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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Fremdwörter und die Sozialdemokratie. In dein Kampfe
gegen die Fremdwörter in unsrer Sprache ist ein Punkt noch nicht genügend her¬
vorgehoben worden, der an sich schon ausreicht, die unbedingte, dringende Not¬
wendigkeit dieses Kampfes zu erweisen: unsre Fremdwörter haben es dahin gebracht,
daß die Sprache der Gebildeten in Deutschland von den niedern Volksklassen, ins¬
besondre den Arbeitern, gar nicht mehr verstanden wird; sie haben zwischen Ge¬
bildeten und Ungebildeten eine Klust gegraben, die wir nur mit großer Mühe noch
überspringen können, und sie haben es uns schon fast unmöglich gemacht, auf die
niedern Volksklassen irgendwie mit Erfolg einzuwirken. Diese Volksklassen verstehen
uns nicht mehr. Gewisse weise Leute setzen sich aufs hohe Pferd und hageln "Ja,
wir können die Fremdwörter nicht entbehren, wenn Nur vor andern Gebildeten
unsre Gedanken genügend ausdrücken "vollen; wenn wir vor Ungebildeten reden,
so enthalten wir uns natürlich der Fremdwörter!" Hierauf kann man nur
einen bekannten Ausspruch mit einer kleinen Änderung anwenden: War der Ge¬
danke nicht so herzlich dumm, man wär versucht, ihn fast gescheit zu nennen. Denn
wer einmal im Verkehr mit seinesgleichen sich an den Gebrauch der Fremdwörter
gewöhnt hat, kann diese Gewohnheit schlechterdings nicht ablegen, wenn er mit
andern Leuten reden null; die Fremdwörter kommen ihm immer wieder ans die
Zunge, er kann sie nicht im Laufe seines Gesprächs oder seiner Rede nach Belieben
jederzeit durch deutsche Ausdrücke ersetzen. Das gelingt ihm eben nicht. Er muß
sich erst an den durchgängigen Gebrauch deutscher Ausdrücke völlig gewöhnt haben,
sonst macht ihm der augenblickliche Ersatz seiner Fremdwörter viel zu viel Mühe.
Wir haben aber in Deutschland das allervvlkstünllichste Wahlgesetz von der Welt;
wir sind darauf angewiesen, uns über die wichtigsten Fragen des Staatsleoens mit
allen Volksklassen zu verständigen; nur Wurm und dürfen uns deshalb nicht das
Iimkervergungen erlauben, eine besondre Ausdrucksweise zu Pflegen, durch die
zwischen uns und den niedern Stünden eine chinesische Mauer aufgerichtet wird.
Es gehe doch einmal einer in eine großenteils von Arbeitern besetzte Wii'hler-
versammlnng und versuche es, mit seinen gewohnten Fremdwörtern zu den Leuten
zu reden! Er wird sehr bald überschrieen und ausgelacht werden, und froh sein
können, wen" er mit heilen, Rücken wieder nach Hanse kommt. Die Sache ist
wahrhaftig zu ernst, um uns die leichte Achsel genommen zu werden. So über¬
trieben es klingt, es liegt ein Körnchen Wahrheit in der Behauptung: unsre Fremd¬
wörter haben "eben so vielem andern, was ungefähr auf demselben Blatte steht,
ein gutes Teil Schuld um dem Überwuchern der Sozinldeniokratie in Deutschland.






Für die Redaktton verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunvw in Leipzig -- Druck von Carl Marqnnrt in Leipzig

Die Fremdwörter und die Sozialdemokratie. In dein Kampfe
gegen die Fremdwörter in unsrer Sprache ist ein Punkt noch nicht genügend her¬
vorgehoben worden, der an sich schon ausreicht, die unbedingte, dringende Not¬
wendigkeit dieses Kampfes zu erweisen: unsre Fremdwörter haben es dahin gebracht,
daß die Sprache der Gebildeten in Deutschland von den niedern Volksklassen, ins¬
besondre den Arbeitern, gar nicht mehr verstanden wird; sie haben zwischen Ge¬
bildeten und Ungebildeten eine Klust gegraben, die wir nur mit großer Mühe noch
überspringen können, und sie haben es uns schon fast unmöglich gemacht, auf die
niedern Volksklassen irgendwie mit Erfolg einzuwirken. Diese Volksklassen verstehen
uns nicht mehr. Gewisse weise Leute setzen sich aufs hohe Pferd und hageln „Ja,
wir können die Fremdwörter nicht entbehren, wenn Nur vor andern Gebildeten
unsre Gedanken genügend ausdrücken »vollen; wenn wir vor Ungebildeten reden,
so enthalten wir uns natürlich der Fremdwörter!" Hierauf kann man nur
einen bekannten Ausspruch mit einer kleinen Änderung anwenden: War der Ge¬
danke nicht so herzlich dumm, man wär versucht, ihn fast gescheit zu nennen. Denn
wer einmal im Verkehr mit seinesgleichen sich an den Gebrauch der Fremdwörter
gewöhnt hat, kann diese Gewohnheit schlechterdings nicht ablegen, wenn er mit
andern Leuten reden null; die Fremdwörter kommen ihm immer wieder ans die
Zunge, er kann sie nicht im Laufe seines Gesprächs oder seiner Rede nach Belieben
jederzeit durch deutsche Ausdrücke ersetzen. Das gelingt ihm eben nicht. Er muß
sich erst an den durchgängigen Gebrauch deutscher Ausdrücke völlig gewöhnt haben,
sonst macht ihm der augenblickliche Ersatz seiner Fremdwörter viel zu viel Mühe.
Wir haben aber in Deutschland das allervvlkstünllichste Wahlgesetz von der Welt;
wir sind darauf angewiesen, uns über die wichtigsten Fragen des Staatsleoens mit
allen Volksklassen zu verständigen; nur Wurm und dürfen uns deshalb nicht das
Iimkervergungen erlauben, eine besondre Ausdrucksweise zu Pflegen, durch die
zwischen uns und den niedern Stünden eine chinesische Mauer aufgerichtet wird.
Es gehe doch einmal einer in eine großenteils von Arbeitern besetzte Wii'hler-
versammlnng und versuche es, mit seinen gewohnten Fremdwörtern zu den Leuten
zu reden! Er wird sehr bald überschrieen und ausgelacht werden, und froh sein
können, wen» er mit heilen, Rücken wieder nach Hanse kommt. Die Sache ist
wahrhaftig zu ernst, um uns die leichte Achsel genommen zu werden. So über¬
trieben es klingt, es liegt ein Körnchen Wahrheit in der Behauptung: unsre Fremd¬
wörter haben »eben so vielem andern, was ungefähr auf demselben Blatte steht,
ein gutes Teil Schuld um dem Überwuchern der Sozinldeniokratie in Deutschland.






Für die Redaktton verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunvw in Leipzig — Druck von Carl Marqnnrt in Leipzig
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[0448] Die Fremdwörter und die Sozialdemokratie. In dein Kampfe gegen die Fremdwörter in unsrer Sprache ist ein Punkt noch nicht genügend her¬ vorgehoben worden, der an sich schon ausreicht, die unbedingte, dringende Not¬ wendigkeit dieses Kampfes zu erweisen: unsre Fremdwörter haben es dahin gebracht, daß die Sprache der Gebildeten in Deutschland von den niedern Volksklassen, ins¬ besondre den Arbeitern, gar nicht mehr verstanden wird; sie haben zwischen Ge¬ bildeten und Ungebildeten eine Klust gegraben, die wir nur mit großer Mühe noch überspringen können, und sie haben es uns schon fast unmöglich gemacht, auf die niedern Volksklassen irgendwie mit Erfolg einzuwirken. Diese Volksklassen verstehen uns nicht mehr. Gewisse weise Leute setzen sich aufs hohe Pferd und hageln „Ja, wir können die Fremdwörter nicht entbehren, wenn Nur vor andern Gebildeten unsre Gedanken genügend ausdrücken »vollen; wenn wir vor Ungebildeten reden, so enthalten wir uns natürlich der Fremdwörter!" Hierauf kann man nur einen bekannten Ausspruch mit einer kleinen Änderung anwenden: War der Ge¬ danke nicht so herzlich dumm, man wär versucht, ihn fast gescheit zu nennen. Denn wer einmal im Verkehr mit seinesgleichen sich an den Gebrauch der Fremdwörter gewöhnt hat, kann diese Gewohnheit schlechterdings nicht ablegen, wenn er mit andern Leuten reden null; die Fremdwörter kommen ihm immer wieder ans die Zunge, er kann sie nicht im Laufe seines Gesprächs oder seiner Rede nach Belieben jederzeit durch deutsche Ausdrücke ersetzen. Das gelingt ihm eben nicht. Er muß sich erst an den durchgängigen Gebrauch deutscher Ausdrücke völlig gewöhnt haben, sonst macht ihm der augenblickliche Ersatz seiner Fremdwörter viel zu viel Mühe. Wir haben aber in Deutschland das allervvlkstünllichste Wahlgesetz von der Welt; wir sind darauf angewiesen, uns über die wichtigsten Fragen des Staatsleoens mit allen Volksklassen zu verständigen; nur Wurm und dürfen uns deshalb nicht das Iimkervergungen erlauben, eine besondre Ausdrucksweise zu Pflegen, durch die zwischen uns und den niedern Stünden eine chinesische Mauer aufgerichtet wird. Es gehe doch einmal einer in eine großenteils von Arbeitern besetzte Wii'hler- versammlnng und versuche es, mit seinen gewohnten Fremdwörtern zu den Leuten zu reden! Er wird sehr bald überschrieen und ausgelacht werden, und froh sein können, wen» er mit heilen, Rücken wieder nach Hanse kommt. Die Sache ist wahrhaftig zu ernst, um uns die leichte Achsel genommen zu werden. So über¬ trieben es klingt, es liegt ein Körnchen Wahrheit in der Behauptung: unsre Fremd¬ wörter haben »eben so vielem andern, was ungefähr auf demselben Blatte steht, ein gutes Teil Schuld um dem Überwuchern der Sozinldeniokratie in Deutschland. Für die Redaktton verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunvw in Leipzig — Druck von Carl Marqnnrt in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/448>, abgerufen am 23.07.2024.