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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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als Schirmvogt der Kirche sie vor jedem Angriffe durch ketzerische oder anti¬
christliche Elemente zu schützen." ,

Fassen wir das zusammen, so ging Denken und Wollen des Königs
dahin, daß er an der von Gott verordneten königlichen Unbeschränktheit in
Sachen der Staatsverwaltung unbedingt festhielt, aber zugleich diesen Kreis
seines Wirkens zu Gunsten unabhängiger Kirchenbehvrden, üblicher Lokalgewalten
und persönlicher Rechte der Bürger enger zu ziehen gedachte. Die einförmige,
straff zeutralisirte, überall sich eindrängende Bureaukratie war ihm gründlich
zuwider, da er meinte, sie lasse keine Mannichfaltigkeit der Einrichtungen und
keine fruchtbare persönliche Einwirkung des Herrschers aufkommen. Mit dieser
Denkart, diesen Vorsätzen trat er in eine Zeit hinaus, in der die Mehrheit der
an politischen Dingen teilnehmenden Preußen (Shbel sagt "eine gewaltige
Mehrheit der Bevölkerung") ungeduldig volle Teilnahme an dem öffentlichen
Wesen verlangte, die stimmführende Litteratur sich gegen jede überlieferte
Autorität in Staat und Kirche skeptisch und kritisch verhielt und Beschränkung
der monarchischen Gewalt durch allgemeine Rechte und Freiheiten, nicht aber
durch Begünstigung der Aristokratie und Hierarchie wünschte. "Dem allen
stand der König gegenüber wie der Sohn einer vergangnen Zeit, der Bürger
einer andern Welt, der Redner in einer andern Sprache. Es siel dies um so
schwerer ins Gewicht, als er nach seinem individuellen und königlichen Selbst¬
bewußtsein durchaus ein persönliches Regiment führte, seine Minister in strenger
Abhängigkeit von seinem Willen erhielt und auch andern Vertrauten nur so weit
Einfluß verstattete, als sich ihre Vorschläge innerhalb seines Gedankenkreises
bewegten. Man darf es aussprechen: die geschichtliche Verantwortung für alle
wesentlichen Akte seiner Regierung gebührt ihm und ihm allein."

Das zweite Buch bespricht zunächst in einem. Kapitel mit großer An¬
schaulichkeit und Übersichtlichkeit die Märzrevolution von 1848, dann die da¬
maligen Parteien, worauf ein dritter Abschnitt die Nationalversammlung in
der Frankfurter Paulskirche und den Reichsverweser charakterisier und in ihren
ersten Handlungen verfolgt. Ein viertes Kapitel erinnert an die Verwicklungen,
die dem Niedergange des hier versuchte" Werkes vorausgingen und dessen
schließliches Mißlingen einleiteten, über das dann im dritten Buche berichtet
wird. Das vierte beschäftigt sich mit der preußischen Union, dem Dreikönigs¬
bündnisse, dein Gegenbunde, der russischen Einwirkung auf die Entwicklung der
Dinge und der Krisis bis zur Sendung des Grafen Brandenburg uach War¬
schau. Alles wird mit Meisterschaft erzählt und entwickelt, und häufiger als
in den frühern Partien begegnen wir Mitteilungen und Urteilen, die auf die
gründliche Kenntnis der Hergange schließen lassen, welche dem Verfasser sein
Studium der preußischen Archive verschaffte. Interessant, wenn auch in einigen
Zügen wohl mangelhaft in den Schatten, sind die Porträts Gagerns und des
Generals und Ministers von Nadvwitz. Über den "Jupiter der Paulskirche,"


als Schirmvogt der Kirche sie vor jedem Angriffe durch ketzerische oder anti¬
christliche Elemente zu schützen." ,

Fassen wir das zusammen, so ging Denken und Wollen des Königs
dahin, daß er an der von Gott verordneten königlichen Unbeschränktheit in
Sachen der Staatsverwaltung unbedingt festhielt, aber zugleich diesen Kreis
seines Wirkens zu Gunsten unabhängiger Kirchenbehvrden, üblicher Lokalgewalten
und persönlicher Rechte der Bürger enger zu ziehen gedachte. Die einförmige,
straff zeutralisirte, überall sich eindrängende Bureaukratie war ihm gründlich
zuwider, da er meinte, sie lasse keine Mannichfaltigkeit der Einrichtungen und
keine fruchtbare persönliche Einwirkung des Herrschers aufkommen. Mit dieser
Denkart, diesen Vorsätzen trat er in eine Zeit hinaus, in der die Mehrheit der
an politischen Dingen teilnehmenden Preußen (Shbel sagt „eine gewaltige
Mehrheit der Bevölkerung") ungeduldig volle Teilnahme an dem öffentlichen
Wesen verlangte, die stimmführende Litteratur sich gegen jede überlieferte
Autorität in Staat und Kirche skeptisch und kritisch verhielt und Beschränkung
der monarchischen Gewalt durch allgemeine Rechte und Freiheiten, nicht aber
durch Begünstigung der Aristokratie und Hierarchie wünschte. „Dem allen
stand der König gegenüber wie der Sohn einer vergangnen Zeit, der Bürger
einer andern Welt, der Redner in einer andern Sprache. Es siel dies um so
schwerer ins Gewicht, als er nach seinem individuellen und königlichen Selbst¬
bewußtsein durchaus ein persönliches Regiment führte, seine Minister in strenger
Abhängigkeit von seinem Willen erhielt und auch andern Vertrauten nur so weit
Einfluß verstattete, als sich ihre Vorschläge innerhalb seines Gedankenkreises
bewegten. Man darf es aussprechen: die geschichtliche Verantwortung für alle
wesentlichen Akte seiner Regierung gebührt ihm und ihm allein."

Das zweite Buch bespricht zunächst in einem. Kapitel mit großer An¬
schaulichkeit und Übersichtlichkeit die Märzrevolution von 1848, dann die da¬
maligen Parteien, worauf ein dritter Abschnitt die Nationalversammlung in
der Frankfurter Paulskirche und den Reichsverweser charakterisier und in ihren
ersten Handlungen verfolgt. Ein viertes Kapitel erinnert an die Verwicklungen,
die dem Niedergange des hier versuchte« Werkes vorausgingen und dessen
schließliches Mißlingen einleiteten, über das dann im dritten Buche berichtet
wird. Das vierte beschäftigt sich mit der preußischen Union, dem Dreikönigs¬
bündnisse, dein Gegenbunde, der russischen Einwirkung auf die Entwicklung der
Dinge und der Krisis bis zur Sendung des Grafen Brandenburg uach War¬
schau. Alles wird mit Meisterschaft erzählt und entwickelt, und häufiger als
in den frühern Partien begegnen wir Mitteilungen und Urteilen, die auf die
gründliche Kenntnis der Hergange schließen lassen, welche dem Verfasser sein
Studium der preußischen Archive verschaffte. Interessant, wenn auch in einigen
Zügen wohl mangelhaft in den Schatten, sind die Porträts Gagerns und des
Generals und Ministers von Nadvwitz. Über den „Jupiter der Paulskirche,"


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[0232] als Schirmvogt der Kirche sie vor jedem Angriffe durch ketzerische oder anti¬ christliche Elemente zu schützen." , Fassen wir das zusammen, so ging Denken und Wollen des Königs dahin, daß er an der von Gott verordneten königlichen Unbeschränktheit in Sachen der Staatsverwaltung unbedingt festhielt, aber zugleich diesen Kreis seines Wirkens zu Gunsten unabhängiger Kirchenbehvrden, üblicher Lokalgewalten und persönlicher Rechte der Bürger enger zu ziehen gedachte. Die einförmige, straff zeutralisirte, überall sich eindrängende Bureaukratie war ihm gründlich zuwider, da er meinte, sie lasse keine Mannichfaltigkeit der Einrichtungen und keine fruchtbare persönliche Einwirkung des Herrschers aufkommen. Mit dieser Denkart, diesen Vorsätzen trat er in eine Zeit hinaus, in der die Mehrheit der an politischen Dingen teilnehmenden Preußen (Shbel sagt „eine gewaltige Mehrheit der Bevölkerung") ungeduldig volle Teilnahme an dem öffentlichen Wesen verlangte, die stimmführende Litteratur sich gegen jede überlieferte Autorität in Staat und Kirche skeptisch und kritisch verhielt und Beschränkung der monarchischen Gewalt durch allgemeine Rechte und Freiheiten, nicht aber durch Begünstigung der Aristokratie und Hierarchie wünschte. „Dem allen stand der König gegenüber wie der Sohn einer vergangnen Zeit, der Bürger einer andern Welt, der Redner in einer andern Sprache. Es siel dies um so schwerer ins Gewicht, als er nach seinem individuellen und königlichen Selbst¬ bewußtsein durchaus ein persönliches Regiment führte, seine Minister in strenger Abhängigkeit von seinem Willen erhielt und auch andern Vertrauten nur so weit Einfluß verstattete, als sich ihre Vorschläge innerhalb seines Gedankenkreises bewegten. Man darf es aussprechen: die geschichtliche Verantwortung für alle wesentlichen Akte seiner Regierung gebührt ihm und ihm allein." Das zweite Buch bespricht zunächst in einem. Kapitel mit großer An¬ schaulichkeit und Übersichtlichkeit die Märzrevolution von 1848, dann die da¬ maligen Parteien, worauf ein dritter Abschnitt die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche und den Reichsverweser charakterisier und in ihren ersten Handlungen verfolgt. Ein viertes Kapitel erinnert an die Verwicklungen, die dem Niedergange des hier versuchte« Werkes vorausgingen und dessen schließliches Mißlingen einleiteten, über das dann im dritten Buche berichtet wird. Das vierte beschäftigt sich mit der preußischen Union, dem Dreikönigs¬ bündnisse, dein Gegenbunde, der russischen Einwirkung auf die Entwicklung der Dinge und der Krisis bis zur Sendung des Grafen Brandenburg uach War¬ schau. Alles wird mit Meisterschaft erzählt und entwickelt, und häufiger als in den frühern Partien begegnen wir Mitteilungen und Urteilen, die auf die gründliche Kenntnis der Hergange schließen lassen, welche dem Verfasser sein Studium der preußischen Archive verschaffte. Interessant, wenn auch in einigen Zügen wohl mangelhaft in den Schatten, sind die Porträts Gagerns und des Generals und Ministers von Nadvwitz. Über den „Jupiter der Paulskirche,"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/232>, abgerufen am 23.07.2024.