit Mama zu reden."

Diese Gegenständlichkeit und Lebhaftigkeit der Darstellung, die den Leser
mit unwiderstehlichem Zauber fesselt, kann nicht geschildert, sie muß beim
Lesen selbst genossen werden. Der Besuch bei der Königin Luise, das Auf¬
ziehen der preußischen Wnchtparade, wobei Frau Aja mit Ausrufungszeichen
malt, wie die Parade in die Hauptwache einschwenkt, die glücklichen und un¬
glücklichen .Kriegsbegebenheiten in Frankfurt, die Rückkehr der Frankfurter Sol¬
daten, die mit Stöcken bewaffnet Wache halten, da ihnen der Feind die
Waffen weggenommen hat, das alles sind wahre Prachtstücke naiver und
doch zugleich sprachgewandter Darstellung. Ihr klarer Verstand, ihre schöne
Gabe, durch treffende Gleichnisse anschaulicher zu werden, ihr unerschöpf¬
licher Schatz von Witz und Laune zeigt sich fast auf jeder Seite. Sie ist sich
aber dieser schönen Kunst auch bewußt: „Meine Gabe, die mir Gott gegeben hat
ist eine lebendige Darstellung aller Dinge die in mein Wißen einschlagen,
großes und kleines, Wahrheit und Märgen n. s. w., sowie ich in einen Circul
komme wird alles heiter und froh, weil ich erzähle." — „Bücher schreiben?
nein das kan ich nicht aber was andre geschrieben zu Erzählen — da suche
ich meinen Meister!!!"")

Die Gegenständlichkeit der Darstellung erstreckt sich sogar auf sie selbst.
Sie spricht vou sich in der dritten Person und weiß sehr fein gerade dadurch
eine ihrer Haupteigenschaften zu bethätigen: die Selbstironie. Wie sie in ihrer
Natürlichkeit und Bescheidenheit über die ihr dargebrachten Huldigungen dachte,
zeigt ein Brief an Christiane: „Ich werde (ohne daß ich begreifen kan wie
es eigendtlich zugeht) von so vielen Menschen geliebt geehrt — gesucht — das ich
mir offte selbst ein Nutze! bin und nicht weiß was die Leute an mir haben."
Gerade wegen dieser Huldigungen aber sucht sie sich mit Fleiß ihre Fehler
vorzuhalten, übt sie mit Vorliebe jene Kunst, über sich selbst zu lächeln, die
ihren Briefen die Färbung des ungesucht Geistvoller verleiht. Ihre Red¬
seligkeit, ihre allzugroße Neigung für das Theater, ihre Furcht vor allem
Unangenehmen und Störenden geißelt sie wiederholt an sich selbst. Als etwas
leichtsinnig aber guten Herzens charakterisirt sie ihre Landsleute und meint sich
selbst damit. Denn eine echte Frankfurterin ist sie und will sie sein. Demo¬
kratisch aber auch bürgerlich stolz steht und bleibt sie auf dem Boden, auf dem
sie geboren ist. Trotz aller Drangsale des Krieges, trotz der Bitten des
Sohnes ist sie nicht zu bewegen, Frankfurt zu verlassen und nach Weimar



*) Ans dem Sprachschatze der Frau Rat führe ich einiges Merkwürdige an. Das, sie
trotz Stephan Rückantwort gebraucht hat, wußten wir schon aus den Briefen an Anna
Amalici. Neu ist der hübsche Ausdruck Behörde für Adresse: „Habe die Güte den Brief
an seine Behördte abzugeben." Für verauktionireu sagt sie im Ausruf verkaufen,
für Spediteur braucht sie Güterbestätter.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/46>, abgerufen am 23.07.2024.