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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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sehr reichhaltige Material ist mit größtem Geschick, mit wahrer Künstlerhand
verarbeitet, nicht mit der warmen Farbe und der epischen Breite, die wir an
Treitschkes entsprechenden Darstellungen wohlthuend empfinden, sondern kühler,
knapper, mehr Plastik in Marmor, aber im großen und ganzen verständiger,
Parteiloser und zuverlässiger. Namentlich thut es wohl, daß Sybel allenthalben
zu vermeiden bestrebt ist, Irrtümer und Mißgriffe der Partei, der er angehört,
zu verhüllen und zu beschönigen, nud daß er sich anderseits bemüht, das
Thun und Lassen der Gegner billig, d. h. nach den geschichtlichen Voraus¬
setzungen ihrer Stellung zu beurteilen, sie also nicht als Dummköpfe oder
schlechte Gesellen aufzufassen. Verschweige er manches, läßt er einige Stellen
dunkel, so füllt durch sein Buch, soweit es vorliegt, doch auf nicht wenige Punkte
mehr Licht, als durch alles, was sie bisher aufzuhellen bestimmt war. Wir
können, um das zu zeige", nicht seiner ganzen Erzählung in den beiden Bänden
u's einzelne folgen, sondern müssen uns begnügen, einen kurzen Überblick über
deren Gang zu geben, das Wichtigste, was darin neu ist, hervorzuheben und
einige Charakterbilder herauszunehmen, die uns besonders gelungen zu sein

Das erste Buch des ersten Bandes beginnt und einleitenden Rückblicken
auf die älteste Zeit der Deutschen und das heilige römische Reich, denen steh
Betrachtungen über die Entwicklung Österreichs und Preußens, die Fremd¬
herrschaft zwischen der Entstehung des Rheinbundes und der Bertreibung
Napoleons durch die Befreiungskriege, die ersten Jahre des Bundestages,
dann ein Kapitel über die Einwirkungen der Jnlirevolutwu und zuletzt ein
Charakterbild des Königs Friedrich Wilhelm IV. anschließen. Wir begegnen
hier allenthalben wohlbegründeten Urteilen, übersichtlicher Grupprrnng der
Thatsachen, feinen Bemerkungen, erfahren aber wenig Neues, und dem, was
-wer die süddeutsche., Landtage und die burschenschaftliche Bewegiii.g gesagt
wird, ziehen wir die Schilderungen Treitschkes als anschaulicher vor. Meister¬
haft dagegen ist das Bild des romantischen Prenßenlönigs gezeichnet, das wir,
soweit es'in die ''.eir vor dem ersten Versuch der Deutschen, zur Einheit zu
gelangen, füllt, in seinen Hauptzügen wiedergeben, iseine Ergänzung findet
"an in den folgenden drei°Büchern, von denen das eine von den Anlaufen
dieses Versuchs durch die Parteien und Vertreter des Volkes, das nächste vom
Scheitern desselben und das dritte von dessen Wiederholung im engern Nahmen
durch die preußische Regierung erzählt. Friedrich Wilhelm wird von Sybel,
etwa folgendermaßen charalterisirt: Hochbegabt mit Anlagen und Interessen
jeder Art, durch seine Erzieher auf religiöse, ästhetische und intellektuelle Ent¬
wicklung gerichtet, erschien er als Erwachsener kenntnisreich und geschmackvoll,
Wen sprudelndem Geist, dabei sittenrein, gefühlsweich und leicht erregbar, immer
aber enthusiastisch bei jeder hohen Aufgabe und erfüllt von warmem Vertrauen
a"f Gott und die Menschen. Hatte er eine Überzeugung gewonnen, so stand


sehr reichhaltige Material ist mit größtem Geschick, mit wahrer Künstlerhand
verarbeitet, nicht mit der warmen Farbe und der epischen Breite, die wir an
Treitschkes entsprechenden Darstellungen wohlthuend empfinden, sondern kühler,
knapper, mehr Plastik in Marmor, aber im großen und ganzen verständiger,
Parteiloser und zuverlässiger. Namentlich thut es wohl, daß Sybel allenthalben
zu vermeiden bestrebt ist, Irrtümer und Mißgriffe der Partei, der er angehört,
zu verhüllen und zu beschönigen, nud daß er sich anderseits bemüht, das
Thun und Lassen der Gegner billig, d. h. nach den geschichtlichen Voraus¬
setzungen ihrer Stellung zu beurteilen, sie also nicht als Dummköpfe oder
schlechte Gesellen aufzufassen. Verschweige er manches, läßt er einige Stellen
dunkel, so füllt durch sein Buch, soweit es vorliegt, doch auf nicht wenige Punkte
mehr Licht, als durch alles, was sie bisher aufzuhellen bestimmt war. Wir
können, um das zu zeige», nicht seiner ganzen Erzählung in den beiden Bänden
u's einzelne folgen, sondern müssen uns begnügen, einen kurzen Überblick über
deren Gang zu geben, das Wichtigste, was darin neu ist, hervorzuheben und
einige Charakterbilder herauszunehmen, die uns besonders gelungen zu sein

Das erste Buch des ersten Bandes beginnt und einleitenden Rückblicken
auf die älteste Zeit der Deutschen und das heilige römische Reich, denen steh
Betrachtungen über die Entwicklung Österreichs und Preußens, die Fremd¬
herrschaft zwischen der Entstehung des Rheinbundes und der Bertreibung
Napoleons durch die Befreiungskriege, die ersten Jahre des Bundestages,
dann ein Kapitel über die Einwirkungen der Jnlirevolutwu und zuletzt ein
Charakterbild des Königs Friedrich Wilhelm IV. anschließen. Wir begegnen
hier allenthalben wohlbegründeten Urteilen, übersichtlicher Grupprrnng der
Thatsachen, feinen Bemerkungen, erfahren aber wenig Neues, und dem, was
-wer die süddeutsche., Landtage und die burschenschaftliche Bewegiii.g gesagt
wird, ziehen wir die Schilderungen Treitschkes als anschaulicher vor. Meister¬
haft dagegen ist das Bild des romantischen Prenßenlönigs gezeichnet, das wir,
soweit es'in die ''.eir vor dem ersten Versuch der Deutschen, zur Einheit zu
gelangen, füllt, in seinen Hauptzügen wiedergeben, iseine Ergänzung findet
»an in den folgenden drei°Büchern, von denen das eine von den Anlaufen
dieses Versuchs durch die Parteien und Vertreter des Volkes, das nächste vom
Scheitern desselben und das dritte von dessen Wiederholung im engern Nahmen
durch die preußische Regierung erzählt. Friedrich Wilhelm wird von Sybel,
etwa folgendermaßen charalterisirt: Hochbegabt mit Anlagen und Interessen
jeder Art, durch seine Erzieher auf religiöse, ästhetische und intellektuelle Ent¬
wicklung gerichtet, erschien er als Erwachsener kenntnisreich und geschmackvoll,
Wen sprudelndem Geist, dabei sittenrein, gefühlsweich und leicht erregbar, immer
aber enthusiastisch bei jeder hohen Aufgabe und erfüllt von warmem Vertrauen
a»f Gott und die Menschen. Hatte er eine Überzeugung gewonnen, so stand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/229>, abgerufen am 23.07.2024.