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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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zngsamt! Dabei ist nur zu verwundern, daß Lißzt doch noch dein Gericht
überlassen will, in fünf Zlbstufungen die Strafen zu erkennen. Folgerichtig
wäre es, wenn auch diese Abstufungen wegfielen und dem Strafvollzugsnmt
anheimgestellt bliebe, ob es den Verurteilten sechs Wochen oder zeitlebens
sitzen lassen wolle.

Sehen wir uns nur einmal dieses Sirafvollzugsamt etwas näher an.
Es soll bestehen aus dem Leiter der Strafanstalt. Das kann ein recht tüchtiger,
kann aber anch nach der Art seines Berufs ein sehr einseitig herangebildeter
Mann sein. Lxsinxl-z. sunt oäiosÄ. Sodann sollen dazu gehören der "Staats¬
anwalt" und der "Untersuchungsrichter." Was für Beamte sollen das sein?
Sollen es die sein, die die laufenden Geschäfte haben? Aber wie behielten
diese noch Zeit, eine so umfassende Thätigkeit zu üben, wie die ihnen durch
das Strafvollzugsamt auferlegte? Es müßten also wohl ein abgedankter Staats¬
nnwalt und ein abgedankter Untersuchungsrichter sein? Oder wie denkt sich
Lißzt diese Würdenträger? Dann kommen die beiden Vertrauensmänner aus
den Schutzvereinen und deu Selbstverwaltungskörpern. Jeder kennt wohl
Männer dieser Art, und wir verlieren über sie kein Wort weiter. Sind nun alle
diese Leute so ungeheure Menschenkenner und zugleich so von Gerechtigkeitssinn
durchdrungen, daß sie jedem Gefangnen bis ins Herz zu sehen und darnach ihm
eine gerechte Strafe zuzuleiten vermöchten? Endlich wird anch noch -- risuni
toneat-i?, aimvi! -- der "strafrechtliche Theoretiker" für das Sirafvollzugsamt
empfohlen. Freilich wird nicht gesagt, daß er vorzugsweise Menschenkenner
sei. Vielmehr sollen sür ihn die Gefangnen gleichsam Versuchstierchen abgeben,
an denen er seine anthropologischen und soziologischen Studien machen
könne. Übrigens ließe sich die Frage erheben, ob, wenn die ganze richter¬
liche Strafzumessung und damit die eigentlich wissenschaftliche Thätigkeit
des Richters wegfiele, man dann überhaupt uoch strafrechtliche Theoretiker
brauchte.

Wir fragen nun aber weiter: Wie sollen denn diese Personen für ihre
so tief in das Schicksal der Menschen eingreifende Entscheidung die Grundlage
gewinnen? Sie sollen den Gefangnen Wochen, Monate, Jahre beobachten und
danach sich über seinen Charakter und seine ganze Persönlichkeit ein Urteil
bilden. Aber wie sollen sie das anfangen? In unsern größer" Gefängnissen
sind Hunderte von Gefangnen. Solche Gefängnisse sind auch öfters von dem
Sitze der Behörden entfernt. Gesetzt nun auch, jedes Mitglied des Strafvoll¬
zugsamtes besuchte in jeder Woche einmal das Gefängnis und unterhielte sich
mit jedem der Gefangnen einige Minuten (was doch schon ein ganz erkleckliches
Stück Arbeit wäre), hätte er nun ein Urteil gewonnen über jeden dieser Ge¬
fangnen? Offenbar müßte jedes Mitglied des Vvllzugsamtes sich über jeden
Gefangnen Spezialnkten anlegen, um nur die verworrenen Bilder, die ihm die
Lebensverhältnisse aller dieser dunkeln Existenzen vor Angen führten, einiger-


zngsamt! Dabei ist nur zu verwundern, daß Lißzt doch noch dein Gericht
überlassen will, in fünf Zlbstufungen die Strafen zu erkennen. Folgerichtig
wäre es, wenn auch diese Abstufungen wegfielen und dem Strafvollzugsnmt
anheimgestellt bliebe, ob es den Verurteilten sechs Wochen oder zeitlebens
sitzen lassen wolle.

Sehen wir uns nur einmal dieses Sirafvollzugsamt etwas näher an.
Es soll bestehen aus dem Leiter der Strafanstalt. Das kann ein recht tüchtiger,
kann aber anch nach der Art seines Berufs ein sehr einseitig herangebildeter
Mann sein. Lxsinxl-z. sunt oäiosÄ. Sodann sollen dazu gehören der „Staats¬
anwalt" und der „Untersuchungsrichter." Was für Beamte sollen das sein?
Sollen es die sein, die die laufenden Geschäfte haben? Aber wie behielten
diese noch Zeit, eine so umfassende Thätigkeit zu üben, wie die ihnen durch
das Strafvollzugsamt auferlegte? Es müßten also wohl ein abgedankter Staats¬
nnwalt und ein abgedankter Untersuchungsrichter sein? Oder wie denkt sich
Lißzt diese Würdenträger? Dann kommen die beiden Vertrauensmänner aus
den Schutzvereinen und deu Selbstverwaltungskörpern. Jeder kennt wohl
Männer dieser Art, und wir verlieren über sie kein Wort weiter. Sind nun alle
diese Leute so ungeheure Menschenkenner und zugleich so von Gerechtigkeitssinn
durchdrungen, daß sie jedem Gefangnen bis ins Herz zu sehen und darnach ihm
eine gerechte Strafe zuzuleiten vermöchten? Endlich wird anch noch — risuni
toneat-i?, aimvi! — der „strafrechtliche Theoretiker" für das Sirafvollzugsamt
empfohlen. Freilich wird nicht gesagt, daß er vorzugsweise Menschenkenner
sei. Vielmehr sollen sür ihn die Gefangnen gleichsam Versuchstierchen abgeben,
an denen er seine anthropologischen und soziologischen Studien machen
könne. Übrigens ließe sich die Frage erheben, ob, wenn die ganze richter¬
liche Strafzumessung und damit die eigentlich wissenschaftliche Thätigkeit
des Richters wegfiele, man dann überhaupt uoch strafrechtliche Theoretiker
brauchte.

Wir fragen nun aber weiter: Wie sollen denn diese Personen für ihre
so tief in das Schicksal der Menschen eingreifende Entscheidung die Grundlage
gewinnen? Sie sollen den Gefangnen Wochen, Monate, Jahre beobachten und
danach sich über seinen Charakter und seine ganze Persönlichkeit ein Urteil
bilden. Aber wie sollen sie das anfangen? In unsern größer» Gefängnissen
sind Hunderte von Gefangnen. Solche Gefängnisse sind auch öfters von dem
Sitze der Behörden entfernt. Gesetzt nun auch, jedes Mitglied des Strafvoll¬
zugsamtes besuchte in jeder Woche einmal das Gefängnis und unterhielte sich
mit jedem der Gefangnen einige Minuten (was doch schon ein ganz erkleckliches
Stück Arbeit wäre), hätte er nun ein Urteil gewonnen über jeden dieser Ge¬
fangnen? Offenbar müßte jedes Mitglied des Vvllzugsamtes sich über jeden
Gefangnen Spezialnkten anlegen, um nur die verworrenen Bilder, die ihm die
Lebensverhältnisse aller dieser dunkeln Existenzen vor Angen führten, einiger-


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[0172] zngsamt! Dabei ist nur zu verwundern, daß Lißzt doch noch dein Gericht überlassen will, in fünf Zlbstufungen die Strafen zu erkennen. Folgerichtig wäre es, wenn auch diese Abstufungen wegfielen und dem Strafvollzugsnmt anheimgestellt bliebe, ob es den Verurteilten sechs Wochen oder zeitlebens sitzen lassen wolle. Sehen wir uns nur einmal dieses Sirafvollzugsamt etwas näher an. Es soll bestehen aus dem Leiter der Strafanstalt. Das kann ein recht tüchtiger, kann aber anch nach der Art seines Berufs ein sehr einseitig herangebildeter Mann sein. Lxsinxl-z. sunt oäiosÄ. Sodann sollen dazu gehören der „Staats¬ anwalt" und der „Untersuchungsrichter." Was für Beamte sollen das sein? Sollen es die sein, die die laufenden Geschäfte haben? Aber wie behielten diese noch Zeit, eine so umfassende Thätigkeit zu üben, wie die ihnen durch das Strafvollzugsamt auferlegte? Es müßten also wohl ein abgedankter Staats¬ nnwalt und ein abgedankter Untersuchungsrichter sein? Oder wie denkt sich Lißzt diese Würdenträger? Dann kommen die beiden Vertrauensmänner aus den Schutzvereinen und deu Selbstverwaltungskörpern. Jeder kennt wohl Männer dieser Art, und wir verlieren über sie kein Wort weiter. Sind nun alle diese Leute so ungeheure Menschenkenner und zugleich so von Gerechtigkeitssinn durchdrungen, daß sie jedem Gefangnen bis ins Herz zu sehen und darnach ihm eine gerechte Strafe zuzuleiten vermöchten? Endlich wird anch noch — risuni toneat-i?, aimvi! — der „strafrechtliche Theoretiker" für das Sirafvollzugsamt empfohlen. Freilich wird nicht gesagt, daß er vorzugsweise Menschenkenner sei. Vielmehr sollen sür ihn die Gefangnen gleichsam Versuchstierchen abgeben, an denen er seine anthropologischen und soziologischen Studien machen könne. Übrigens ließe sich die Frage erheben, ob, wenn die ganze richter¬ liche Strafzumessung und damit die eigentlich wissenschaftliche Thätigkeit des Richters wegfiele, man dann überhaupt uoch strafrechtliche Theoretiker brauchte. Wir fragen nun aber weiter: Wie sollen denn diese Personen für ihre so tief in das Schicksal der Menschen eingreifende Entscheidung die Grundlage gewinnen? Sie sollen den Gefangnen Wochen, Monate, Jahre beobachten und danach sich über seinen Charakter und seine ganze Persönlichkeit ein Urteil bilden. Aber wie sollen sie das anfangen? In unsern größer» Gefängnissen sind Hunderte von Gefangnen. Solche Gefängnisse sind auch öfters von dem Sitze der Behörden entfernt. Gesetzt nun auch, jedes Mitglied des Strafvoll¬ zugsamtes besuchte in jeder Woche einmal das Gefängnis und unterhielte sich mit jedem der Gefangnen einige Minuten (was doch schon ein ganz erkleckliches Stück Arbeit wäre), hätte er nun ein Urteil gewonnen über jeden dieser Ge¬ fangnen? Offenbar müßte jedes Mitglied des Vvllzugsamtes sich über jeden Gefangnen Spezialnkten anlegen, um nur die verworrenen Bilder, die ihm die Lebensverhältnisse aller dieser dunkeln Existenzen vor Angen führten, einiger-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/172>, abgerufen am 23.07.2024.