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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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französische Abneigung gegen England

noch heute ungeschwächt fortdauert. Sehr böses Blut machte in England die
Erwerbung der Schntzherrschaft über Tunis, in Wahrheit die Besitznahme dieses
Küstengebietes an Mittelmeere dnrch die Franzosen. Mit Eifersucht begleitete
die öffentliche Meinung das Unternehmen der französischen Republik gegen die
Hvvas von Madagaskar, den Krieg in Tonking und Aram und die Vorgänge
auf den Neuen Hebriden. Sehr wesentlich hat endlich zu diesem Umschwunge
der Dinge (ans den wir als auf ein gutes Vorzeichen für unsre Zukunft hin¬
deuten) der Umstand beigetragen, daß Frankreich seit Jahren um die Gunst
der Russen, der natürlichen Feinde der englischen Interessen, buhlen zu müssen
glaubt. Ju Frankreich anderseits gewöhnte man sich von Jahr zu Jahr mehr,
den alten keltern Freund jenseits des Kanals wie früher als das "treulose
Albion" zu schmähen und seine grobe Selbstsucht in allen Tonarten zu ver¬
urteilen, was auch bei Fragen geschah, die Frankreich nicht unmittelbar be¬
rührten. Das ist noch in diesen Tagen Brauch und Regel, und in der Presse,
selbst im Parlamente von Paris begegnen wir häufig Beispielen der gegen
England herrschenden Mißstimmung, die sich nicht selten sogar in Drohungen
Luft macht. Ein paar davon, die den letzten Wochen entnommen sind, mögen
zur Kennzeichnung dieser für uns höchst erfreulichen Erscheinung genügen.

Da haben wir zuvörderst den Streit Englands mit Portugal über die
Landschaften am Schire und den Eroberungszug des Majors Serpa Pinto,
dessen Rückberufung Lord Salisbury durch ein Ultimatum erzwang. Die Sache
ist damit noch nicht endgiltig entschieden, und beide Teile können bis auf genauere
Prüfung ihrer Ansprüche Recht behalten. Das ist jedoch nicht nach dem Ge¬
schmacke der Pariser Zeitungen und ihres Publikums, das sie nachgerade in
eine Gemütsverfassung hiueingeschimpft haben, die man als Engländerfresserei
bezeichnen kaun. Hier ist es einfach die große, dicke, neidische Bulldogge, die
dein armen kleinen portugiesischen Pndelhündchen mit drohenden: Gebiß das
Schinkenbeiu abjagt, das es sich mit redlicher Mühe erworben hat. Wenn
Ulan das Verfahren Englands in Lissabon und Oporto sehr übel genommen
und daraufhin einige Thorheiten begangen hat, so ist das ungefähr so begreif¬
lich, ja noch etwas weniger niüiegreiflich, als es das Aufbegehren der Spanier
gegen Deutschland in der Frage der Karolinen war. Dort nahm der Grimm
Patriotischer Telegraphenbehörden Depeschen englischer Zeitungskorrespvndenten
an ihre Blätter weg, Seeoffiziere schickten Medaillen, die ihnen die Königin
Viktoria verliehen hatte, unhöflich zurück, der Herzog vou Palmella entließ
Plötzlich feine englische Dienerschaft, eine Anzahl von Firmen brach ihre Ge¬
schäftsverbindungen mit englischen Kaufleuten ab, man sammelte zu einem
Panzerschiffe, das die britische Flotte zu vernichten bestimmt war, man unter¬
schrieb für den Ankauf eines Ehrendegens, den mau dem Major Serpa Pinto
übersenden wollte, und es wurde eine Summe erzielt, die nach deutschen Gelde
etwas über 150 Mark betrug. Das ist, wie gesagt, begreiflich und höch-


Grenzbvwi I 1890 39
französische Abneigung gegen England

noch heute ungeschwächt fortdauert. Sehr böses Blut machte in England die
Erwerbung der Schntzherrschaft über Tunis, in Wahrheit die Besitznahme dieses
Küstengebietes an Mittelmeere dnrch die Franzosen. Mit Eifersucht begleitete
die öffentliche Meinung das Unternehmen der französischen Republik gegen die
Hvvas von Madagaskar, den Krieg in Tonking und Aram und die Vorgänge
auf den Neuen Hebriden. Sehr wesentlich hat endlich zu diesem Umschwunge
der Dinge (ans den wir als auf ein gutes Vorzeichen für unsre Zukunft hin¬
deuten) der Umstand beigetragen, daß Frankreich seit Jahren um die Gunst
der Russen, der natürlichen Feinde der englischen Interessen, buhlen zu müssen
glaubt. Ju Frankreich anderseits gewöhnte man sich von Jahr zu Jahr mehr,
den alten keltern Freund jenseits des Kanals wie früher als das „treulose
Albion" zu schmähen und seine grobe Selbstsucht in allen Tonarten zu ver¬
urteilen, was auch bei Fragen geschah, die Frankreich nicht unmittelbar be¬
rührten. Das ist noch in diesen Tagen Brauch und Regel, und in der Presse,
selbst im Parlamente von Paris begegnen wir häufig Beispielen der gegen
England herrschenden Mißstimmung, die sich nicht selten sogar in Drohungen
Luft macht. Ein paar davon, die den letzten Wochen entnommen sind, mögen
zur Kennzeichnung dieser für uns höchst erfreulichen Erscheinung genügen.

Da haben wir zuvörderst den Streit Englands mit Portugal über die
Landschaften am Schire und den Eroberungszug des Majors Serpa Pinto,
dessen Rückberufung Lord Salisbury durch ein Ultimatum erzwang. Die Sache
ist damit noch nicht endgiltig entschieden, und beide Teile können bis auf genauere
Prüfung ihrer Ansprüche Recht behalten. Das ist jedoch nicht nach dem Ge¬
schmacke der Pariser Zeitungen und ihres Publikums, das sie nachgerade in
eine Gemütsverfassung hiueingeschimpft haben, die man als Engländerfresserei
bezeichnen kaun. Hier ist es einfach die große, dicke, neidische Bulldogge, die
dein armen kleinen portugiesischen Pndelhündchen mit drohenden: Gebiß das
Schinkenbeiu abjagt, das es sich mit redlicher Mühe erworben hat. Wenn
Ulan das Verfahren Englands in Lissabon und Oporto sehr übel genommen
und daraufhin einige Thorheiten begangen hat, so ist das ungefähr so begreif¬
lich, ja noch etwas weniger niüiegreiflich, als es das Aufbegehren der Spanier
gegen Deutschland in der Frage der Karolinen war. Dort nahm der Grimm
Patriotischer Telegraphenbehörden Depeschen englischer Zeitungskorrespvndenten
an ihre Blätter weg, Seeoffiziere schickten Medaillen, die ihnen die Königin
Viktoria verliehen hatte, unhöflich zurück, der Herzog vou Palmella entließ
Plötzlich feine englische Dienerschaft, eine Anzahl von Firmen brach ihre Ge¬
schäftsverbindungen mit englischen Kaufleuten ab, man sammelte zu einem
Panzerschiffe, das die britische Flotte zu vernichten bestimmt war, man unter¬
schrieb für den Ankauf eines Ehrendegens, den mau dem Major Serpa Pinto
übersenden wollte, und es wurde eine Summe erzielt, die nach deutschen Gelde
etwas über 150 Mark betrug. Das ist, wie gesagt, begreiflich und höch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/313>, abgerufen am 23.07.2024.