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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

ergiebt sich dies aus folgender Zusammenstellung, zu deren Verständnis wir
übrigens bemerken müssen, daß sie nach Gemeiudefluren berechnet ist, daß also
dabei die allerdings seltenen Fälle nicht berücksichtigt sind, wo ein Gutsbesitz
in eine benachbarte Flur hinübergreife.

Es sind 1882 gezählt worden landwirtschaftliche Betriebe von:

20--60
Hektaren
100--200
Hektaren
SO--100
Hektaren
200 600
Hektaren
S00--1000
Hektaren
1000 und
mehr Held.
im Unterelsaß . .8246310411
im Oberelsaß . .960111352
in Lothringen . .2475885501141
in Elsaß-Lothringen425910595462021

Obwohl wir diese Ziffern keineswegs als ganz genau bezeichnen möchten,
so können wir doch daraus mit Sicherheit entnehmen, daß in Lothringen die
Gelegenheit zur Erwerbung von Gütern von 50--200 Hektaren viel häufiger
ist als im Elsaß.

Die wirtschaftliche Thatsache wollen wir einstweilen auf sich beruhen lassen.
Politisch, nicht wirtschaftlich, ist dabei von Bedeutung, daß die große Mehr¬
zahl dieser Güter in französischen Händen ist. Die Eigentümer fanden bei der
Optivnsbewegung keine Gelegenheit zum Verkauf, oder sie wurden durch ver¬
mögensrechtliche Rücksichten zur Beibehaltung des Eigentums bestimmt. Auch
wollte mancher, sei es in der Hoffnung auf eine Wandlung der Dinge, sei
es in der Meinung, daß man sich für den Fall einer Umwälzung in Frank¬
reich ein duöii rstiro im Reichslande offen halten müsse, sich seines Grund¬
besitzes nicht entäußern. Politisch ist es ferner von Bedeutung, daß der Klein¬
besitz bis herab zu den geringfügigsten Parzellen heute noch in bedenklichem
Maße im Besitze von Optanten und Auswanderern ist. Das sind die politischen
Gründe, die für eine Kolonisirung oder besser gesagt für die Förderung der Ein¬
wanderung deutscher Landwirte sprechen. Die wirtschaftlichen Gründe sind
dabei von untergeordneter Bedeutung insofern, als das Land sich wirtschaftlich
in den alten Geleisen noch lange fortbeweget! mag. Es kann aber heute, wo
wir Wichtigeres im Lande zu thun haben, nicht als nächste Aufgabe des
deutschen Reichs bezeichnet werden, deutsche Landwirte in Lothringen nur zu
dem Zwecke einzuführen, damit dieses genügend besiedelte, wenn auch land¬
wirtschaftlich nicht hoch entwickelte Land durch Musterwirtschaften über seine
Entwicklungsfähigkeit belehrt werde.

Lothringen ist anch kein Gegenstand für die Gewinnsucht von Leuten, die
Güter unter dein Preise kaufen wollen, um gute Geschäfte zu machen, und
sollte dies auch heute wie allenthalben in der Welt hie und da der Fall sein,
so würde doch die Predigt eines wirtschaftlichen oder nationalen Kreuzzuges


Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

ergiebt sich dies aus folgender Zusammenstellung, zu deren Verständnis wir
übrigens bemerken müssen, daß sie nach Gemeiudefluren berechnet ist, daß also
dabei die allerdings seltenen Fälle nicht berücksichtigt sind, wo ein Gutsbesitz
in eine benachbarte Flur hinübergreife.

Es sind 1882 gezählt worden landwirtschaftliche Betriebe von:

20—60
Hektaren
100—200
Hektaren
SO—100
Hektaren
200 600
Hektaren
S00—1000
Hektaren
1000 und
mehr Held.
im Unterelsaß . .8246310411
im Oberelsaß . .960111352
in Lothringen . .2475885501141
in Elsaß-Lothringen425910595462021

Obwohl wir diese Ziffern keineswegs als ganz genau bezeichnen möchten,
so können wir doch daraus mit Sicherheit entnehmen, daß in Lothringen die
Gelegenheit zur Erwerbung von Gütern von 50—200 Hektaren viel häufiger
ist als im Elsaß.

Die wirtschaftliche Thatsache wollen wir einstweilen auf sich beruhen lassen.
Politisch, nicht wirtschaftlich, ist dabei von Bedeutung, daß die große Mehr¬
zahl dieser Güter in französischen Händen ist. Die Eigentümer fanden bei der
Optivnsbewegung keine Gelegenheit zum Verkauf, oder sie wurden durch ver¬
mögensrechtliche Rücksichten zur Beibehaltung des Eigentums bestimmt. Auch
wollte mancher, sei es in der Hoffnung auf eine Wandlung der Dinge, sei
es in der Meinung, daß man sich für den Fall einer Umwälzung in Frank¬
reich ein duöii rstiro im Reichslande offen halten müsse, sich seines Grund¬
besitzes nicht entäußern. Politisch ist es ferner von Bedeutung, daß der Klein¬
besitz bis herab zu den geringfügigsten Parzellen heute noch in bedenklichem
Maße im Besitze von Optanten und Auswanderern ist. Das sind die politischen
Gründe, die für eine Kolonisirung oder besser gesagt für die Förderung der Ein¬
wanderung deutscher Landwirte sprechen. Die wirtschaftlichen Gründe sind
dabei von untergeordneter Bedeutung insofern, als das Land sich wirtschaftlich
in den alten Geleisen noch lange fortbeweget! mag. Es kann aber heute, wo
wir Wichtigeres im Lande zu thun haben, nicht als nächste Aufgabe des
deutschen Reichs bezeichnet werden, deutsche Landwirte in Lothringen nur zu
dem Zwecke einzuführen, damit dieses genügend besiedelte, wenn auch land¬
wirtschaftlich nicht hoch entwickelte Land durch Musterwirtschaften über seine
Entwicklungsfähigkeit belehrt werde.

Lothringen ist anch kein Gegenstand für die Gewinnsucht von Leuten, die
Güter unter dein Preise kaufen wollen, um gute Geschäfte zu machen, und
sollte dies auch heute wie allenthalben in der Welt hie und da der Fall sein,
so würde doch die Predigt eines wirtschaftlichen oder nationalen Kreuzzuges


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[0220] Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen ergiebt sich dies aus folgender Zusammenstellung, zu deren Verständnis wir übrigens bemerken müssen, daß sie nach Gemeiudefluren berechnet ist, daß also dabei die allerdings seltenen Fälle nicht berücksichtigt sind, wo ein Gutsbesitz in eine benachbarte Flur hinübergreife. Es sind 1882 gezählt worden landwirtschaftliche Betriebe von: 20—60 Hektaren 100—200 Hektaren SO—100 Hektaren 200 600 Hektaren S00—1000 Hektaren 1000 und mehr Held. im Unterelsaß . .8246310411 im Oberelsaß . .960111352 in Lothringen . .2475885501141 in Elsaß-Lothringen425910595462021 Obwohl wir diese Ziffern keineswegs als ganz genau bezeichnen möchten, so können wir doch daraus mit Sicherheit entnehmen, daß in Lothringen die Gelegenheit zur Erwerbung von Gütern von 50—200 Hektaren viel häufiger ist als im Elsaß. Die wirtschaftliche Thatsache wollen wir einstweilen auf sich beruhen lassen. Politisch, nicht wirtschaftlich, ist dabei von Bedeutung, daß die große Mehr¬ zahl dieser Güter in französischen Händen ist. Die Eigentümer fanden bei der Optivnsbewegung keine Gelegenheit zum Verkauf, oder sie wurden durch ver¬ mögensrechtliche Rücksichten zur Beibehaltung des Eigentums bestimmt. Auch wollte mancher, sei es in der Hoffnung auf eine Wandlung der Dinge, sei es in der Meinung, daß man sich für den Fall einer Umwälzung in Frank¬ reich ein duöii rstiro im Reichslande offen halten müsse, sich seines Grund¬ besitzes nicht entäußern. Politisch ist es ferner von Bedeutung, daß der Klein¬ besitz bis herab zu den geringfügigsten Parzellen heute noch in bedenklichem Maße im Besitze von Optanten und Auswanderern ist. Das sind die politischen Gründe, die für eine Kolonisirung oder besser gesagt für die Förderung der Ein¬ wanderung deutscher Landwirte sprechen. Die wirtschaftlichen Gründe sind dabei von untergeordneter Bedeutung insofern, als das Land sich wirtschaftlich in den alten Geleisen noch lange fortbeweget! mag. Es kann aber heute, wo wir Wichtigeres im Lande zu thun haben, nicht als nächste Aufgabe des deutschen Reichs bezeichnet werden, deutsche Landwirte in Lothringen nur zu dem Zwecke einzuführen, damit dieses genügend besiedelte, wenn auch land¬ wirtschaftlich nicht hoch entwickelte Land durch Musterwirtschaften über seine Entwicklungsfähigkeit belehrt werde. Lothringen ist anch kein Gegenstand für die Gewinnsucht von Leuten, die Güter unter dein Preise kaufen wollen, um gute Geschäfte zu machen, und sollte dies auch heute wie allenthalben in der Welt hie und da der Fall sein, so würde doch die Predigt eines wirtschaftlichen oder nationalen Kreuzzuges

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/220>, abgerufen am 23.07.2024.