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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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dem bloßen Vorkommen dieses Themas natürlich keine Schlüsse gezogen werden
können. ?tres trägt die irische Sage besondre Züge, die auch dann bleiben,
wenn man sie in der eben angedeuteten Weise umgestalten wollte. Aber das
Urteil des Arztes und die Art, wie er den Grund des Leidens erforscht,
stimmt genan mit der orientalisch-griechischen Legende, und wenn man dieses
Motiv als den Quellpunkt der sonst weit aus einander gehenden Erzählungen
betrachten will, so wird man allerdings geneigt sein, auch die irische Sage auf
fremde Einflüsse zurückzuführen. Gleichwohl giebt es einen wesentlichen Unter¬
schied, der uicht übersehen werden darf. In der irischen Erzählung nämlich
hat die Diagnose des Arztes durchaus keine Folgen, während sie sonst regel¬
mäßig die Heilung einleitet oder doch wenigstens wie in der früher besprochenen
Episode des griechischen Romans ein greifbares Ergebnis hat. Hier aber wird
über die Person der heimlich geliebten gar nichts ermittelt, und so ist denn
die Heilung von dem Gutachten des Arztes unabhängig. Etain kommt ans
ganz anderm Wege hinter das Geheimnis Ailills, und die Stelle, die von der
Untersuchung des Kranken handelt, läßt sich ohne Schaden für die Erzählung
beseitigen. Was folgt daraus? Vielleicht die Selbständigkeit der irischen Sage,
so, daß das Motiv der Pulsfühlung späterhin von der Hand eines Uberarbciters
eingesetzt worden ist. Für diese Auffassung scheint noch ein weiterer Umstand
zu sprechen. Die oben nach dem sogenannten Egertonmannskript mitgeteilte
Sage ist noch in einer zweiten, kürzern Fassung erhalten, die ans den ersten
Blick den Eindruck eines Auszugs macht, aber wahrscheinlich die ältere Gestalt
der Überlieferung darstellt. "Denn -- sagt Windisch in der Einleitung zu dem
irischen Text -- im allgemeinen läßt sich beobachten, daß die Texte in den
jüngern Handschriften ausgedehnt und ausgeschmückt sind." "Freilich -- fügt
er hinzu -- ist es doch die Frage, ob die ersten Teile dieser Sage in älterer
Zeit immer nur in der ziemlich kahlen Form erzählt wurden, in der sie in
Jo. 17. öd. h. loiwr (Buch) ti'M<ir"zö vorliegen"; und so mögen denn beide
Überlieferungen, die eine vermehrt, die andre verkürzt, ans einer gemeinsamen
Quelle stammen. Wie dem aber auch sei, jedenfalls hat die Egertonhandschrift
nachweisbare Zusätze/") Zu diesen wird anch das hier in Rede stehende Motiv
gehören, das im Egertonmannskript sogar in unmittelbarer Folge wiederholt
ist, während es die kürzere Handschrift nicht kennt. Um die Quelle selbst aber
angeben oder auch nur vermuten zu können, müßte man mehr von der irischen
Litteratur wissen, als die flüchtige Betrachtung einer irischen Sage abwirft.

Aus dem luftigen Bereiche der Vermutungen treten wir nunmehr auf den
festen Boden der Thatsachen. Wir sehen, wie im siebzehnten Jahrhundert die
Antivchnslegende in eine neue Ära tritt, indem sie mehrfach Anregung zu



Zu diesen möchte ich auch die bereits angeführte Erwähnung von Ailills Gemahlin
rechnen, die in I^. it. fehlt. Dann wäre Ailill ursprünglich unvermählt gedacht und damit
der seltsame Umstand, daß er von dem Bruder in Elams Pflege gegeben wird, zur Genüge erklärt.

dem bloßen Vorkommen dieses Themas natürlich keine Schlüsse gezogen werden
können. ?tres trägt die irische Sage besondre Züge, die auch dann bleiben,
wenn man sie in der eben angedeuteten Weise umgestalten wollte. Aber das
Urteil des Arztes und die Art, wie er den Grund des Leidens erforscht,
stimmt genan mit der orientalisch-griechischen Legende, und wenn man dieses
Motiv als den Quellpunkt der sonst weit aus einander gehenden Erzählungen
betrachten will, so wird man allerdings geneigt sein, auch die irische Sage auf
fremde Einflüsse zurückzuführen. Gleichwohl giebt es einen wesentlichen Unter¬
schied, der uicht übersehen werden darf. In der irischen Erzählung nämlich
hat die Diagnose des Arztes durchaus keine Folgen, während sie sonst regel¬
mäßig die Heilung einleitet oder doch wenigstens wie in der früher besprochenen
Episode des griechischen Romans ein greifbares Ergebnis hat. Hier aber wird
über die Person der heimlich geliebten gar nichts ermittelt, und so ist denn
die Heilung von dem Gutachten des Arztes unabhängig. Etain kommt ans
ganz anderm Wege hinter das Geheimnis Ailills, und die Stelle, die von der
Untersuchung des Kranken handelt, läßt sich ohne Schaden für die Erzählung
beseitigen. Was folgt daraus? Vielleicht die Selbständigkeit der irischen Sage,
so, daß das Motiv der Pulsfühlung späterhin von der Hand eines Uberarbciters
eingesetzt worden ist. Für diese Auffassung scheint noch ein weiterer Umstand
zu sprechen. Die oben nach dem sogenannten Egertonmannskript mitgeteilte
Sage ist noch in einer zweiten, kürzern Fassung erhalten, die ans den ersten
Blick den Eindruck eines Auszugs macht, aber wahrscheinlich die ältere Gestalt
der Überlieferung darstellt. „Denn — sagt Windisch in der Einleitung zu dem
irischen Text — im allgemeinen läßt sich beobachten, daß die Texte in den
jüngern Handschriften ausgedehnt und ausgeschmückt sind." „Freilich — fügt
er hinzu — ist es doch die Frage, ob die ersten Teile dieser Sage in älterer
Zeit immer nur in der ziemlich kahlen Form erzählt wurden, in der sie in
Jo. 17. öd. h. loiwr (Buch) ti'M<ir«zö vorliegen"; und so mögen denn beide
Überlieferungen, die eine vermehrt, die andre verkürzt, ans einer gemeinsamen
Quelle stammen. Wie dem aber auch sei, jedenfalls hat die Egertonhandschrift
nachweisbare Zusätze/") Zu diesen wird anch das hier in Rede stehende Motiv
gehören, das im Egertonmannskript sogar in unmittelbarer Folge wiederholt
ist, während es die kürzere Handschrift nicht kennt. Um die Quelle selbst aber
angeben oder auch nur vermuten zu können, müßte man mehr von der irischen
Litteratur wissen, als die flüchtige Betrachtung einer irischen Sage abwirft.

Aus dem luftigen Bereiche der Vermutungen treten wir nunmehr auf den
festen Boden der Thatsachen. Wir sehen, wie im siebzehnten Jahrhundert die
Antivchnslegende in eine neue Ära tritt, indem sie mehrfach Anregung zu



Zu diesen möchte ich auch die bereits angeführte Erwähnung von Ailills Gemahlin
rechnen, die in I^. it. fehlt. Dann wäre Ailill ursprünglich unvermählt gedacht und damit
der seltsame Umstand, daß er von dem Bruder in Elams Pflege gegeben wird, zur Genüge erklärt.
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[0238] dem bloßen Vorkommen dieses Themas natürlich keine Schlüsse gezogen werden können. ?tres trägt die irische Sage besondre Züge, die auch dann bleiben, wenn man sie in der eben angedeuteten Weise umgestalten wollte. Aber das Urteil des Arztes und die Art, wie er den Grund des Leidens erforscht, stimmt genan mit der orientalisch-griechischen Legende, und wenn man dieses Motiv als den Quellpunkt der sonst weit aus einander gehenden Erzählungen betrachten will, so wird man allerdings geneigt sein, auch die irische Sage auf fremde Einflüsse zurückzuführen. Gleichwohl giebt es einen wesentlichen Unter¬ schied, der uicht übersehen werden darf. In der irischen Erzählung nämlich hat die Diagnose des Arztes durchaus keine Folgen, während sie sonst regel¬ mäßig die Heilung einleitet oder doch wenigstens wie in der früher besprochenen Episode des griechischen Romans ein greifbares Ergebnis hat. Hier aber wird über die Person der heimlich geliebten gar nichts ermittelt, und so ist denn die Heilung von dem Gutachten des Arztes unabhängig. Etain kommt ans ganz anderm Wege hinter das Geheimnis Ailills, und die Stelle, die von der Untersuchung des Kranken handelt, läßt sich ohne Schaden für die Erzählung beseitigen. Was folgt daraus? Vielleicht die Selbständigkeit der irischen Sage, so, daß das Motiv der Pulsfühlung späterhin von der Hand eines Uberarbciters eingesetzt worden ist. Für diese Auffassung scheint noch ein weiterer Umstand zu sprechen. Die oben nach dem sogenannten Egertonmannskript mitgeteilte Sage ist noch in einer zweiten, kürzern Fassung erhalten, die ans den ersten Blick den Eindruck eines Auszugs macht, aber wahrscheinlich die ältere Gestalt der Überlieferung darstellt. „Denn — sagt Windisch in der Einleitung zu dem irischen Text — im allgemeinen läßt sich beobachten, daß die Texte in den jüngern Handschriften ausgedehnt und ausgeschmückt sind." „Freilich — fügt er hinzu — ist es doch die Frage, ob die ersten Teile dieser Sage in älterer Zeit immer nur in der ziemlich kahlen Form erzählt wurden, in der sie in Jo. 17. öd. h. loiwr (Buch) ti'M<ir«zö vorliegen"; und so mögen denn beide Überlieferungen, die eine vermehrt, die andre verkürzt, ans einer gemeinsamen Quelle stammen. Wie dem aber auch sei, jedenfalls hat die Egertonhandschrift nachweisbare Zusätze/") Zu diesen wird anch das hier in Rede stehende Motiv gehören, das im Egertonmannskript sogar in unmittelbarer Folge wiederholt ist, während es die kürzere Handschrift nicht kennt. Um die Quelle selbst aber angeben oder auch nur vermuten zu können, müßte man mehr von der irischen Litteratur wissen, als die flüchtige Betrachtung einer irischen Sage abwirft. Aus dem luftigen Bereiche der Vermutungen treten wir nunmehr auf den festen Boden der Thatsachen. Wir sehen, wie im siebzehnten Jahrhundert die Antivchnslegende in eine neue Ära tritt, indem sie mehrfach Anregung zu Zu diesen möchte ich auch die bereits angeführte Erwähnung von Ailills Gemahlin rechnen, die in I^. it. fehlt. Dann wäre Ailill ursprünglich unvermählt gedacht und damit der seltsame Umstand, daß er von dem Bruder in Elams Pflege gegeben wird, zur Genüge erklärt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/238>, abgerufen am 23.07.2024.