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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Das soziale Kaisertum

Wie auf ihren Absatz bezieht. Diese Gemeinschaft bedingt, daß nach beiden Be¬
ziehungen trotz der sonstigen Verschiedenheit der übrigen Grundlagen und
Voraussetzungen eine gewisse Gleichmäßigkeit in der Industrie aller der Völker
vorhanden sein muß, die in dem Ausfuhrhandel einen Bestandteil ihres Erwerbes
zu hüten haben. Eslist > oft das Bild von der goldlegenden Henne angewandt
worden, die die unvorsichtige Hausfrau schlachten ließ. Der Gesetzgeber, der
einseitig die heimische Industrie dnrch zu weitgehende Arbeiterschutzgesetze be¬
lastete, würde mit dem Untergraben des Absatzes heimischer Waren den
Arbeiter brotlos machen. Der Kaiser wünscht daher, daß der Angelegenheit
auf internationalem Wege näher getreten werde. Es wird versucht werden,
ob es gelingt, zwischen den Regierungen der hauptsächlichsten Expvrtstaateu
eine Verständigung herbeizuführen über Sonntagsruhe und Normalarbeitstag,
über Frauen- und Kinderarbeit. Es ist zu hoffen, daß diese Regierungen, be¬
seelt von dem Wunsche, ihre Arbeiterschaft zufrieden zu stellen, einen gemein¬
samen Boden finden werden, der nicht nur eine Vereinbarung ermöglicht,
sondern auch die Mittel einer gerechten und gleichmäßigen Durchführung
sichert. Denn wenn das deutsche Reich seine Industrie zu gewissen Maßregeln
verbindlich macht, so kann mau angesichts unsers straffen Beamtentums und
der Unparteilichkeit unsrer Gerichte darauf rechnen, daß auch alles genau aus¬
geführt wird. Es muß aber die gleiche Sicherheit in den andern Vertrags¬
staaten geschaffen werden.

Aber abgesehen von dieser internationalen Übereinkunft giebt es in Deutsch¬
land noch einen weiten Spielraum, um die geistige, sittliche und körperliche
Kraft der Arbeiter zu erhalten und zu stärken. In dieser Frage will der
Kaiser sofort Hand ans Werk legen und unter eignem Vorsitz die erforderlichen
Maßregeln mit den besten Kräften seines Volkes beraten und fördern. Darin
liegt eine Gewähr, daß die Sache uicht am grünen Tisch in fruchtlosen Ge¬
sprächen erörtert oder hingeschleppt wird, und anderseits dafür, daß alle ein¬
schlagenden Gesichtspunkte reiflich erwogen werden. Der Kaiser hat schon ein
Programm in diesem Erlaß aufgestellt, und seine Person bürgt dafür, daß er
die geeigneten Mittel zur Ausführung finden wird. Insbesondre ist ein Ge¬
sichtspunkt hervorzuheben, der mit einem ganzen System bricht. Denn wenn
der Kaiser ausspricht, daß die staatlichen Bergwerke Musteranstalten werden
sollen, so heißt das nichts andres, als mit dem System der Fiskalität ein Ende
machen, das lediglich den gemeinen Geldgewinn im Auge hat und sich um
alle weitern Folgen nicht kümmert. Dieser Bruch wird bei nuiuchem alten
Geheimrat ein Schütteln seines grauen Hauptes hervorrufen, wir aber wollen
uns unsers jugendlichen Kaisers freuen, daß er den Mut besitzt, seinen Beamten
und seinem Volke neue Wege zu weisen.

Die beiden Erlasse Kaiser Wilhelms II. bedeuten einen Abschnitt nicht
bloß in der wirtschaftlichen Geschichte unsers Volkes, sondern auch, wenn sie


Das soziale Kaisertum

Wie auf ihren Absatz bezieht. Diese Gemeinschaft bedingt, daß nach beiden Be¬
ziehungen trotz der sonstigen Verschiedenheit der übrigen Grundlagen und
Voraussetzungen eine gewisse Gleichmäßigkeit in der Industrie aller der Völker
vorhanden sein muß, die in dem Ausfuhrhandel einen Bestandteil ihres Erwerbes
zu hüten haben. Eslist > oft das Bild von der goldlegenden Henne angewandt
worden, die die unvorsichtige Hausfrau schlachten ließ. Der Gesetzgeber, der
einseitig die heimische Industrie dnrch zu weitgehende Arbeiterschutzgesetze be¬
lastete, würde mit dem Untergraben des Absatzes heimischer Waren den
Arbeiter brotlos machen. Der Kaiser wünscht daher, daß der Angelegenheit
auf internationalem Wege näher getreten werde. Es wird versucht werden,
ob es gelingt, zwischen den Regierungen der hauptsächlichsten Expvrtstaateu
eine Verständigung herbeizuführen über Sonntagsruhe und Normalarbeitstag,
über Frauen- und Kinderarbeit. Es ist zu hoffen, daß diese Regierungen, be¬
seelt von dem Wunsche, ihre Arbeiterschaft zufrieden zu stellen, einen gemein¬
samen Boden finden werden, der nicht nur eine Vereinbarung ermöglicht,
sondern auch die Mittel einer gerechten und gleichmäßigen Durchführung
sichert. Denn wenn das deutsche Reich seine Industrie zu gewissen Maßregeln
verbindlich macht, so kann mau angesichts unsers straffen Beamtentums und
der Unparteilichkeit unsrer Gerichte darauf rechnen, daß auch alles genau aus¬
geführt wird. Es muß aber die gleiche Sicherheit in den andern Vertrags¬
staaten geschaffen werden.

Aber abgesehen von dieser internationalen Übereinkunft giebt es in Deutsch¬
land noch einen weiten Spielraum, um die geistige, sittliche und körperliche
Kraft der Arbeiter zu erhalten und zu stärken. In dieser Frage will der
Kaiser sofort Hand ans Werk legen und unter eignem Vorsitz die erforderlichen
Maßregeln mit den besten Kräften seines Volkes beraten und fördern. Darin
liegt eine Gewähr, daß die Sache uicht am grünen Tisch in fruchtlosen Ge¬
sprächen erörtert oder hingeschleppt wird, und anderseits dafür, daß alle ein¬
schlagenden Gesichtspunkte reiflich erwogen werden. Der Kaiser hat schon ein
Programm in diesem Erlaß aufgestellt, und seine Person bürgt dafür, daß er
die geeigneten Mittel zur Ausführung finden wird. Insbesondre ist ein Ge¬
sichtspunkt hervorzuheben, der mit einem ganzen System bricht. Denn wenn
der Kaiser ausspricht, daß die staatlichen Bergwerke Musteranstalten werden
sollen, so heißt das nichts andres, als mit dem System der Fiskalität ein Ende
machen, das lediglich den gemeinen Geldgewinn im Auge hat und sich um
alle weitern Folgen nicht kümmert. Dieser Bruch wird bei nuiuchem alten
Geheimrat ein Schütteln seines grauen Hauptes hervorrufen, wir aber wollen
uns unsers jugendlichen Kaisers freuen, daß er den Mut besitzt, seinen Beamten
und seinem Volke neue Wege zu weisen.

Die beiden Erlasse Kaiser Wilhelms II. bedeuten einen Abschnitt nicht
bloß in der wirtschaftlichen Geschichte unsers Volkes, sondern auch, wenn sie


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[0309] Das soziale Kaisertum Wie auf ihren Absatz bezieht. Diese Gemeinschaft bedingt, daß nach beiden Be¬ ziehungen trotz der sonstigen Verschiedenheit der übrigen Grundlagen und Voraussetzungen eine gewisse Gleichmäßigkeit in der Industrie aller der Völker vorhanden sein muß, die in dem Ausfuhrhandel einen Bestandteil ihres Erwerbes zu hüten haben. Eslist > oft das Bild von der goldlegenden Henne angewandt worden, die die unvorsichtige Hausfrau schlachten ließ. Der Gesetzgeber, der einseitig die heimische Industrie dnrch zu weitgehende Arbeiterschutzgesetze be¬ lastete, würde mit dem Untergraben des Absatzes heimischer Waren den Arbeiter brotlos machen. Der Kaiser wünscht daher, daß der Angelegenheit auf internationalem Wege näher getreten werde. Es wird versucht werden, ob es gelingt, zwischen den Regierungen der hauptsächlichsten Expvrtstaateu eine Verständigung herbeizuführen über Sonntagsruhe und Normalarbeitstag, über Frauen- und Kinderarbeit. Es ist zu hoffen, daß diese Regierungen, be¬ seelt von dem Wunsche, ihre Arbeiterschaft zufrieden zu stellen, einen gemein¬ samen Boden finden werden, der nicht nur eine Vereinbarung ermöglicht, sondern auch die Mittel einer gerechten und gleichmäßigen Durchführung sichert. Denn wenn das deutsche Reich seine Industrie zu gewissen Maßregeln verbindlich macht, so kann mau angesichts unsers straffen Beamtentums und der Unparteilichkeit unsrer Gerichte darauf rechnen, daß auch alles genau aus¬ geführt wird. Es muß aber die gleiche Sicherheit in den andern Vertrags¬ staaten geschaffen werden. Aber abgesehen von dieser internationalen Übereinkunft giebt es in Deutsch¬ land noch einen weiten Spielraum, um die geistige, sittliche und körperliche Kraft der Arbeiter zu erhalten und zu stärken. In dieser Frage will der Kaiser sofort Hand ans Werk legen und unter eignem Vorsitz die erforderlichen Maßregeln mit den besten Kräften seines Volkes beraten und fördern. Darin liegt eine Gewähr, daß die Sache uicht am grünen Tisch in fruchtlosen Ge¬ sprächen erörtert oder hingeschleppt wird, und anderseits dafür, daß alle ein¬ schlagenden Gesichtspunkte reiflich erwogen werden. Der Kaiser hat schon ein Programm in diesem Erlaß aufgestellt, und seine Person bürgt dafür, daß er die geeigneten Mittel zur Ausführung finden wird. Insbesondre ist ein Ge¬ sichtspunkt hervorzuheben, der mit einem ganzen System bricht. Denn wenn der Kaiser ausspricht, daß die staatlichen Bergwerke Musteranstalten werden sollen, so heißt das nichts andres, als mit dem System der Fiskalität ein Ende machen, das lediglich den gemeinen Geldgewinn im Auge hat und sich um alle weitern Folgen nicht kümmert. Dieser Bruch wird bei nuiuchem alten Geheimrat ein Schütteln seines grauen Hauptes hervorrufen, wir aber wollen uns unsers jugendlichen Kaisers freuen, daß er den Mut besitzt, seinen Beamten und seinem Volke neue Wege zu weisen. Die beiden Erlasse Kaiser Wilhelms II. bedeuten einen Abschnitt nicht bloß in der wirtschaftlichen Geschichte unsers Volkes, sondern auch, wenn sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/309>, abgerufen am 23.07.2024.