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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Sybel über die Gründung des Reiches

Sprunge des Tigers von Westen her gewachsen zu sein, und um das arme,
unglückliche, schuldige und deshalb halb stnltisirende, halb konspirirende Dcntsch-
schland vor seinen Krallen zu beuiahren und das gottlose, antichristliche
Scheusal der Revolution zu bekämpfen. Es war mein ernster Entschluß und
aufrichtiger Wunsch, in diesen Verlvicklungen auf Tod und Leben vereint mit
meinem lieben England zu gehen. Wenn aber England jetzt Verderben und Tod
für die Türken auf christliche Soldaten schleudert, so bricht auch dieser Lieblings¬
wunsch zusammen," Pourtales sollte alles aufbieten, die preußische Neutralität
als Gewinn für die gemeinsame Sache darzustellen; sie werde nicht unthätig,
sondern stets bemüht sein, zu vermitteln und guten Vorschlägen in Rußland
Eingang zu verschaffen, und wenn es schließlich zur Entscheidung komme, werde
auch Preußen im Notfalle sein Gewicht in die Wagschale werfen. Um aber
solche Dienste leisten zu können, müsse es begehren, daß England und auf dessen
Einwirkung Frankreich die Unverletzlichkeit des preußischen und deutschen Ge¬
bietes gewährleiste und sich jeder Einmischung in die innern Angelegenheiten
Deutschlands enthalte, und daß diese Mächte im voraus ihre Zustimmung aus¬
sprächen, falls Preußen, sei es infolge revolutionärer Bewegungen, sei es wegen
entgegengesetzter Parteinahme einzelner deutscher Staaten, sich genötigt finde,
aufs neue und vielleicht über das jetzige Bundesrecht hinaus die Pflichten auf
sich zu nehmen, die es 1849 erfüllt habe. Die Pourtalessche Sendung blieb
völlig erfolglos. Aber ebensowenig gelangen Bunsens Bemühungen, den König
auf deu Standpunkt der Westmächte zu ziehen, und als im Februar 1854
deren entscheidende Anfrage erging, richtete Friedrich Wilhelm zwar an seinen
kaiserlichen Schwager die warme Bitte, durch Räumung der von ihm besetzten
Donaufürstentümer ein kolossales Unglück von Europa fernzuhalten, lehnte aber
die von den Weftmächten vvrgeschlagne Konvention unbedingt ab und erklärte,
Preußen sei nach wie vor mit den Grundsätzen der Protokolle einverstanden,
wolle sich jedoch in der Wahl der Mittel zu ihrer Verwirklichung die Hände
nicht binden. Im März schrieb er dann eigenhändig an Viktoria und Napoleon,
um sie eindringlich zum Frieden zu ernähren und ihnen zu erklären, daß er
selbst streng neutral bleiben werde. Sybel sagt dazu: "Denke man über seine
Beweggründe, über die einzelnen Schritte und die krausen Arabesken, womit
er sie dekorirte, wie mau wolle, heute wird kein Unbefangner leugnen, daß die
Neutralität die den Interessen des preußischen Staates von damals einzig ent¬
sprechende Politik war. Die Vorstellung, daß Preußen durch einen kräftigen
Angriff auf Rußland ganz Deutschland um sich gesammelt und damit die
nationale Einheit unter seiner Führung hergestellt hätte, ließe sich hören, hätte
man bei einem solchen Kriege nicht zwei Bundesgenossen gehabt, welche preußische
Bataillone sehr gern mit den Russen im Streite gesehen, aber jede unitarische
Regung in Deutschland dann umso rücksichtsloser zertreten hätten. Nur keine
deutsche Einheit, erklärte Napoleon dem Herzog von Koburg. Kein Gedanke


Sybel über die Gründung des Reiches

Sprunge des Tigers von Westen her gewachsen zu sein, und um das arme,
unglückliche, schuldige und deshalb halb stnltisirende, halb konspirirende Dcntsch-
schland vor seinen Krallen zu beuiahren und das gottlose, antichristliche
Scheusal der Revolution zu bekämpfen. Es war mein ernster Entschluß und
aufrichtiger Wunsch, in diesen Verlvicklungen auf Tod und Leben vereint mit
meinem lieben England zu gehen. Wenn aber England jetzt Verderben und Tod
für die Türken auf christliche Soldaten schleudert, so bricht auch dieser Lieblings¬
wunsch zusammen," Pourtales sollte alles aufbieten, die preußische Neutralität
als Gewinn für die gemeinsame Sache darzustellen; sie werde nicht unthätig,
sondern stets bemüht sein, zu vermitteln und guten Vorschlägen in Rußland
Eingang zu verschaffen, und wenn es schließlich zur Entscheidung komme, werde
auch Preußen im Notfalle sein Gewicht in die Wagschale werfen. Um aber
solche Dienste leisten zu können, müsse es begehren, daß England und auf dessen
Einwirkung Frankreich die Unverletzlichkeit des preußischen und deutschen Ge¬
bietes gewährleiste und sich jeder Einmischung in die innern Angelegenheiten
Deutschlands enthalte, und daß diese Mächte im voraus ihre Zustimmung aus¬
sprächen, falls Preußen, sei es infolge revolutionärer Bewegungen, sei es wegen
entgegengesetzter Parteinahme einzelner deutscher Staaten, sich genötigt finde,
aufs neue und vielleicht über das jetzige Bundesrecht hinaus die Pflichten auf
sich zu nehmen, die es 1849 erfüllt habe. Die Pourtalessche Sendung blieb
völlig erfolglos. Aber ebensowenig gelangen Bunsens Bemühungen, den König
auf deu Standpunkt der Westmächte zu ziehen, und als im Februar 1854
deren entscheidende Anfrage erging, richtete Friedrich Wilhelm zwar an seinen
kaiserlichen Schwager die warme Bitte, durch Räumung der von ihm besetzten
Donaufürstentümer ein kolossales Unglück von Europa fernzuhalten, lehnte aber
die von den Weftmächten vvrgeschlagne Konvention unbedingt ab und erklärte,
Preußen sei nach wie vor mit den Grundsätzen der Protokolle einverstanden,
wolle sich jedoch in der Wahl der Mittel zu ihrer Verwirklichung die Hände
nicht binden. Im März schrieb er dann eigenhändig an Viktoria und Napoleon,
um sie eindringlich zum Frieden zu ernähren und ihnen zu erklären, daß er
selbst streng neutral bleiben werde. Sybel sagt dazu: „Denke man über seine
Beweggründe, über die einzelnen Schritte und die krausen Arabesken, womit
er sie dekorirte, wie mau wolle, heute wird kein Unbefangner leugnen, daß die
Neutralität die den Interessen des preußischen Staates von damals einzig ent¬
sprechende Politik war. Die Vorstellung, daß Preußen durch einen kräftigen
Angriff auf Rußland ganz Deutschland um sich gesammelt und damit die
nationale Einheit unter seiner Führung hergestellt hätte, ließe sich hören, hätte
man bei einem solchen Kriege nicht zwei Bundesgenossen gehabt, welche preußische
Bataillone sehr gern mit den Russen im Streite gesehen, aber jede unitarische
Regung in Deutschland dann umso rücksichtsloser zertreten hätten. Nur keine
deutsche Einheit, erklärte Napoleon dem Herzog von Koburg. Kein Gedanke


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[0277] Sybel über die Gründung des Reiches Sprunge des Tigers von Westen her gewachsen zu sein, und um das arme, unglückliche, schuldige und deshalb halb stnltisirende, halb konspirirende Dcntsch- schland vor seinen Krallen zu beuiahren und das gottlose, antichristliche Scheusal der Revolution zu bekämpfen. Es war mein ernster Entschluß und aufrichtiger Wunsch, in diesen Verlvicklungen auf Tod und Leben vereint mit meinem lieben England zu gehen. Wenn aber England jetzt Verderben und Tod für die Türken auf christliche Soldaten schleudert, so bricht auch dieser Lieblings¬ wunsch zusammen," Pourtales sollte alles aufbieten, die preußische Neutralität als Gewinn für die gemeinsame Sache darzustellen; sie werde nicht unthätig, sondern stets bemüht sein, zu vermitteln und guten Vorschlägen in Rußland Eingang zu verschaffen, und wenn es schließlich zur Entscheidung komme, werde auch Preußen im Notfalle sein Gewicht in die Wagschale werfen. Um aber solche Dienste leisten zu können, müsse es begehren, daß England und auf dessen Einwirkung Frankreich die Unverletzlichkeit des preußischen und deutschen Ge¬ bietes gewährleiste und sich jeder Einmischung in die innern Angelegenheiten Deutschlands enthalte, und daß diese Mächte im voraus ihre Zustimmung aus¬ sprächen, falls Preußen, sei es infolge revolutionärer Bewegungen, sei es wegen entgegengesetzter Parteinahme einzelner deutscher Staaten, sich genötigt finde, aufs neue und vielleicht über das jetzige Bundesrecht hinaus die Pflichten auf sich zu nehmen, die es 1849 erfüllt habe. Die Pourtalessche Sendung blieb völlig erfolglos. Aber ebensowenig gelangen Bunsens Bemühungen, den König auf deu Standpunkt der Westmächte zu ziehen, und als im Februar 1854 deren entscheidende Anfrage erging, richtete Friedrich Wilhelm zwar an seinen kaiserlichen Schwager die warme Bitte, durch Räumung der von ihm besetzten Donaufürstentümer ein kolossales Unglück von Europa fernzuhalten, lehnte aber die von den Weftmächten vvrgeschlagne Konvention unbedingt ab und erklärte, Preußen sei nach wie vor mit den Grundsätzen der Protokolle einverstanden, wolle sich jedoch in der Wahl der Mittel zu ihrer Verwirklichung die Hände nicht binden. Im März schrieb er dann eigenhändig an Viktoria und Napoleon, um sie eindringlich zum Frieden zu ernähren und ihnen zu erklären, daß er selbst streng neutral bleiben werde. Sybel sagt dazu: „Denke man über seine Beweggründe, über die einzelnen Schritte und die krausen Arabesken, womit er sie dekorirte, wie mau wolle, heute wird kein Unbefangner leugnen, daß die Neutralität die den Interessen des preußischen Staates von damals einzig ent¬ sprechende Politik war. Die Vorstellung, daß Preußen durch einen kräftigen Angriff auf Rußland ganz Deutschland um sich gesammelt und damit die nationale Einheit unter seiner Führung hergestellt hätte, ließe sich hören, hätte man bei einem solchen Kriege nicht zwei Bundesgenossen gehabt, welche preußische Bataillone sehr gern mit den Russen im Streite gesehen, aber jede unitarische Regung in Deutschland dann umso rücksichtsloser zertreten hätten. Nur keine deutsche Einheit, erklärte Napoleon dem Herzog von Koburg. Kein Gedanke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/277>, abgerufen am 23.07.2024.