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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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losen Unheils. Die Auferstehung ist teils erfunden, teils erdichtet, teils in
idealer Hinsicht wahr, in jedem Falle aber als Erzeugnis der betreffenden Zeit
vollkommen verstündlich und natürlich für jeden, der den Schlüssel zu jener
Zeit besitzt.

Mit Elsmeres Glanbensruhe und geistiger Sicherheit ist es dahin. Ver¬
worrene Bedenken und qualvolle Zweifel fangen an, in seinem Innern zu
wühlen. Der Kampf zwischen seinen kritiklos angelernten Glaubenssatzungen
und einer neuen atheistischen Weltanschauung wirft ihn hin und her. Er
findet an den Offenbarungen keinen Halt mehr und unterliegt kraftlos den
anstürmenden Zweifeln. Halb gebrochen an Geist und Körper, begiebt er sich
zu seinem frühern Lehrer Henry Grey nach Oxford und teilt ihm mit, daß
sein Gewissen ihm gebiete, die Kirche zu verlassen. Es ist grausam, bitter,
sagt der Gelehrte, ich kenne das, ich habe es auch durchgemacht; ich weis;
sehr wohl, der Weltmann spottet darüber, aber wer ein Christ vom 'alten
Schlage gewesen ist, dem reißt die Lostrennnng von der christlichen Mythologie
Mark und Knochen aus einander; das heißt für ihn, Vertrauen und Freude am
Leben zur Hälfte einbüßen. Aber sei mutig! Es ist eine Prüfung Gottes.
Fürchte nicht, es werde dich, von Gott fortführen. Gott ist in der Kritik, in
der Wissenschaft, im Zweifel, so lange es ein reiner und ehrlicher Zweifel wie
der deinige ist. Er ist im ganzen Leben, im ganzen Denken. Das mensch¬
liche Denken ist, wie es sich in den Einrichtungen der Menschen verkörpert hat,
in ihren philosophischen Systemen, in der Wissenschaft, in der geduldigen kritischen
Arbeit oder im Wesen der Menschenliebe die eine beständige Offenbarung
Gottes. Liebe und Phantasie bauten die Religion auf -- soll Vernunft sie
wieder zerstöre"? Nein, Vernunft ist von Gott, wie alles übrige. Lerne Gott
suchen -- nicht in einem einzelnen Ereignis der Vergangenheit, sondern in
deiner eignen Seele, in der beständigen Vewahrheitnng des Erfahrnen, in dem
Leben christlicher Liebe!

ElSmere verläßt Oxford, ohne von seinen Zweifeln befreit zu sein. Im
Gegenteil, es wird in seinein Bewußtsein immer klarer, daß er in ein neues
geistiges Leben eingetreten sei. Er gesteht seinem unheilahnenden Weibe den
Abfall vom Bibelglauben; er macht ihr die furchtbare Offenbarung: Ich kann
nicht mehr an eine Menschwerdung und Auferstehung glauben. Christus ist
nur in iiuserii Herzen auferstanden, in dem christlichen Leben der Menschen¬
liebe. Die Wunder sind ein natürliches Erzeugnis der menschlichen Empfindung
und Phantasie. Gott war in Jesu vor allen, wie er in allen großen Seelen
sse, aber ans keine andre Weise, auf keine andre Weise, wie er in mir und in
dir ist! Katharina bricht vor dieser Enthüllung sprachlos zusammen; sie
will ihn verlassen, um wenigstens das Kind vor dem Einfluß eines solchen
Baders zu bewahren; aber ihre Liebe gewinnt schließlich die Übermacht, nicht weil
es Elsmere ist, sondern weil der Herr befiehlt: Habet euch unter einander lieb.


losen Unheils. Die Auferstehung ist teils erfunden, teils erdichtet, teils in
idealer Hinsicht wahr, in jedem Falle aber als Erzeugnis der betreffenden Zeit
vollkommen verstündlich und natürlich für jeden, der den Schlüssel zu jener
Zeit besitzt.

Mit Elsmeres Glanbensruhe und geistiger Sicherheit ist es dahin. Ver¬
worrene Bedenken und qualvolle Zweifel fangen an, in seinem Innern zu
wühlen. Der Kampf zwischen seinen kritiklos angelernten Glaubenssatzungen
und einer neuen atheistischen Weltanschauung wirft ihn hin und her. Er
findet an den Offenbarungen keinen Halt mehr und unterliegt kraftlos den
anstürmenden Zweifeln. Halb gebrochen an Geist und Körper, begiebt er sich
zu seinem frühern Lehrer Henry Grey nach Oxford und teilt ihm mit, daß
sein Gewissen ihm gebiete, die Kirche zu verlassen. Es ist grausam, bitter,
sagt der Gelehrte, ich kenne das, ich habe es auch durchgemacht; ich weis;
sehr wohl, der Weltmann spottet darüber, aber wer ein Christ vom 'alten
Schlage gewesen ist, dem reißt die Lostrennnng von der christlichen Mythologie
Mark und Knochen aus einander; das heißt für ihn, Vertrauen und Freude am
Leben zur Hälfte einbüßen. Aber sei mutig! Es ist eine Prüfung Gottes.
Fürchte nicht, es werde dich, von Gott fortführen. Gott ist in der Kritik, in
der Wissenschaft, im Zweifel, so lange es ein reiner und ehrlicher Zweifel wie
der deinige ist. Er ist im ganzen Leben, im ganzen Denken. Das mensch¬
liche Denken ist, wie es sich in den Einrichtungen der Menschen verkörpert hat,
in ihren philosophischen Systemen, in der Wissenschaft, in der geduldigen kritischen
Arbeit oder im Wesen der Menschenliebe die eine beständige Offenbarung
Gottes. Liebe und Phantasie bauten die Religion auf — soll Vernunft sie
wieder zerstöre»? Nein, Vernunft ist von Gott, wie alles übrige. Lerne Gott
suchen — nicht in einem einzelnen Ereignis der Vergangenheit, sondern in
deiner eignen Seele, in der beständigen Vewahrheitnng des Erfahrnen, in dem
Leben christlicher Liebe!

ElSmere verläßt Oxford, ohne von seinen Zweifeln befreit zu sein. Im
Gegenteil, es wird in seinein Bewußtsein immer klarer, daß er in ein neues
geistiges Leben eingetreten sei. Er gesteht seinem unheilahnenden Weibe den
Abfall vom Bibelglauben; er macht ihr die furchtbare Offenbarung: Ich kann
nicht mehr an eine Menschwerdung und Auferstehung glauben. Christus ist
nur in iiuserii Herzen auferstanden, in dem christlichen Leben der Menschen¬
liebe. Die Wunder sind ein natürliches Erzeugnis der menschlichen Empfindung
und Phantasie. Gott war in Jesu vor allen, wie er in allen großen Seelen
sse, aber ans keine andre Weise, auf keine andre Weise, wie er in mir und in
dir ist! Katharina bricht vor dieser Enthüllung sprachlos zusammen; sie
will ihn verlassen, um wenigstens das Kind vor dem Einfluß eines solchen
Baders zu bewahren; aber ihre Liebe gewinnt schließlich die Übermacht, nicht weil
es Elsmere ist, sondern weil der Herr befiehlt: Habet euch unter einander lieb.


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[0147] losen Unheils. Die Auferstehung ist teils erfunden, teils erdichtet, teils in idealer Hinsicht wahr, in jedem Falle aber als Erzeugnis der betreffenden Zeit vollkommen verstündlich und natürlich für jeden, der den Schlüssel zu jener Zeit besitzt. Mit Elsmeres Glanbensruhe und geistiger Sicherheit ist es dahin. Ver¬ worrene Bedenken und qualvolle Zweifel fangen an, in seinem Innern zu wühlen. Der Kampf zwischen seinen kritiklos angelernten Glaubenssatzungen und einer neuen atheistischen Weltanschauung wirft ihn hin und her. Er findet an den Offenbarungen keinen Halt mehr und unterliegt kraftlos den anstürmenden Zweifeln. Halb gebrochen an Geist und Körper, begiebt er sich zu seinem frühern Lehrer Henry Grey nach Oxford und teilt ihm mit, daß sein Gewissen ihm gebiete, die Kirche zu verlassen. Es ist grausam, bitter, sagt der Gelehrte, ich kenne das, ich habe es auch durchgemacht; ich weis; sehr wohl, der Weltmann spottet darüber, aber wer ein Christ vom 'alten Schlage gewesen ist, dem reißt die Lostrennnng von der christlichen Mythologie Mark und Knochen aus einander; das heißt für ihn, Vertrauen und Freude am Leben zur Hälfte einbüßen. Aber sei mutig! Es ist eine Prüfung Gottes. Fürchte nicht, es werde dich, von Gott fortführen. Gott ist in der Kritik, in der Wissenschaft, im Zweifel, so lange es ein reiner und ehrlicher Zweifel wie der deinige ist. Er ist im ganzen Leben, im ganzen Denken. Das mensch¬ liche Denken ist, wie es sich in den Einrichtungen der Menschen verkörpert hat, in ihren philosophischen Systemen, in der Wissenschaft, in der geduldigen kritischen Arbeit oder im Wesen der Menschenliebe die eine beständige Offenbarung Gottes. Liebe und Phantasie bauten die Religion auf — soll Vernunft sie wieder zerstöre»? Nein, Vernunft ist von Gott, wie alles übrige. Lerne Gott suchen — nicht in einem einzelnen Ereignis der Vergangenheit, sondern in deiner eignen Seele, in der beständigen Vewahrheitnng des Erfahrnen, in dem Leben christlicher Liebe! ElSmere verläßt Oxford, ohne von seinen Zweifeln befreit zu sein. Im Gegenteil, es wird in seinein Bewußtsein immer klarer, daß er in ein neues geistiges Leben eingetreten sei. Er gesteht seinem unheilahnenden Weibe den Abfall vom Bibelglauben; er macht ihr die furchtbare Offenbarung: Ich kann nicht mehr an eine Menschwerdung und Auferstehung glauben. Christus ist nur in iiuserii Herzen auferstanden, in dem christlichen Leben der Menschen¬ liebe. Die Wunder sind ein natürliches Erzeugnis der menschlichen Empfindung und Phantasie. Gott war in Jesu vor allen, wie er in allen großen Seelen sse, aber ans keine andre Weise, auf keine andre Weise, wie er in mir und in dir ist! Katharina bricht vor dieser Enthüllung sprachlos zusammen; sie will ihn verlassen, um wenigstens das Kind vor dem Einfluß eines solchen Baders zu bewahren; aber ihre Liebe gewinnt schließlich die Übermacht, nicht weil es Elsmere ist, sondern weil der Herr befiehlt: Habet euch unter einander lieb.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/147>, abgerufen am 25.08.2024.