Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bedenken über die Sprcichverbessernng

Die technische Seite wird in den " Sprach dummheiteu" hervorgehoben.
Es heißt da, einen Hund oder ein Pferd zu zeichnen werde nicht leicht jemand
sich unterstehen, der nicht zeichnen gelernt hat, dagegen einen Aufsatz zu schreiben
getraue sich jeder, obwohl auch das gelernt sein wolle und nicht jeder es ge¬
lernt habe. Dieses Selbstvertrauen ist aber doch sehr entschuldbar. Ob einer
zeichnen kann oder nicht, das ist mit völliger Sicherheit zu entscheide,:. Sieht
das Bild wirklich wie ein Hund oder Pferd aus, so kaun der, der es gemacht
hat, zeichnen; kommt aber ein Ding, das mehr einem Affen oder Esel gleicht,
oder eine bloße Sudelei zum Vorschein, so kann ers eben nicht. Borbilder für
einen Aufsatz als Maßstab der Beurteilung giebt es nicht, deun Kopiren ist hier
gerade das, was nicht geleistet werden soll. Darum kann beim Schreiben immer
nur von Besser- oder Schlechtermachen, nicht aber einfach vom Können und Nicht-
tonnen die Rede sein. Ein wenig hat doch auch wirklich jeder schreiben ge¬
lernt. Er kann sprechen und er kann Buchstaben zeichnen, folglich kann er
auch aufzeichnen, was er spricht. Außerdem: zum Zeichne" ist niemand ge¬
zwungen, der es nicht gelernt hat; Schreiben aber muß jeder manchmal,
wenn auch nicht gerade für den Druck. Das klare Bewußtsein des Nicht-
könuens tritt erst ein, wenn einem zugemutet wird, über eine Sache zu schreiben,
die er nicht versteht. Eine große Zahl der Sprachdummheiteu rührt daher,
daß heute Unzählige über Dinge schreiben, die sie nicht ordentlich verstehen,
oder die sie nicht gehörig durchdacht haben. Mit dem Xomnn Mnimwr in
n-unum ist nicht Wortklauberei gemeint, sondern Gedankenarbeit; unklare, schiefe
und falsche Ausdrucksweise ist meistens (nicht immer!) uur die Folge mangel¬
hafter Durchdringung des Gegenstandes; hat einer ein Ereignis oder ein Bild
nicht bis in die kleinsten Einzelheiten hinein scharf aufgefaßt, so füllt auch die
Beschreibung, die er davon entwirft, verschwommen ans. Demnach würde der
Sprachverein einen durchschlagenden Erfolg erzielen, wenn er jeden Deutschen
bewegen könnte, folgendes zu geloben: 1. So lange ich keine Übung im
Schreiben habe, schreibe ich nichts für den Druck. 2. Nie werde ich über etwas
schreiben, was ich nicht ordentlich verstehe. 3. Ein Rede oder sonst ein Schrift¬
stück, das ergreifen soll, werde ich niemals aufsetzen, wenn ich mich nicht innerlich
dazu gedrängt fühle. 4. Einen Aufsatz, der Studium und Nachdenken erfordert,
werde ich nie eher in Druck geben, als bis ich von jedem einzelnen Satze die
Überzeugung gewonnen habe: bester oder auch nur anders kann der Gedanke
schlechterdings nicht ausgedrückt werden. Wie wenig würde dann gedruckt
werden, und wie gut würde das Wenige sein!

Hätte ich dieses Gelöbnis abgelegt, so würden auch die vorstehenden Be¬
trachtungen ungeschrieben geblieben sein oder wenigstens vor Ablauf von neun
Jahren nicht gedruckt werden. Ihr Hauptzweck war, darau zu erinnern, daß
die Ausübung der Schreibkunst weit inniger mit der Geistesverfassung und den
^ebensverhältuisseu der Ausübeudeu verfluchten ist als die jeder andern, und


Bedenken über die Sprcichverbessernng

Die technische Seite wird in den „ Sprach dummheiteu" hervorgehoben.
Es heißt da, einen Hund oder ein Pferd zu zeichnen werde nicht leicht jemand
sich unterstehen, der nicht zeichnen gelernt hat, dagegen einen Aufsatz zu schreiben
getraue sich jeder, obwohl auch das gelernt sein wolle und nicht jeder es ge¬
lernt habe. Dieses Selbstvertrauen ist aber doch sehr entschuldbar. Ob einer
zeichnen kann oder nicht, das ist mit völliger Sicherheit zu entscheide,:. Sieht
das Bild wirklich wie ein Hund oder Pferd aus, so kaun der, der es gemacht
hat, zeichnen; kommt aber ein Ding, das mehr einem Affen oder Esel gleicht,
oder eine bloße Sudelei zum Vorschein, so kann ers eben nicht. Borbilder für
einen Aufsatz als Maßstab der Beurteilung giebt es nicht, deun Kopiren ist hier
gerade das, was nicht geleistet werden soll. Darum kann beim Schreiben immer
nur von Besser- oder Schlechtermachen, nicht aber einfach vom Können und Nicht-
tonnen die Rede sein. Ein wenig hat doch auch wirklich jeder schreiben ge¬
lernt. Er kann sprechen und er kann Buchstaben zeichnen, folglich kann er
auch aufzeichnen, was er spricht. Außerdem: zum Zeichne« ist niemand ge¬
zwungen, der es nicht gelernt hat; Schreiben aber muß jeder manchmal,
wenn auch nicht gerade für den Druck. Das klare Bewußtsein des Nicht-
könuens tritt erst ein, wenn einem zugemutet wird, über eine Sache zu schreiben,
die er nicht versteht. Eine große Zahl der Sprachdummheiteu rührt daher,
daß heute Unzählige über Dinge schreiben, die sie nicht ordentlich verstehen,
oder die sie nicht gehörig durchdacht haben. Mit dem Xomnn Mnimwr in
n-unum ist nicht Wortklauberei gemeint, sondern Gedankenarbeit; unklare, schiefe
und falsche Ausdrucksweise ist meistens (nicht immer!) uur die Folge mangel¬
hafter Durchdringung des Gegenstandes; hat einer ein Ereignis oder ein Bild
nicht bis in die kleinsten Einzelheiten hinein scharf aufgefaßt, so füllt auch die
Beschreibung, die er davon entwirft, verschwommen ans. Demnach würde der
Sprachverein einen durchschlagenden Erfolg erzielen, wenn er jeden Deutschen
bewegen könnte, folgendes zu geloben: 1. So lange ich keine Übung im
Schreiben habe, schreibe ich nichts für den Druck. 2. Nie werde ich über etwas
schreiben, was ich nicht ordentlich verstehe. 3. Ein Rede oder sonst ein Schrift¬
stück, das ergreifen soll, werde ich niemals aufsetzen, wenn ich mich nicht innerlich
dazu gedrängt fühle. 4. Einen Aufsatz, der Studium und Nachdenken erfordert,
werde ich nie eher in Druck geben, als bis ich von jedem einzelnen Satze die
Überzeugung gewonnen habe: bester oder auch nur anders kann der Gedanke
schlechterdings nicht ausgedrückt werden. Wie wenig würde dann gedruckt
werden, und wie gut würde das Wenige sein!

Hätte ich dieses Gelöbnis abgelegt, so würden auch die vorstehenden Be¬
trachtungen ungeschrieben geblieben sein oder wenigstens vor Ablauf von neun
Jahren nicht gedruckt werden. Ihr Hauptzweck war, darau zu erinnern, daß
die Ausübung der Schreibkunst weit inniger mit der Geistesverfassung und den
^ebensverhältuisseu der Ausübeudeu verfluchten ist als die jeder andern, und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206939"/>
            <fw type="header" place="top"> Bedenken über die Sprcichverbessernng</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_786"> Die technische Seite wird in den &#x201E; Sprach dummheiteu" hervorgehoben.<lb/>
Es heißt da, einen Hund oder ein Pferd zu zeichnen werde nicht leicht jemand<lb/>
sich unterstehen, der nicht zeichnen gelernt hat, dagegen einen Aufsatz zu schreiben<lb/>
getraue sich jeder, obwohl auch das gelernt sein wolle und nicht jeder es ge¬<lb/>
lernt habe. Dieses Selbstvertrauen ist aber doch sehr entschuldbar. Ob einer<lb/>
zeichnen kann oder nicht, das ist mit völliger Sicherheit zu entscheide,:. Sieht<lb/>
das Bild wirklich wie ein Hund oder Pferd aus, so kaun der, der es gemacht<lb/>
hat, zeichnen; kommt aber ein Ding, das mehr einem Affen oder Esel gleicht,<lb/>
oder eine bloße Sudelei zum Vorschein, so kann ers eben nicht. Borbilder für<lb/>
einen Aufsatz als Maßstab der Beurteilung giebt es nicht, deun Kopiren ist hier<lb/>
gerade das, was nicht geleistet werden soll. Darum kann beim Schreiben immer<lb/>
nur von Besser- oder Schlechtermachen, nicht aber einfach vom Können und Nicht-<lb/>
tonnen die Rede sein. Ein wenig hat doch auch wirklich jeder schreiben ge¬<lb/>
lernt. Er kann sprechen und er kann Buchstaben zeichnen, folglich kann er<lb/>
auch aufzeichnen, was er spricht. Außerdem: zum Zeichne« ist niemand ge¬<lb/>
zwungen, der es nicht gelernt hat; Schreiben aber muß jeder manchmal,<lb/>
wenn auch nicht gerade für den Druck. Das klare Bewußtsein des Nicht-<lb/>
könuens tritt erst ein, wenn einem zugemutet wird, über eine Sache zu schreiben,<lb/>
die er nicht versteht. Eine große Zahl der Sprachdummheiteu rührt daher,<lb/>
daß heute Unzählige über Dinge schreiben, die sie nicht ordentlich verstehen,<lb/>
oder die sie nicht gehörig durchdacht haben. Mit dem Xomnn Mnimwr in<lb/>
n-unum ist nicht Wortklauberei gemeint, sondern Gedankenarbeit; unklare, schiefe<lb/>
und falsche Ausdrucksweise ist meistens (nicht immer!) uur die Folge mangel¬<lb/>
hafter Durchdringung des Gegenstandes; hat einer ein Ereignis oder ein Bild<lb/>
nicht bis in die kleinsten Einzelheiten hinein scharf aufgefaßt, so füllt auch die<lb/>
Beschreibung, die er davon entwirft, verschwommen ans. Demnach würde der<lb/>
Sprachverein einen durchschlagenden Erfolg erzielen, wenn er jeden Deutschen<lb/>
bewegen könnte, folgendes zu geloben: 1. So lange ich keine Übung im<lb/>
Schreiben habe, schreibe ich nichts für den Druck. 2. Nie werde ich über etwas<lb/>
schreiben, was ich nicht ordentlich verstehe. 3. Ein Rede oder sonst ein Schrift¬<lb/>
stück, das ergreifen soll, werde ich niemals aufsetzen, wenn ich mich nicht innerlich<lb/>
dazu gedrängt fühle. 4. Einen Aufsatz, der Studium und Nachdenken erfordert,<lb/>
werde ich nie eher in Druck geben, als bis ich von jedem einzelnen Satze die<lb/>
Überzeugung gewonnen habe: bester oder auch nur anders kann der Gedanke<lb/>
schlechterdings nicht ausgedrückt werden. Wie wenig würde dann gedruckt<lb/>
werden, und wie gut würde das Wenige sein!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_787" next="#ID_788"> Hätte ich dieses Gelöbnis abgelegt, so würden auch die vorstehenden Be¬<lb/>
trachtungen ungeschrieben geblieben sein oder wenigstens vor Ablauf von neun<lb/>
Jahren nicht gedruckt werden. Ihr Hauptzweck war, darau zu erinnern, daß<lb/>
die Ausübung der Schreibkunst weit inniger mit der Geistesverfassung und den<lb/>
^ebensverhältuisseu der Ausübeudeu verfluchten ist als die jeder andern, und</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0294] Bedenken über die Sprcichverbessernng Die technische Seite wird in den „ Sprach dummheiteu" hervorgehoben. Es heißt da, einen Hund oder ein Pferd zu zeichnen werde nicht leicht jemand sich unterstehen, der nicht zeichnen gelernt hat, dagegen einen Aufsatz zu schreiben getraue sich jeder, obwohl auch das gelernt sein wolle und nicht jeder es ge¬ lernt habe. Dieses Selbstvertrauen ist aber doch sehr entschuldbar. Ob einer zeichnen kann oder nicht, das ist mit völliger Sicherheit zu entscheide,:. Sieht das Bild wirklich wie ein Hund oder Pferd aus, so kaun der, der es gemacht hat, zeichnen; kommt aber ein Ding, das mehr einem Affen oder Esel gleicht, oder eine bloße Sudelei zum Vorschein, so kann ers eben nicht. Borbilder für einen Aufsatz als Maßstab der Beurteilung giebt es nicht, deun Kopiren ist hier gerade das, was nicht geleistet werden soll. Darum kann beim Schreiben immer nur von Besser- oder Schlechtermachen, nicht aber einfach vom Können und Nicht- tonnen die Rede sein. Ein wenig hat doch auch wirklich jeder schreiben ge¬ lernt. Er kann sprechen und er kann Buchstaben zeichnen, folglich kann er auch aufzeichnen, was er spricht. Außerdem: zum Zeichne« ist niemand ge¬ zwungen, der es nicht gelernt hat; Schreiben aber muß jeder manchmal, wenn auch nicht gerade für den Druck. Das klare Bewußtsein des Nicht- könuens tritt erst ein, wenn einem zugemutet wird, über eine Sache zu schreiben, die er nicht versteht. Eine große Zahl der Sprachdummheiteu rührt daher, daß heute Unzählige über Dinge schreiben, die sie nicht ordentlich verstehen, oder die sie nicht gehörig durchdacht haben. Mit dem Xomnn Mnimwr in n-unum ist nicht Wortklauberei gemeint, sondern Gedankenarbeit; unklare, schiefe und falsche Ausdrucksweise ist meistens (nicht immer!) uur die Folge mangel¬ hafter Durchdringung des Gegenstandes; hat einer ein Ereignis oder ein Bild nicht bis in die kleinsten Einzelheiten hinein scharf aufgefaßt, so füllt auch die Beschreibung, die er davon entwirft, verschwommen ans. Demnach würde der Sprachverein einen durchschlagenden Erfolg erzielen, wenn er jeden Deutschen bewegen könnte, folgendes zu geloben: 1. So lange ich keine Übung im Schreiben habe, schreibe ich nichts für den Druck. 2. Nie werde ich über etwas schreiben, was ich nicht ordentlich verstehe. 3. Ein Rede oder sonst ein Schrift¬ stück, das ergreifen soll, werde ich niemals aufsetzen, wenn ich mich nicht innerlich dazu gedrängt fühle. 4. Einen Aufsatz, der Studium und Nachdenken erfordert, werde ich nie eher in Druck geben, als bis ich von jedem einzelnen Satze die Überzeugung gewonnen habe: bester oder auch nur anders kann der Gedanke schlechterdings nicht ausgedrückt werden. Wie wenig würde dann gedruckt werden, und wie gut würde das Wenige sein! Hätte ich dieses Gelöbnis abgelegt, so würden auch die vorstehenden Be¬ trachtungen ungeschrieben geblieben sein oder wenigstens vor Ablauf von neun Jahren nicht gedruckt werden. Ihr Hauptzweck war, darau zu erinnern, daß die Ausübung der Schreibkunst weit inniger mit der Geistesverfassung und den ^ebensverhältuisseu der Ausübeudeu verfluchten ist als die jeder andern, und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/294
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/294>, abgerufen am 26.06.2024.