Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.Das Nationalgefühl jedenfalls brachte die französische Revolution so, wie sie verlief, bei den Unterdessen aber war man unversehens stolz geworden, Deutscher zu heißen. Ich wüßte keine" bessern Zeugen und Darsteller aller der sich mischenden Das Nationalgefühl jedenfalls brachte die französische Revolution so, wie sie verlief, bei den Unterdessen aber war man unversehens stolz geworden, Deutscher zu heißen. Ich wüßte keine» bessern Zeugen und Darsteller aller der sich mischenden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0021" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206666"/> <fw type="header" place="top"> Das Nationalgefühl</fw><lb/> <p xml:id="ID_27" prev="#ID_26"> jedenfalls brachte die französische Revolution so, wie sie verlief, bei den<lb/> Deutsche», abgesehen von einigen flüchtigen Ordnungsstörungen, die in den<lb/> Grenzgebieten dnrch unmittelbare Einwirkung geschahen, noch keine Hinlenkung<lb/> der Gedanken auf das Staatsleben hervor.</p><lb/> <p xml:id="ID_28"> Unterdessen aber war man unversehens stolz geworden, Deutscher zu heißen.<lb/> Die deutsche Sprache, jetzt meisterlich ausgearbeitet und Siegerin über das<lb/> zünftige Latein und das Französische der Konversation, war es, die der auf<lb/> ihrer Höhe stehenden Bildung und Kultur den Ausdruck lieh; man hatte es<lb/> doch an der Sprache bemerken müssen, daß man ein Deutscher sei; man ver¬<lb/> glich sodann und sah sich selbst, das Volk dieser deutschen Zunge in allem,<lb/> was der Zeit überhaupt von Wert war, voran. Jetzt sprach man von der<lb/> deutschen Muse, die stolz die Rivalin in dem Wettstreit fordere, jetzt ward<lb/> man froh, als Deutscher geboren zu sein, stolz der Zugehörigkeit zu der Nation.<lb/> Aber man wandte die neue Erkenntnis nicht an, dachte nicht weiter daran,<lb/> was es nun bedeute, ein Deutscher zu sein, wie ein solcher der äußerlichen<lb/> Betrachtung der Fremden sich darbieten möge, man blieb weit davon entfernt,<lb/> die trostlose kleinstaatliche Zersplittrung des deutschen Namens zu empfinden, und<lb/> fuhr immer noch fort, ein etwaiges Heimatsgefühl lediglich dem einzelnen Lande<lb/> zu widmen, für dessen Regierung es eben kein wirkliches Deutschland mehr<lb/> gab. So hat sich damals zwar ein gemeindeutscher Bildungsstolz, doch kein<lb/> eigentliches Vaterlandsgefühl entwickelt; aber es schlummerte, der Zukunft vor¬<lb/> behalten, in jenem jungen Stolze der Deutschheit und es war noch ein Glück<lb/> für die reine Erhaltung dieser verborgenen Keime, daß bei der völligen Ab¬<lb/> kehr von jedem politischen Wünschen und Wollen auch jenes gedankenlos über¬<lb/> nommene kleinstaatliche Heimatsgefühl zu keiner Ausgestaltung und Wirksam¬<lb/> keit gelangte.</p><lb/> <p xml:id="ID_29" next="#ID_30"> Ich wüßte keine» bessern Zeugen und Darsteller aller der sich mischenden<lb/> Neigungen und Vorgänge des Gemüts des damaligen Deutschen zu finden,<lb/> als den jetzt halbvergessenen Spaziergänger nach Syrakus, Johann Gottfried<lb/> Seume. Es giebt damals wohl kaum einen ehrlichem und keinen stolzem<lb/> Deutschen als gerade Saume, der oft genug — und dann so ganz erfolglos —<lb/> darauf treuherzig pocht, daß er Deutscher ist. Und gerade an ihm ist zugleich<lb/> "in bequemsten das eben Besprochene zu beobachten: einerseits die Weltbürger-<lb/> lichkeit, die ihn durch Italien und Frankreich begleitet, das kosmopolitische<lb/> Gefühl, das bei dein einfachen, aber leicht verletzten Manne sogar eine Seiten-<lb/> Weildung zur Naturvölkersehnsucht und zur Abkehr von „Europens übertüuchter<lb/> Höflichkeit" nimmt, anderseits das unablässige Betonen und Aufsuchen des Ich,<lb/> der Persönlichkeit. Wie tritt dieses letztere ganz besonders hervor in dem,<lb/> Was er nach Paris gelangt berichtet! Als hier Bonaparte, der lange von ihm<lb/> ersehnte Gegenstand der Beobachtung, ihm näher gerückt wird, als er so recht<lb/> eingehend und allseitig den ersten Konsul als Menschen an den lebenden Zeugen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0021]
Das Nationalgefühl
jedenfalls brachte die französische Revolution so, wie sie verlief, bei den
Deutsche», abgesehen von einigen flüchtigen Ordnungsstörungen, die in den
Grenzgebieten dnrch unmittelbare Einwirkung geschahen, noch keine Hinlenkung
der Gedanken auf das Staatsleben hervor.
Unterdessen aber war man unversehens stolz geworden, Deutscher zu heißen.
Die deutsche Sprache, jetzt meisterlich ausgearbeitet und Siegerin über das
zünftige Latein und das Französische der Konversation, war es, die der auf
ihrer Höhe stehenden Bildung und Kultur den Ausdruck lieh; man hatte es
doch an der Sprache bemerken müssen, daß man ein Deutscher sei; man ver¬
glich sodann und sah sich selbst, das Volk dieser deutschen Zunge in allem,
was der Zeit überhaupt von Wert war, voran. Jetzt sprach man von der
deutschen Muse, die stolz die Rivalin in dem Wettstreit fordere, jetzt ward
man froh, als Deutscher geboren zu sein, stolz der Zugehörigkeit zu der Nation.
Aber man wandte die neue Erkenntnis nicht an, dachte nicht weiter daran,
was es nun bedeute, ein Deutscher zu sein, wie ein solcher der äußerlichen
Betrachtung der Fremden sich darbieten möge, man blieb weit davon entfernt,
die trostlose kleinstaatliche Zersplittrung des deutschen Namens zu empfinden, und
fuhr immer noch fort, ein etwaiges Heimatsgefühl lediglich dem einzelnen Lande
zu widmen, für dessen Regierung es eben kein wirkliches Deutschland mehr
gab. So hat sich damals zwar ein gemeindeutscher Bildungsstolz, doch kein
eigentliches Vaterlandsgefühl entwickelt; aber es schlummerte, der Zukunft vor¬
behalten, in jenem jungen Stolze der Deutschheit und es war noch ein Glück
für die reine Erhaltung dieser verborgenen Keime, daß bei der völligen Ab¬
kehr von jedem politischen Wünschen und Wollen auch jenes gedankenlos über¬
nommene kleinstaatliche Heimatsgefühl zu keiner Ausgestaltung und Wirksam¬
keit gelangte.
Ich wüßte keine» bessern Zeugen und Darsteller aller der sich mischenden
Neigungen und Vorgänge des Gemüts des damaligen Deutschen zu finden,
als den jetzt halbvergessenen Spaziergänger nach Syrakus, Johann Gottfried
Seume. Es giebt damals wohl kaum einen ehrlichem und keinen stolzem
Deutschen als gerade Saume, der oft genug — und dann so ganz erfolglos —
darauf treuherzig pocht, daß er Deutscher ist. Und gerade an ihm ist zugleich
"in bequemsten das eben Besprochene zu beobachten: einerseits die Weltbürger-
lichkeit, die ihn durch Italien und Frankreich begleitet, das kosmopolitische
Gefühl, das bei dein einfachen, aber leicht verletzten Manne sogar eine Seiten-
Weildung zur Naturvölkersehnsucht und zur Abkehr von „Europens übertüuchter
Höflichkeit" nimmt, anderseits das unablässige Betonen und Aufsuchen des Ich,
der Persönlichkeit. Wie tritt dieses letztere ganz besonders hervor in dem,
Was er nach Paris gelangt berichtet! Als hier Bonaparte, der lange von ihm
ersehnte Gegenstand der Beobachtung, ihm näher gerückt wird, als er so recht
eingehend und allseitig den ersten Konsul als Menschen an den lebenden Zeugen
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