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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Der Zunflzwmig

und alle Gesetzesparagraphen. Der sehn'erpnnkt der finanziellen Seite liegt
nicht in der Beschaffung des Kredits, sondern darin, daß man den Kredit
iiberflüssig macht. Der Meister, der stets ein paar Thaler bares Geld in der
Hand hat und nicht über seine Kräfte hinaus arbeitet, braucht keinen Kredit
und spart die Zinsen. Dieser Zustand aber wäre sehr Wohl zu erreichen, wenn
die Handwerker nicht allein selbst in Geldsachen durchaus ehrlich und umsichtig
verführen, sondern auch durch einmütige Kreditverweigeruug ihre Kunden zur
Ehrlichkeit zwängen. Denn die bei uns herrschende abscheuliche Borgwirtschaft
ist einfach unehrlich. Wer den Handwerker regelmäßig erst nach Ablauf eines
Jahres bezahlt, auch daun uoch nicht vollständig, sondern von Jahr zu Jahr
mit einer größern Summe hängen bleibend, bis'sich schließlich ein Rest ergiebt,
der beim Wegzug oder Tode des Schuldners wegen Unvermögens oder Ver¬
jährung nicht mehr eingetrieben werden kann, bestiehlt den Handwerker. Hier
könnte das Gesetz durch möglichst kurze Verjährungsfristen den Handwerkern
zu Hilfe kommen.

Von solchen Gesetzen aber, die lebenskräftige Körperschaften erst schaffen
sollen, anstatt schon vorhandnen mir ihre wohlerworbenen Rechte zu sichern,
können nur uns keine Wirkung versprechen. Jede Körperschaft legt ihren Mit¬
gliedern natürlicherweise Beschränkungen aus, und ist sie stark geworden, so
vermag sie auch nach außen hin Zwang auszuüben. Aber Beschränkungen
und Zwangsgewalt gesetzlich verordne" für Körperschaften, die noch gar nicht
vorhanden sind, hat keinen rechten Sinn. Alle alten Jnnnngsprivilegien sind
an Körperschaften verliehen worden, die schon lauge bestanden und sich bewährt
hatten. War das Tuchmachergewerbe an einem Orte, z. B. in Wem voll¬
ständig eingerichtet, so konnten die Meister selbstverständlich die Benutzung der
geschaffenen Einrichtungen, die ihnen ja Geld kosteten, nicht unentgeltlich ge¬
statten; sie mußten von jedem, der sie benutzte, Beiträge, d. h. den Beitritt
zur Zunft fordern; lediglich darin bestand anfangs der Zunftzwang. War
dann das Werner Tuch in der Welt bekannt geworden, so konnten sie nicht
dulde", daß schlechtes Tuch unter dem Namen und mit dein Wappen der
?)perner Gilde i" die Weit ging, den" dadurch würde" sie de" Markt verloren
habe"; sie mußten also die Tuchfabrikation am. Orte einer Aufsicht unterwerfe".
Darin bestand die später eintretende Verschärfung des Zunftzwanges. Wenn
dann schließlich der städtische Magistrat oder an andern Orten der Landesfürst
ein Privileginm verlieh, so that er damit weiter nichts, als daß er den durch
die Thatkraft, die Weisheit und den Fleiß der Gewerbegenossen geschaffenen
Zustand amtlich anerkannte und unter seine" Schutz stellte. Unsre heutige"
Meister sollen also vorher dnrch private Vereinigungen, die der gesetzlichen
Anerkennung nicht bedürfen, zeigen, was sie auf den, fraglichen Felde wollen
und können. Besitzen sie Rührigkeit, opferwilligen Gemeingeist und Weisheit
genug, um etwas Tüchtiges zustande zu bringen, so werden sich die passenden


Der Zunflzwmig

und alle Gesetzesparagraphen. Der sehn'erpnnkt der finanziellen Seite liegt
nicht in der Beschaffung des Kredits, sondern darin, daß man den Kredit
iiberflüssig macht. Der Meister, der stets ein paar Thaler bares Geld in der
Hand hat und nicht über seine Kräfte hinaus arbeitet, braucht keinen Kredit
und spart die Zinsen. Dieser Zustand aber wäre sehr Wohl zu erreichen, wenn
die Handwerker nicht allein selbst in Geldsachen durchaus ehrlich und umsichtig
verführen, sondern auch durch einmütige Kreditverweigeruug ihre Kunden zur
Ehrlichkeit zwängen. Denn die bei uns herrschende abscheuliche Borgwirtschaft
ist einfach unehrlich. Wer den Handwerker regelmäßig erst nach Ablauf eines
Jahres bezahlt, auch daun uoch nicht vollständig, sondern von Jahr zu Jahr
mit einer größern Summe hängen bleibend, bis'sich schließlich ein Rest ergiebt,
der beim Wegzug oder Tode des Schuldners wegen Unvermögens oder Ver¬
jährung nicht mehr eingetrieben werden kann, bestiehlt den Handwerker. Hier
könnte das Gesetz durch möglichst kurze Verjährungsfristen den Handwerkern
zu Hilfe kommen.

Von solchen Gesetzen aber, die lebenskräftige Körperschaften erst schaffen
sollen, anstatt schon vorhandnen mir ihre wohlerworbenen Rechte zu sichern,
können nur uns keine Wirkung versprechen. Jede Körperschaft legt ihren Mit¬
gliedern natürlicherweise Beschränkungen aus, und ist sie stark geworden, so
vermag sie auch nach außen hin Zwang auszuüben. Aber Beschränkungen
und Zwangsgewalt gesetzlich verordne» für Körperschaften, die noch gar nicht
vorhanden sind, hat keinen rechten Sinn. Alle alten Jnnnngsprivilegien sind
an Körperschaften verliehen worden, die schon lauge bestanden und sich bewährt
hatten. War das Tuchmachergewerbe an einem Orte, z. B. in Wem voll¬
ständig eingerichtet, so konnten die Meister selbstverständlich die Benutzung der
geschaffenen Einrichtungen, die ihnen ja Geld kosteten, nicht unentgeltlich ge¬
statten; sie mußten von jedem, der sie benutzte, Beiträge, d. h. den Beitritt
zur Zunft fordern; lediglich darin bestand anfangs der Zunftzwang. War
dann das Werner Tuch in der Welt bekannt geworden, so konnten sie nicht
dulde», daß schlechtes Tuch unter dem Namen und mit dein Wappen der
?)perner Gilde i» die Weit ging, den» dadurch würde» sie de» Markt verloren
habe»; sie mußten also die Tuchfabrikation am. Orte einer Aufsicht unterwerfe».
Darin bestand die später eintretende Verschärfung des Zunftzwanges. Wenn
dann schließlich der städtische Magistrat oder an andern Orten der Landesfürst
ein Privileginm verlieh, so that er damit weiter nichts, als daß er den durch
die Thatkraft, die Weisheit und den Fleiß der Gewerbegenossen geschaffenen
Zustand amtlich anerkannte und unter seine» Schutz stellte. Unsre heutige»
Meister sollen also vorher dnrch private Vereinigungen, die der gesetzlichen
Anerkennung nicht bedürfen, zeigen, was sie auf den, fraglichen Felde wollen
und können. Besitzen sie Rührigkeit, opferwilligen Gemeingeist und Weisheit
genug, um etwas Tüchtiges zustande zu bringen, so werden sich die passenden


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[0459] Der Zunflzwmig und alle Gesetzesparagraphen. Der sehn'erpnnkt der finanziellen Seite liegt nicht in der Beschaffung des Kredits, sondern darin, daß man den Kredit iiberflüssig macht. Der Meister, der stets ein paar Thaler bares Geld in der Hand hat und nicht über seine Kräfte hinaus arbeitet, braucht keinen Kredit und spart die Zinsen. Dieser Zustand aber wäre sehr Wohl zu erreichen, wenn die Handwerker nicht allein selbst in Geldsachen durchaus ehrlich und umsichtig verführen, sondern auch durch einmütige Kreditverweigeruug ihre Kunden zur Ehrlichkeit zwängen. Denn die bei uns herrschende abscheuliche Borgwirtschaft ist einfach unehrlich. Wer den Handwerker regelmäßig erst nach Ablauf eines Jahres bezahlt, auch daun uoch nicht vollständig, sondern von Jahr zu Jahr mit einer größern Summe hängen bleibend, bis'sich schließlich ein Rest ergiebt, der beim Wegzug oder Tode des Schuldners wegen Unvermögens oder Ver¬ jährung nicht mehr eingetrieben werden kann, bestiehlt den Handwerker. Hier könnte das Gesetz durch möglichst kurze Verjährungsfristen den Handwerkern zu Hilfe kommen. Von solchen Gesetzen aber, die lebenskräftige Körperschaften erst schaffen sollen, anstatt schon vorhandnen mir ihre wohlerworbenen Rechte zu sichern, können nur uns keine Wirkung versprechen. Jede Körperschaft legt ihren Mit¬ gliedern natürlicherweise Beschränkungen aus, und ist sie stark geworden, so vermag sie auch nach außen hin Zwang auszuüben. Aber Beschränkungen und Zwangsgewalt gesetzlich verordne» für Körperschaften, die noch gar nicht vorhanden sind, hat keinen rechten Sinn. Alle alten Jnnnngsprivilegien sind an Körperschaften verliehen worden, die schon lauge bestanden und sich bewährt hatten. War das Tuchmachergewerbe an einem Orte, z. B. in Wem voll¬ ständig eingerichtet, so konnten die Meister selbstverständlich die Benutzung der geschaffenen Einrichtungen, die ihnen ja Geld kosteten, nicht unentgeltlich ge¬ statten; sie mußten von jedem, der sie benutzte, Beiträge, d. h. den Beitritt zur Zunft fordern; lediglich darin bestand anfangs der Zunftzwang. War dann das Werner Tuch in der Welt bekannt geworden, so konnten sie nicht dulde», daß schlechtes Tuch unter dem Namen und mit dein Wappen der ?)perner Gilde i» die Weit ging, den» dadurch würde» sie de» Markt verloren habe»; sie mußten also die Tuchfabrikation am. Orte einer Aufsicht unterwerfe». Darin bestand die später eintretende Verschärfung des Zunftzwanges. Wenn dann schließlich der städtische Magistrat oder an andern Orten der Landesfürst ein Privileginm verlieh, so that er damit weiter nichts, als daß er den durch die Thatkraft, die Weisheit und den Fleiß der Gewerbegenossen geschaffenen Zustand amtlich anerkannte und unter seine» Schutz stellte. Unsre heutige» Meister sollen also vorher dnrch private Vereinigungen, die der gesetzlichen Anerkennung nicht bedürfen, zeigen, was sie auf den, fraglichen Felde wollen und können. Besitzen sie Rührigkeit, opferwilligen Gemeingeist und Weisheit genug, um etwas Tüchtiges zustande zu bringen, so werden sich die passenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/459>, abgerufen am 23.07.2024.