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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Zur Geschichte von dem kranken Aönigssohne

Feierlichkeiten der Vermählung auszuweichen und sein erregtes Gemüt zu
beruhigen, sucht Antiochus vom König die Erlaubnis zu erwirken, daß er den
Hof meiden und sich in die Einsamkeit zurückziehen dürfe. Inzwischen hat er
eine Schachtel mit dem Bilde der Stratvnim verloren. Diese findet Arsinoe,
eine Nichte des Königs und Verlobte des tapfern Tigranes, die bereits den
Verdacht hegt, daß Antiochus die künftige Königin liebe. Bei einer Begeg¬
nung läßt sie ihn, wie zufällig, die Schachtel sehen, und Antiochus, der als¬
bald sein Eigentum erkennt, bittet die Fürstin, ihm das Kunstwerk auf einige
Zeit zu überlassen, indem er, um sich nicht zu verraten, vorgiebt, er wolle
ein ähnliches nach dem Modell anfertigen lassen. Arsinoe übergiebt ihm die
Schachtel, sie hat jedoch ihr eignes Bild hineingelegt, nur so den Prinzen
zu zwingen, sich durch weitere Nachforschungen zu verraten. Unmittelbar
darauf erscheint Stratvuiea, deren Vermittelung der Prinz in seinem Ver¬
langen, den Hof verlassen zu dürfen, angerufen hat, um das Ergebnis ihrer
Unterredung mit dem König zu berichten. Dieser ist nicht geneigt, dem Sohne
seinen Wunsch zu gewähren, und auch Stratoniea fragt im Lauf des Ge¬
spräches, ob es nichts am Hofe des Königs gebe, was den Prinzen anziehen
und fesseln könne. Da gesteht Antiochus, daß er liebe, und als dann Stra¬
toniea ihn bittet, er möge ihr den Gegenstand seiner Neigung nennen, holt
er nach langem Zögern das Bild der Arsinoe ans der Schachtel, die er so¬
eben bekommen hat, und ttbergiebt es statt jeder weiteren Erklärung der Ge¬
liebten, in der Meinung, daß es ihr eignes sei. So muß denn Stratoniea
glauben, daß der Prinz Arsinoe liebe, und da Arsinoe, wie gesagt, mit dem
Tigranes unter Zustimmung des Königs verlobt ist, Tigranes aber dem
Antiochus einmal das Leben gerettet hat und ihm durch Freundschaft ver¬
bunden ist, so bezieht Stratoniea die Selbstanklagen des Antiochus ganz
natürlich auf den Verrat, den er an der Freundschaft zu begehen verneine,
während dieser die innere Aufregung der Geliebten als Anzeichen der Ent¬
rüstung auffaßt. Aber Stratoniea ist edelmütig genng, dem Prinzen wegen
seines vermeinten Geständnisses nicht zu zürnen. Sie verrät vielmehr, um
ihn glücklich zu machen, alles dem Selenkus, zeigt ihm zur Bekräftigung ihrer
Aussage in Gegenwart des Antiochus das Bild der Arsinoe und bringt den
Prinzen, der die Wahrheit ja verschweigen muß, in die peinlichste Verlegenheit.
Der König aber ist hoch erfreut und fordert deu Tigranes auf, im Interesse
des Staates, der den Thronerben nicht verlieren dürfe, auf seine Neigung zu
verzichten. Tigranes ist bereit, dem Wunsche des .Königs und dem Wohle des
Staates sein persönliches Glück zu opfern, und da Antiochus natürlich das
Opfer ablehnt, so entsteht ein scheinbarer Wettstreit des Edelmuth. Damit
der Handel noch verwickelter werde, verlangt nun der König von Tigranes,
er solle sich mit einer andern vermählen, damit Arsinoe frei und so dein
Antiochus jeder Vorwand, sich zu weigern, genommen werde. Endlich wendet


Zur Geschichte von dem kranken Aönigssohne

Feierlichkeiten der Vermählung auszuweichen und sein erregtes Gemüt zu
beruhigen, sucht Antiochus vom König die Erlaubnis zu erwirken, daß er den
Hof meiden und sich in die Einsamkeit zurückziehen dürfe. Inzwischen hat er
eine Schachtel mit dem Bilde der Stratvnim verloren. Diese findet Arsinoe,
eine Nichte des Königs und Verlobte des tapfern Tigranes, die bereits den
Verdacht hegt, daß Antiochus die künftige Königin liebe. Bei einer Begeg¬
nung läßt sie ihn, wie zufällig, die Schachtel sehen, und Antiochus, der als¬
bald sein Eigentum erkennt, bittet die Fürstin, ihm das Kunstwerk auf einige
Zeit zu überlassen, indem er, um sich nicht zu verraten, vorgiebt, er wolle
ein ähnliches nach dem Modell anfertigen lassen. Arsinoe übergiebt ihm die
Schachtel, sie hat jedoch ihr eignes Bild hineingelegt, nur so den Prinzen
zu zwingen, sich durch weitere Nachforschungen zu verraten. Unmittelbar
darauf erscheint Stratvuiea, deren Vermittelung der Prinz in seinem Ver¬
langen, den Hof verlassen zu dürfen, angerufen hat, um das Ergebnis ihrer
Unterredung mit dem König zu berichten. Dieser ist nicht geneigt, dem Sohne
seinen Wunsch zu gewähren, und auch Stratoniea fragt im Lauf des Ge¬
spräches, ob es nichts am Hofe des Königs gebe, was den Prinzen anziehen
und fesseln könne. Da gesteht Antiochus, daß er liebe, und als dann Stra¬
toniea ihn bittet, er möge ihr den Gegenstand seiner Neigung nennen, holt
er nach langem Zögern das Bild der Arsinoe ans der Schachtel, die er so¬
eben bekommen hat, und ttbergiebt es statt jeder weiteren Erklärung der Ge¬
liebten, in der Meinung, daß es ihr eignes sei. So muß denn Stratoniea
glauben, daß der Prinz Arsinoe liebe, und da Arsinoe, wie gesagt, mit dem
Tigranes unter Zustimmung des Königs verlobt ist, Tigranes aber dem
Antiochus einmal das Leben gerettet hat und ihm durch Freundschaft ver¬
bunden ist, so bezieht Stratoniea die Selbstanklagen des Antiochus ganz
natürlich auf den Verrat, den er an der Freundschaft zu begehen verneine,
während dieser die innere Aufregung der Geliebten als Anzeichen der Ent¬
rüstung auffaßt. Aber Stratoniea ist edelmütig genng, dem Prinzen wegen
seines vermeinten Geständnisses nicht zu zürnen. Sie verrät vielmehr, um
ihn glücklich zu machen, alles dem Selenkus, zeigt ihm zur Bekräftigung ihrer
Aussage in Gegenwart des Antiochus das Bild der Arsinoe und bringt den
Prinzen, der die Wahrheit ja verschweigen muß, in die peinlichste Verlegenheit.
Der König aber ist hoch erfreut und fordert deu Tigranes auf, im Interesse
des Staates, der den Thronerben nicht verlieren dürfe, auf seine Neigung zu
verzichten. Tigranes ist bereit, dem Wunsche des .Königs und dem Wohle des
Staates sein persönliches Glück zu opfern, und da Antiochus natürlich das
Opfer ablehnt, so entsteht ein scheinbarer Wettstreit des Edelmuth. Damit
der Handel noch verwickelter werde, verlangt nun der König von Tigranes,
er solle sich mit einer andern vermählen, damit Arsinoe frei und so dein
Antiochus jeder Vorwand, sich zu weigern, genommen werde. Endlich wendet


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[0296] Zur Geschichte von dem kranken Aönigssohne Feierlichkeiten der Vermählung auszuweichen und sein erregtes Gemüt zu beruhigen, sucht Antiochus vom König die Erlaubnis zu erwirken, daß er den Hof meiden und sich in die Einsamkeit zurückziehen dürfe. Inzwischen hat er eine Schachtel mit dem Bilde der Stratvnim verloren. Diese findet Arsinoe, eine Nichte des Königs und Verlobte des tapfern Tigranes, die bereits den Verdacht hegt, daß Antiochus die künftige Königin liebe. Bei einer Begeg¬ nung läßt sie ihn, wie zufällig, die Schachtel sehen, und Antiochus, der als¬ bald sein Eigentum erkennt, bittet die Fürstin, ihm das Kunstwerk auf einige Zeit zu überlassen, indem er, um sich nicht zu verraten, vorgiebt, er wolle ein ähnliches nach dem Modell anfertigen lassen. Arsinoe übergiebt ihm die Schachtel, sie hat jedoch ihr eignes Bild hineingelegt, nur so den Prinzen zu zwingen, sich durch weitere Nachforschungen zu verraten. Unmittelbar darauf erscheint Stratvuiea, deren Vermittelung der Prinz in seinem Ver¬ langen, den Hof verlassen zu dürfen, angerufen hat, um das Ergebnis ihrer Unterredung mit dem König zu berichten. Dieser ist nicht geneigt, dem Sohne seinen Wunsch zu gewähren, und auch Stratoniea fragt im Lauf des Ge¬ spräches, ob es nichts am Hofe des Königs gebe, was den Prinzen anziehen und fesseln könne. Da gesteht Antiochus, daß er liebe, und als dann Stra¬ toniea ihn bittet, er möge ihr den Gegenstand seiner Neigung nennen, holt er nach langem Zögern das Bild der Arsinoe ans der Schachtel, die er so¬ eben bekommen hat, und ttbergiebt es statt jeder weiteren Erklärung der Ge¬ liebten, in der Meinung, daß es ihr eignes sei. So muß denn Stratoniea glauben, daß der Prinz Arsinoe liebe, und da Arsinoe, wie gesagt, mit dem Tigranes unter Zustimmung des Königs verlobt ist, Tigranes aber dem Antiochus einmal das Leben gerettet hat und ihm durch Freundschaft ver¬ bunden ist, so bezieht Stratoniea die Selbstanklagen des Antiochus ganz natürlich auf den Verrat, den er an der Freundschaft zu begehen verneine, während dieser die innere Aufregung der Geliebten als Anzeichen der Ent¬ rüstung auffaßt. Aber Stratoniea ist edelmütig genng, dem Prinzen wegen seines vermeinten Geständnisses nicht zu zürnen. Sie verrät vielmehr, um ihn glücklich zu machen, alles dem Selenkus, zeigt ihm zur Bekräftigung ihrer Aussage in Gegenwart des Antiochus das Bild der Arsinoe und bringt den Prinzen, der die Wahrheit ja verschweigen muß, in die peinlichste Verlegenheit. Der König aber ist hoch erfreut und fordert deu Tigranes auf, im Interesse des Staates, der den Thronerben nicht verlieren dürfe, auf seine Neigung zu verzichten. Tigranes ist bereit, dem Wunsche des .Königs und dem Wohle des Staates sein persönliches Glück zu opfern, und da Antiochus natürlich das Opfer ablehnt, so entsteht ein scheinbarer Wettstreit des Edelmuth. Damit der Handel noch verwickelter werde, verlangt nun der König von Tigranes, er solle sich mit einer andern vermählen, damit Arsinoe frei und so dein Antiochus jeder Vorwand, sich zu weigern, genommen werde. Endlich wendet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/296>, abgerufen am 23.07.2024.