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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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daß die jetzt herrschende Partei nicht dnrch Gladstone mit seinem Hasse gegen
Deutschland und Österreich und seiner schwer begreiflichen Vorliebe für die
Franzosen verdrängt wird, und daß es immer nur von einem alles über¬
wiegenden zeitweiligen englischen Interesse abhängen wird, wenn wir England
als Kriegsgenossen neben uns sehen sollen. In Frankreich trieben der Verdruß
über die Verluste von t87<> und der Rachegedanke im vorigen Jahre ihre
Thorheiten fort, ebenso die Liebüugelei mit deu Russen; doch nahm die drohende
. , Gefahr in dem Maße ab, wie das Ansehen und die Aussichten Boulangers
schwante:?, der jetzt durch seine Verurteilung, seiue Selbstverbannung und seinen
geringen Erfolg bei den letzten Wahlen endgiltig beseitigt zu sein scheint. Von über¬
seeischen Ereignissen des letzten Jahres sind der Beginn des panamerikanischen
Kongresses in Washington und die Revolution in Rio mit ihrer Verjagung der
Dynastie Braganza und ihrer neuen Republik hier uur kurz zu erwähne".
Dagegen haben wir etwas ausführlicher noch einer verdrießlichen Störung zu ge¬
denken, die innerhalb der letzten zwölf Monate in das sonst gute Einvernehmen
zwischen dem Reiche und der benachbarten Eidgenossenschaft kam. Wir meinen die
Wohlgemuthsche Angelegenheit, die Thatsache, daß ein kaiserlicher Polizeibeamter
unter Mitwirkung schweizerischer Behörden auf Schweizergebiet gelockt und
dort eingesperrt wurde, und daß die Zentralbehörde in Bern sich dem anschloß,
indem sie den kaiserlichen Beamten mit Ausweisung bestrafte. Die Schweizer
Hütten bedenken sollen, daß ihre Neutralität ihnen nicht bloß Rechte giebt,
sondern auch Pflichten auferlegt, daß wir uns ihren Übermut und bösen Willen
merken werden, und daß noch lange nicht aller Tage Abend ist, weil kleine
Leute, Söhnlein von Fabelhelden wie Tell und Winkelried, so glauben und
handeln. Mit jener Ausweisung hat man seinen Entschluß bekundet, unsern
Beamten, die beauftragt sind, Erkundigung über die in der Schweiz lebenden
deutschen sozialistischen Neichsfeinde einzuziehen, nicht dieselbe Duldung zu ge¬
währen, die jenen in so vollem Maße bewiesen wird, daß der Sozialismus
dort seine Hauptlager hat und seine Haupthebel zum Umsturze des Reiches
ansetzt. Das wird anders werden müssen. Die Kleinheit des Kantvulibundes
darf nicht länger ein Schutz fein für Mißwollen seiner Freiheitsphilister gegen
den großen und darum hier zur Großmut geneigten Nachbarn. Aber diese
Phgmäen waren die einzigen Feinde, die im letzten Jahre eine Störung in das
Leben des neuen Reiches brachten und uns damit eine unerfreuliche Erinnerung
wurden.




daß die jetzt herrschende Partei nicht dnrch Gladstone mit seinem Hasse gegen
Deutschland und Österreich und seiner schwer begreiflichen Vorliebe für die
Franzosen verdrängt wird, und daß es immer nur von einem alles über¬
wiegenden zeitweiligen englischen Interesse abhängen wird, wenn wir England
als Kriegsgenossen neben uns sehen sollen. In Frankreich trieben der Verdruß
über die Verluste von t87<> und der Rachegedanke im vorigen Jahre ihre
Thorheiten fort, ebenso die Liebüugelei mit deu Russen; doch nahm die drohende
. , Gefahr in dem Maße ab, wie das Ansehen und die Aussichten Boulangers
schwante:?, der jetzt durch seine Verurteilung, seiue Selbstverbannung und seinen
geringen Erfolg bei den letzten Wahlen endgiltig beseitigt zu sein scheint. Von über¬
seeischen Ereignissen des letzten Jahres sind der Beginn des panamerikanischen
Kongresses in Washington und die Revolution in Rio mit ihrer Verjagung der
Dynastie Braganza und ihrer neuen Republik hier uur kurz zu erwähne».
Dagegen haben wir etwas ausführlicher noch einer verdrießlichen Störung zu ge¬
denken, die innerhalb der letzten zwölf Monate in das sonst gute Einvernehmen
zwischen dem Reiche und der benachbarten Eidgenossenschaft kam. Wir meinen die
Wohlgemuthsche Angelegenheit, die Thatsache, daß ein kaiserlicher Polizeibeamter
unter Mitwirkung schweizerischer Behörden auf Schweizergebiet gelockt und
dort eingesperrt wurde, und daß die Zentralbehörde in Bern sich dem anschloß,
indem sie den kaiserlichen Beamten mit Ausweisung bestrafte. Die Schweizer
Hütten bedenken sollen, daß ihre Neutralität ihnen nicht bloß Rechte giebt,
sondern auch Pflichten auferlegt, daß wir uns ihren Übermut und bösen Willen
merken werden, und daß noch lange nicht aller Tage Abend ist, weil kleine
Leute, Söhnlein von Fabelhelden wie Tell und Winkelried, so glauben und
handeln. Mit jener Ausweisung hat man seinen Entschluß bekundet, unsern
Beamten, die beauftragt sind, Erkundigung über die in der Schweiz lebenden
deutschen sozialistischen Neichsfeinde einzuziehen, nicht dieselbe Duldung zu ge¬
währen, die jenen in so vollem Maße bewiesen wird, daß der Sozialismus
dort seine Hauptlager hat und seine Haupthebel zum Umsturze des Reiches
ansetzt. Das wird anders werden müssen. Die Kleinheit des Kantvulibundes
darf nicht länger ein Schutz fein für Mißwollen seiner Freiheitsphilister gegen
den großen und darum hier zur Großmut geneigten Nachbarn. Aber diese
Phgmäen waren die einzigen Feinde, die im letzten Jahre eine Störung in das
Leben des neuen Reiches brachten und uns damit eine unerfreuliche Erinnerung
wurden.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/15>, abgerufen am 23.07.2024.