Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

eigentlich vaterländischen Strome gemacht. Als dann zu gleicher Zelt die
wirklichen Formen der versunkenen mittelalterlich deutschen Welt durch die
Wissenschaft der Historiker und die ganze Germanistik wieder aufgegraben
wurden, da boten sich denn zum erstenmale auch die staatlichen Einigungen
dieser alten deutschen Zeit der allgemeinen Beachtung dar; man dachte jetzt
wieder an das mittelalterlich deutsche Reich, man begann wieder zu singen und
zu sagen von deutscher Kaiserherrlichkcit, man griff phantastisch zurück etwa
M-is die Zeiten der sächsischen Kaiser oder der glanzvollen Staufer und träumte
vom Reiche, wie es zu den Zeiten gewesen sei, wo diese die Krone getragen und
das Schwert der Deutschen geführt hatten. Und zuletzt noch etwas, was nicht
zum wenigsten später zum mächtigen. Hebel werden sollte: die Romantiker er¬
weckten nach der langen Periode vornehmer Geringschätzung wieder den deut¬
scheu mutig religiösen Sinn, der zunächst das Schwerste dulden, in Trauer
und Hoffnung ertragen, aber fähig werdeu sollte, aus tiefstem Elend heraus
neues Wollen zu wagen und Befreiung in Todesmut zum Himmel zu
schwören.

Aus beiden großen geistigen Strömungen hat, wie ich sie hier hervor¬
hebe, die spätere Bewegung der Befreiungskriege und der nachfolgenden Jahre
ehren Inhalt geschöpft, sowohl aus der klassischen Gedankenwelt der Kosmo¬
politen, wie ans der romantischen der Männer der deutschen Vorzeit. Von
deu erster" entlehnte sie das humanitäre Gefühl zugleich mit dem Drange
"und Selbstbetätigung, den Willen zur Freiheit und das Sichausbäumeu gegen
Einschränkung und Unterdrückung; beiden Strömungen zugleich entnahm sie
den Stolz des deutschen Namens, und aus der romantischen Anschauungswelt
die Sehnsucht nach dem, was gewesen "ut was uun verloren war, das Hegen
und Pflegen des einstigen deutschen Namens, vor allem auch schou den noch
so Phantastischen Traum vom deutscheu Reich. Nicht von selber, nicht im
ruhigen Fortschreiten haben sich diese Bestandteile zusammengeschlossen, viel¬
mehr war es ein damals ganz neuer Gedanke, der sie vereinigend in seinen
Bereich zog, ^rio dieser neu aufflammende Gedanke, der den Beginn der neuen
Zeit nationalen Lebens in sich schloß, er entstand, als durch deu gewaltigen
^eltbraud zu Anfang unsers Jahrhunderts grell beleuchtende Schlaglichter
"uf die alte, so manuichfnch zusammengesetzte Welt deutschen Lebens fielen,
als die heimische" Dinge von einem gewaltigen Schlag erschüttert und ver¬
nichtet wurden, der von außen kam.

^us den völkerbefreienden und völkerbeglückenden Ideen, die in den edlern
Zulangen der großen Revolution lebendig gewesen waren, war in gänzlicher
^erlennung dieser Ziele die bewußte Absicht des großen Eroberers, den die
französische Umwälzung geboren hatte, hervorgegangen, eine gewaltige Welt-
'"onarchie zu erschaffe": das unvermeidliche cäsarische Streben, die Gemeinschaft
"'r Volker nun nicht mehr zu "befreien", wie einst die Aufrufe Eustines und


eigentlich vaterländischen Strome gemacht. Als dann zu gleicher Zelt die
wirklichen Formen der versunkenen mittelalterlich deutschen Welt durch die
Wissenschaft der Historiker und die ganze Germanistik wieder aufgegraben
wurden, da boten sich denn zum erstenmale auch die staatlichen Einigungen
dieser alten deutschen Zeit der allgemeinen Beachtung dar; man dachte jetzt
wieder an das mittelalterlich deutsche Reich, man begann wieder zu singen und
zu sagen von deutscher Kaiserherrlichkcit, man griff phantastisch zurück etwa
M-is die Zeiten der sächsischen Kaiser oder der glanzvollen Staufer und träumte
vom Reiche, wie es zu den Zeiten gewesen sei, wo diese die Krone getragen und
das Schwert der Deutschen geführt hatten. Und zuletzt noch etwas, was nicht
zum wenigsten später zum mächtigen. Hebel werden sollte: die Romantiker er¬
weckten nach der langen Periode vornehmer Geringschätzung wieder den deut¬
scheu mutig religiösen Sinn, der zunächst das Schwerste dulden, in Trauer
und Hoffnung ertragen, aber fähig werdeu sollte, aus tiefstem Elend heraus
neues Wollen zu wagen und Befreiung in Todesmut zum Himmel zu
schwören.

Aus beiden großen geistigen Strömungen hat, wie ich sie hier hervor¬
hebe, die spätere Bewegung der Befreiungskriege und der nachfolgenden Jahre
ehren Inhalt geschöpft, sowohl aus der klassischen Gedankenwelt der Kosmo¬
politen, wie ans der romantischen der Männer der deutschen Vorzeit. Von
deu erster» entlehnte sie das humanitäre Gefühl zugleich mit dem Drange
»und Selbstbetätigung, den Willen zur Freiheit und das Sichausbäumeu gegen
Einschränkung und Unterdrückung; beiden Strömungen zugleich entnahm sie
den Stolz des deutschen Namens, und aus der romantischen Anschauungswelt
die Sehnsucht nach dem, was gewesen »ut was uun verloren war, das Hegen
und Pflegen des einstigen deutschen Namens, vor allem auch schou den noch
so Phantastischen Traum vom deutscheu Reich. Nicht von selber, nicht im
ruhigen Fortschreiten haben sich diese Bestandteile zusammengeschlossen, viel¬
mehr war es ein damals ganz neuer Gedanke, der sie vereinigend in seinen
Bereich zog, ^rio dieser neu aufflammende Gedanke, der den Beginn der neuen
Zeit nationalen Lebens in sich schloß, er entstand, als durch deu gewaltigen
^eltbraud zu Anfang unsers Jahrhunderts grell beleuchtende Schlaglichter
"uf die alte, so manuichfnch zusammengesetzte Welt deutschen Lebens fielen,
als die heimische» Dinge von einem gewaltigen Schlag erschüttert und ver¬
nichtet wurden, der von außen kam.

^us den völkerbefreienden und völkerbeglückenden Ideen, die in den edlern
Zulangen der großen Revolution lebendig gewesen waren, war in gänzlicher
^erlennung dieser Ziele die bewußte Absicht des großen Eroberers, den die
französische Umwälzung geboren hatte, hervorgegangen, eine gewaltige Welt-
'"onarchie zu erschaffe»: das unvermeidliche cäsarische Streben, die Gemeinschaft
"'r Volker nun nicht mehr zu „befreien", wie einst die Aufrufe Eustines und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0023" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206668"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_32" prev="#ID_31"> eigentlich vaterländischen Strome gemacht.  Als dann zu gleicher Zelt die<lb/>
wirklichen Formen der versunkenen mittelalterlich deutschen Welt durch die<lb/>
Wissenschaft der Historiker und die ganze Germanistik wieder aufgegraben<lb/>
wurden, da boten sich denn zum erstenmale auch die staatlichen Einigungen<lb/>
dieser alten deutschen Zeit der allgemeinen Beachtung dar; man dachte jetzt<lb/>
wieder an das mittelalterlich deutsche Reich, man begann wieder zu singen und<lb/>
zu sagen von deutscher Kaiserherrlichkcit, man griff phantastisch zurück etwa<lb/>
M-is die Zeiten der sächsischen Kaiser oder der glanzvollen Staufer und träumte<lb/>
vom Reiche, wie es zu den Zeiten gewesen sei, wo diese die Krone getragen und<lb/>
das Schwert der Deutschen geführt hatten.  Und zuletzt noch etwas, was nicht<lb/>
zum wenigsten später zum mächtigen. Hebel werden sollte: die Romantiker er¬<lb/>
weckten nach der langen Periode vornehmer Geringschätzung wieder den deut¬<lb/>
scheu mutig religiösen Sinn, der zunächst das Schwerste dulden, in Trauer<lb/>
und Hoffnung ertragen, aber fähig werdeu sollte, aus tiefstem Elend heraus<lb/>
neues Wollen zu wagen und Befreiung in Todesmut zum Himmel zu<lb/>
schwören.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_33"> Aus beiden großen geistigen Strömungen hat, wie ich sie hier hervor¬<lb/>
hebe, die spätere Bewegung der Befreiungskriege und der nachfolgenden Jahre<lb/>
ehren Inhalt geschöpft, sowohl aus der klassischen Gedankenwelt der Kosmo¬<lb/>
politen, wie ans der romantischen der Männer der deutschen Vorzeit. Von<lb/>
deu erster» entlehnte sie das humanitäre Gefühl zugleich mit dem Drange<lb/>
»und Selbstbetätigung, den Willen zur Freiheit und das Sichausbäumeu gegen<lb/>
Einschränkung und Unterdrückung; beiden Strömungen zugleich entnahm sie<lb/>
den Stolz des deutschen Namens, und aus der romantischen Anschauungswelt<lb/>
die Sehnsucht nach dem, was gewesen »ut was uun verloren war, das Hegen<lb/>
und Pflegen des einstigen deutschen Namens, vor allem auch schou den noch<lb/>
so Phantastischen Traum vom deutscheu Reich.  Nicht von selber, nicht im<lb/>
ruhigen Fortschreiten haben sich diese Bestandteile zusammengeschlossen, viel¬<lb/>
mehr war es ein damals ganz neuer Gedanke, der sie vereinigend in seinen<lb/>
Bereich zog, ^rio dieser neu aufflammende Gedanke, der den Beginn der neuen<lb/>
Zeit nationalen Lebens in sich schloß, er entstand, als durch deu gewaltigen<lb/>
^eltbraud zu Anfang unsers Jahrhunderts grell beleuchtende Schlaglichter<lb/>
"uf die alte, so manuichfnch zusammengesetzte Welt deutschen Lebens fielen,<lb/>
als die heimische» Dinge von einem gewaltigen Schlag erschüttert und ver¬<lb/>
nichtet wurden, der von außen kam.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_34" next="#ID_35"> ^us den völkerbefreienden und völkerbeglückenden Ideen, die in den edlern<lb/>
Zulangen der großen Revolution lebendig gewesen waren, war in gänzlicher<lb/>
^erlennung dieser Ziele die bewußte Absicht des großen Eroberers, den die<lb/>
französische Umwälzung geboren hatte, hervorgegangen, eine gewaltige Welt-<lb/>
'"onarchie zu erschaffe»: das unvermeidliche cäsarische Streben, die Gemeinschaft<lb/>
"'r Volker nun nicht mehr zu &#x201E;befreien", wie einst die Aufrufe Eustines und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0023] eigentlich vaterländischen Strome gemacht. Als dann zu gleicher Zelt die wirklichen Formen der versunkenen mittelalterlich deutschen Welt durch die Wissenschaft der Historiker und die ganze Germanistik wieder aufgegraben wurden, da boten sich denn zum erstenmale auch die staatlichen Einigungen dieser alten deutschen Zeit der allgemeinen Beachtung dar; man dachte jetzt wieder an das mittelalterlich deutsche Reich, man begann wieder zu singen und zu sagen von deutscher Kaiserherrlichkcit, man griff phantastisch zurück etwa M-is die Zeiten der sächsischen Kaiser oder der glanzvollen Staufer und träumte vom Reiche, wie es zu den Zeiten gewesen sei, wo diese die Krone getragen und das Schwert der Deutschen geführt hatten. Und zuletzt noch etwas, was nicht zum wenigsten später zum mächtigen. Hebel werden sollte: die Romantiker er¬ weckten nach der langen Periode vornehmer Geringschätzung wieder den deut¬ scheu mutig religiösen Sinn, der zunächst das Schwerste dulden, in Trauer und Hoffnung ertragen, aber fähig werdeu sollte, aus tiefstem Elend heraus neues Wollen zu wagen und Befreiung in Todesmut zum Himmel zu schwören. Aus beiden großen geistigen Strömungen hat, wie ich sie hier hervor¬ hebe, die spätere Bewegung der Befreiungskriege und der nachfolgenden Jahre ehren Inhalt geschöpft, sowohl aus der klassischen Gedankenwelt der Kosmo¬ politen, wie ans der romantischen der Männer der deutschen Vorzeit. Von deu erster» entlehnte sie das humanitäre Gefühl zugleich mit dem Drange »und Selbstbetätigung, den Willen zur Freiheit und das Sichausbäumeu gegen Einschränkung und Unterdrückung; beiden Strömungen zugleich entnahm sie den Stolz des deutschen Namens, und aus der romantischen Anschauungswelt die Sehnsucht nach dem, was gewesen »ut was uun verloren war, das Hegen und Pflegen des einstigen deutschen Namens, vor allem auch schou den noch so Phantastischen Traum vom deutscheu Reich. Nicht von selber, nicht im ruhigen Fortschreiten haben sich diese Bestandteile zusammengeschlossen, viel¬ mehr war es ein damals ganz neuer Gedanke, der sie vereinigend in seinen Bereich zog, ^rio dieser neu aufflammende Gedanke, der den Beginn der neuen Zeit nationalen Lebens in sich schloß, er entstand, als durch deu gewaltigen ^eltbraud zu Anfang unsers Jahrhunderts grell beleuchtende Schlaglichter "uf die alte, so manuichfnch zusammengesetzte Welt deutschen Lebens fielen, als die heimische» Dinge von einem gewaltigen Schlag erschüttert und ver¬ nichtet wurden, der von außen kam. ^us den völkerbefreienden und völkerbeglückenden Ideen, die in den edlern Zulangen der großen Revolution lebendig gewesen waren, war in gänzlicher ^erlennung dieser Ziele die bewußte Absicht des großen Eroberers, den die französische Umwälzung geboren hatte, hervorgegangen, eine gewaltige Welt- '"onarchie zu erschaffe»: das unvermeidliche cäsarische Streben, die Gemeinschaft "'r Volker nun nicht mehr zu „befreien", wie einst die Aufrufe Eustines und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/23
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/23>, abgerufen am 23.07.2024.