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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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durch den Staat gemachten Stellung; er kann sich diese Stellung selbst
schaffen.

Doch wir hören schon die Einwendungen, daß Elsaß-Lothringen nicht
durch Neubelebung vormärzlicher Einrichtungen gewonnen werden könne. Wir
möchten aber, ganz abgesehen davon, daß solche Einrichtungen heute noch fast
in ganz Deutschland bestehen, nur daran erinnern, daß Napoleon I. unmittelbar
nach der Revolution keine Bedenken trug, Einrichtungen zu schaffen, die denen
des imolön rsgimv ähnlich waren. Warum sollte das deutsche Reich Bedenken
tragen, im Reichslande die Möglichkeit zu eröffnen, den erblichen Besitz von
Großgütern zu festigen, wie dies im ganzen Reiche -- mit Ausnahme von
Oldenburg und dein Reichslande -- zulässig ist? Der Landwirtschaftsrat für
Elsaß-Lothringen hat sich zwar jüngst, in seiner Sitzung vom 5. Juni v. I.,
dahin ausgesprochen, daß ein Bedürfnis für Errichtung von Fideikommissen
nicht bestehe; doch ist diesem gelegentlich abgegebnen Gutachten einer Körper¬
schaft, die nur den Standpunkt der Landwirtschaft zu vertreten hat, bei Be¬
urteilung der politischen Seite der Frage keine besondre Bedeutung beizumessen.
Daß durch eine entsprechende gesetzliche Bestimmung die deutsche Einwanderung
ni Lothringen wesentlich gefördert werden würde, ist nicht zu bezweifeln. Doch
wäre mit der Eröffnung der Möglichkeit, im Reichs lande Fideikonunisse oder
Majorate zu gründen, nnr ein Teil der nationalen Aufgabe erfüllt. Es müßte
vor allem darauf Bedacht genommen werden, kleinere Grundbesitze zu bilden
und deutsche Landwirte und Tagelöhner in den Dörfern von Lothringen an¬
zusiedeln. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß die Gründung neuer
Dorfschaften nicht nur schmierig, sondern auch zwecklos wäre. Ludwig XIV.
hatte in dieser Beziehung leichtes Spiel. Wie wir aus den sogenannten xrooos
VA'duux ctg rsmuindrsinsicks bei Wiedererrichtung der Lehengüter ersehen, waren
vniuals die Dörfer ganz oder nahezu verlassen, und der König sicherte den
Ansiedlern Eigentum zu, die nachweisen konnten, daß sie ein offnes Gut be¬
stellt und die Ernte davon eingebracht hatten. Eine solche Sachlage liegt hente
>naht vor. Heute handelt es sich in der Hauptsache darum, deutsche Landwirte
u> deu bestehenden Ortschaften einzubürgern. .Hier drängt sich aber zunächst
erstes Bedeuten ans. Wird der vvrhandne Zug nach Westen genügen,
Lücken auszufüllen und insbesondre deu Bedarf an Hilfskräften für die
Landwirtschaft zu decken? In dieser Beziehung würde sich voraussichtlich, wenn
putsche Grvßgruudbesitze im Lande entstünden und kräftig nach deutschem Muster
bewirtschaftet würden, das Bedürfnis fühlbar machen, deutsche Knechte und
- tagte sowie deutsche Tagelöhner und Handarbeiter heranzuziehen; dem, auf
^in heute noch bestehenden Gesindemarkte in Metz (la 1on"z) oder durch Unter¬
händler, die sonst zwischen Bedarf und Nachfrage vermitteln, würden sich ge-
^grele Leute schwerlich finden lassen. Einem solchen Bedürfnis muß auch auf
"e Dauer gesteuert werden. Früher behalf man sich vielfach durch fahrende
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durch den Staat gemachten Stellung; er kann sich diese Stellung selbst
schaffen.

Doch wir hören schon die Einwendungen, daß Elsaß-Lothringen nicht
durch Neubelebung vormärzlicher Einrichtungen gewonnen werden könne. Wir
möchten aber, ganz abgesehen davon, daß solche Einrichtungen heute noch fast
in ganz Deutschland bestehen, nur daran erinnern, daß Napoleon I. unmittelbar
nach der Revolution keine Bedenken trug, Einrichtungen zu schaffen, die denen
des imolön rsgimv ähnlich waren. Warum sollte das deutsche Reich Bedenken
tragen, im Reichslande die Möglichkeit zu eröffnen, den erblichen Besitz von
Großgütern zu festigen, wie dies im ganzen Reiche — mit Ausnahme von
Oldenburg und dein Reichslande — zulässig ist? Der Landwirtschaftsrat für
Elsaß-Lothringen hat sich zwar jüngst, in seiner Sitzung vom 5. Juni v. I.,
dahin ausgesprochen, daß ein Bedürfnis für Errichtung von Fideikommissen
nicht bestehe; doch ist diesem gelegentlich abgegebnen Gutachten einer Körper¬
schaft, die nur den Standpunkt der Landwirtschaft zu vertreten hat, bei Be¬
urteilung der politischen Seite der Frage keine besondre Bedeutung beizumessen.
Daß durch eine entsprechende gesetzliche Bestimmung die deutsche Einwanderung
ni Lothringen wesentlich gefördert werden würde, ist nicht zu bezweifeln. Doch
wäre mit der Eröffnung der Möglichkeit, im Reichs lande Fideikonunisse oder
Majorate zu gründen, nnr ein Teil der nationalen Aufgabe erfüllt. Es müßte
vor allem darauf Bedacht genommen werden, kleinere Grundbesitze zu bilden
und deutsche Landwirte und Tagelöhner in den Dörfern von Lothringen an¬
zusiedeln. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß die Gründung neuer
Dorfschaften nicht nur schmierig, sondern auch zwecklos wäre. Ludwig XIV.
hatte in dieser Beziehung leichtes Spiel. Wie wir aus den sogenannten xrooos
VA'duux ctg rsmuindrsinsicks bei Wiedererrichtung der Lehengüter ersehen, waren
vniuals die Dörfer ganz oder nahezu verlassen, und der König sicherte den
Ansiedlern Eigentum zu, die nachweisen konnten, daß sie ein offnes Gut be¬
stellt und die Ernte davon eingebracht hatten. Eine solche Sachlage liegt hente
>naht vor. Heute handelt es sich in der Hauptsache darum, deutsche Landwirte
u> deu bestehenden Ortschaften einzubürgern. .Hier drängt sich aber zunächst
erstes Bedeuten ans. Wird der vvrhandne Zug nach Westen genügen,
Lücken auszufüllen und insbesondre deu Bedarf an Hilfskräften für die
Landwirtschaft zu decken? In dieser Beziehung würde sich voraussichtlich, wenn
putsche Grvßgruudbesitze im Lande entstünden und kräftig nach deutschem Muster
bewirtschaftet würden, das Bedürfnis fühlbar machen, deutsche Knechte und
- tagte sowie deutsche Tagelöhner und Handarbeiter heranzuziehen; dem, auf
^in heute noch bestehenden Gesindemarkte in Metz (la 1on«z) oder durch Unter¬
händler, die sonst zwischen Bedarf und Nachfrage vermitteln, würden sich ge-
^grele Leute schwerlich finden lassen. Einem solchen Bedürfnis muß auch auf
"e Dauer gesteuert werden. Früher behalf man sich vielfach durch fahrende
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[0225] durch den Staat gemachten Stellung; er kann sich diese Stellung selbst schaffen. Doch wir hören schon die Einwendungen, daß Elsaß-Lothringen nicht durch Neubelebung vormärzlicher Einrichtungen gewonnen werden könne. Wir möchten aber, ganz abgesehen davon, daß solche Einrichtungen heute noch fast in ganz Deutschland bestehen, nur daran erinnern, daß Napoleon I. unmittelbar nach der Revolution keine Bedenken trug, Einrichtungen zu schaffen, die denen des imolön rsgimv ähnlich waren. Warum sollte das deutsche Reich Bedenken tragen, im Reichslande die Möglichkeit zu eröffnen, den erblichen Besitz von Großgütern zu festigen, wie dies im ganzen Reiche — mit Ausnahme von Oldenburg und dein Reichslande — zulässig ist? Der Landwirtschaftsrat für Elsaß-Lothringen hat sich zwar jüngst, in seiner Sitzung vom 5. Juni v. I., dahin ausgesprochen, daß ein Bedürfnis für Errichtung von Fideikommissen nicht bestehe; doch ist diesem gelegentlich abgegebnen Gutachten einer Körper¬ schaft, die nur den Standpunkt der Landwirtschaft zu vertreten hat, bei Be¬ urteilung der politischen Seite der Frage keine besondre Bedeutung beizumessen. Daß durch eine entsprechende gesetzliche Bestimmung die deutsche Einwanderung ni Lothringen wesentlich gefördert werden würde, ist nicht zu bezweifeln. Doch wäre mit der Eröffnung der Möglichkeit, im Reichs lande Fideikonunisse oder Majorate zu gründen, nnr ein Teil der nationalen Aufgabe erfüllt. Es müßte vor allem darauf Bedacht genommen werden, kleinere Grundbesitze zu bilden und deutsche Landwirte und Tagelöhner in den Dörfern von Lothringen an¬ zusiedeln. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß die Gründung neuer Dorfschaften nicht nur schmierig, sondern auch zwecklos wäre. Ludwig XIV. hatte in dieser Beziehung leichtes Spiel. Wie wir aus den sogenannten xrooos VA'duux ctg rsmuindrsinsicks bei Wiedererrichtung der Lehengüter ersehen, waren vniuals die Dörfer ganz oder nahezu verlassen, und der König sicherte den Ansiedlern Eigentum zu, die nachweisen konnten, daß sie ein offnes Gut be¬ stellt und die Ernte davon eingebracht hatten. Eine solche Sachlage liegt hente >naht vor. Heute handelt es sich in der Hauptsache darum, deutsche Landwirte u> deu bestehenden Ortschaften einzubürgern. .Hier drängt sich aber zunächst erstes Bedeuten ans. Wird der vvrhandne Zug nach Westen genügen, Lücken auszufüllen und insbesondre deu Bedarf an Hilfskräften für die Landwirtschaft zu decken? In dieser Beziehung würde sich voraussichtlich, wenn putsche Grvßgruudbesitze im Lande entstünden und kräftig nach deutschem Muster bewirtschaftet würden, das Bedürfnis fühlbar machen, deutsche Knechte und - tagte sowie deutsche Tagelöhner und Handarbeiter heranzuziehen; dem, auf ^in heute noch bestehenden Gesindemarkte in Metz (la 1on«z) oder durch Unter¬ händler, die sonst zwischen Bedarf und Nachfrage vermitteln, würden sich ge- ^grele Leute schwerlich finden lassen. Einem solchen Bedürfnis muß auch auf "e Dauer gesteuert werden. Früher behalf man sich vielfach durch fahrende ^ rmzbvim I 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/225>, abgerufen am 23.07.2024.