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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die ^usti^organisation von l^c^ in ministerieller Beleuchtung

249 Kreisgerichten, 11 hannöverschen Obergerichtcu und 9 rheinischen Land¬
gerichten (zusammen 305 Gerichtsstellen) nur 91 Landgerichte, an die Stelle
von 27 Appellativusgerichteu nur 13 Oberlandesgcrichte setzte. Für viele Orte,
die bisher das anzugehende Gericht in nächster Nähe gehabt hatten, wurde es
hierdurch in weite Ferne gelegt.

In ganz Preußen, nur mit Ausnahme der Rheinprovinz und Hannovers,
konnten früher die Parteien ihre Prozesse bis zu den höchsten Wcrtsummen in
erster Instanz selbst betreiben, und sie machten in einfachen Sachen, z.B. Wechsel¬
sachen, auch vielfach von dieser Befugnis Gebrauch. Auch das in Bagatell¬
sachen zulässige Rechtsmittel des Rekurses konnte ohne Anwalt eingebracht
werden. Die neuen Gesetze ordneten an, daß in allen landgerichtlichen Sachen
(Sachen über 300 Mark Wert) jede Partei einen Anwalt haben müsse, auch
daß in Bagatellsachen, wenn eine Partei ein Rechtsmittel erheben wolle, dies
nur durch einen Anwalt geschehen könne. Die darin liegende Erschwerung der
RechtSverfvlgung liegt auf der Hand.

Für das Weitere müssen wir zunächst einen Blick auf den französischen
Prozeß werfen. Der französische Prozeß besteht darin, daß das Gericht in
seiner Amtstracht dasitzt, die Anwälte davor hintreten, die Sache mündlich
plädiren, und nnn das Gericht ebenso mündlich seinen Ausspruch giebt. Dieses
ganze Verfahren entspricht dem französischen Bedürfnis nach theatralischen
Schein. Es entspricht aber nicht dem Bedürfnis der Gerechtigkeit. Bei unsern
heutigen verwickelten Verhältnissen ist es in unzähligen Fällei? ganz unmöglich,
ans eine bloße mündliche Darstellung hin sicher und gerecht zu entscheiden.
Und doch ist dieses der Grundgedanke des Systems. Wohl aber gewährt dieses
System dem Juristeustaude bequeme Tage und reiches Einkommen, und des¬
halb wurde es von den Juristen der Länder, wo es bereits bestand, in den
Himmel erhoben. Die Interessen der Rechtsuchenden aber blieben dabei schmäh¬
lich hintangesetzt. Dieses System, nnn hat man sich in Deutschland zum
Muster genommen. War es doch überhaupt bei uns lange Zeit Mode, alles
was französisch war, zu bewundern. Wir wollen die dadurch eingetretenen
Änderungen in ihren Hauptzügen hier schildern.

Im dem frühern Prozeß bestand die Einrichtung, daß Klagen und andre
Anträge gleich eingangs vom Richter geprüft und, wenn er sie ungegründet
fand, zurückgewiesen wurden, ohne daß es zu weitern Verhandlungen kam.
Auch eingelegte Rechtsmittel mußten wenigstens auf die formelle Zulässigkeit
hin geprüft werden. Auf diese Weise wurden den Beteiligten unzählige Prozesse
erspart. Heute läuft jede Klage und jedes Rechtsmittel blindlings in den
Prozeß hinein. Der andre Teil wird geladen, und es wird nun zweiseitig
darüber verhandelt. Die Partei, die früher, wenn ihr Anspruch verfehlt war,
mit geringen Kosten wegkam, hat jetzt stets die Kosten eines ganzen Prozesses
zu tragen.


Die ^usti^organisation von l^c^ in ministerieller Beleuchtung

249 Kreisgerichten, 11 hannöverschen Obergerichtcu und 9 rheinischen Land¬
gerichten (zusammen 305 Gerichtsstellen) nur 91 Landgerichte, an die Stelle
von 27 Appellativusgerichteu nur 13 Oberlandesgcrichte setzte. Für viele Orte,
die bisher das anzugehende Gericht in nächster Nähe gehabt hatten, wurde es
hierdurch in weite Ferne gelegt.

In ganz Preußen, nur mit Ausnahme der Rheinprovinz und Hannovers,
konnten früher die Parteien ihre Prozesse bis zu den höchsten Wcrtsummen in
erster Instanz selbst betreiben, und sie machten in einfachen Sachen, z.B. Wechsel¬
sachen, auch vielfach von dieser Befugnis Gebrauch. Auch das in Bagatell¬
sachen zulässige Rechtsmittel des Rekurses konnte ohne Anwalt eingebracht
werden. Die neuen Gesetze ordneten an, daß in allen landgerichtlichen Sachen
(Sachen über 300 Mark Wert) jede Partei einen Anwalt haben müsse, auch
daß in Bagatellsachen, wenn eine Partei ein Rechtsmittel erheben wolle, dies
nur durch einen Anwalt geschehen könne. Die darin liegende Erschwerung der
RechtSverfvlgung liegt auf der Hand.

Für das Weitere müssen wir zunächst einen Blick auf den französischen
Prozeß werfen. Der französische Prozeß besteht darin, daß das Gericht in
seiner Amtstracht dasitzt, die Anwälte davor hintreten, die Sache mündlich
plädiren, und nnn das Gericht ebenso mündlich seinen Ausspruch giebt. Dieses
ganze Verfahren entspricht dem französischen Bedürfnis nach theatralischen
Schein. Es entspricht aber nicht dem Bedürfnis der Gerechtigkeit. Bei unsern
heutigen verwickelten Verhältnissen ist es in unzähligen Fällei? ganz unmöglich,
ans eine bloße mündliche Darstellung hin sicher und gerecht zu entscheiden.
Und doch ist dieses der Grundgedanke des Systems. Wohl aber gewährt dieses
System dem Juristeustaude bequeme Tage und reiches Einkommen, und des¬
halb wurde es von den Juristen der Länder, wo es bereits bestand, in den
Himmel erhoben. Die Interessen der Rechtsuchenden aber blieben dabei schmäh¬
lich hintangesetzt. Dieses System, nnn hat man sich in Deutschland zum
Muster genommen. War es doch überhaupt bei uns lange Zeit Mode, alles
was französisch war, zu bewundern. Wir wollen die dadurch eingetretenen
Änderungen in ihren Hauptzügen hier schildern.

Im dem frühern Prozeß bestand die Einrichtung, daß Klagen und andre
Anträge gleich eingangs vom Richter geprüft und, wenn er sie ungegründet
fand, zurückgewiesen wurden, ohne daß es zu weitern Verhandlungen kam.
Auch eingelegte Rechtsmittel mußten wenigstens auf die formelle Zulässigkeit
hin geprüft werden. Auf diese Weise wurden den Beteiligten unzählige Prozesse
erspart. Heute läuft jede Klage und jedes Rechtsmittel blindlings in den
Prozeß hinein. Der andre Teil wird geladen, und es wird nun zweiseitig
darüber verhandelt. Die Partei, die früher, wenn ihr Anspruch verfehlt war,
mit geringen Kosten wegkam, hat jetzt stets die Kosten eines ganzen Prozesses
zu tragen.


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[0084] Die ^usti^organisation von l^c^ in ministerieller Beleuchtung 249 Kreisgerichten, 11 hannöverschen Obergerichtcu und 9 rheinischen Land¬ gerichten (zusammen 305 Gerichtsstellen) nur 91 Landgerichte, an die Stelle von 27 Appellativusgerichteu nur 13 Oberlandesgcrichte setzte. Für viele Orte, die bisher das anzugehende Gericht in nächster Nähe gehabt hatten, wurde es hierdurch in weite Ferne gelegt. In ganz Preußen, nur mit Ausnahme der Rheinprovinz und Hannovers, konnten früher die Parteien ihre Prozesse bis zu den höchsten Wcrtsummen in erster Instanz selbst betreiben, und sie machten in einfachen Sachen, z.B. Wechsel¬ sachen, auch vielfach von dieser Befugnis Gebrauch. Auch das in Bagatell¬ sachen zulässige Rechtsmittel des Rekurses konnte ohne Anwalt eingebracht werden. Die neuen Gesetze ordneten an, daß in allen landgerichtlichen Sachen (Sachen über 300 Mark Wert) jede Partei einen Anwalt haben müsse, auch daß in Bagatellsachen, wenn eine Partei ein Rechtsmittel erheben wolle, dies nur durch einen Anwalt geschehen könne. Die darin liegende Erschwerung der RechtSverfvlgung liegt auf der Hand. Für das Weitere müssen wir zunächst einen Blick auf den französischen Prozeß werfen. Der französische Prozeß besteht darin, daß das Gericht in seiner Amtstracht dasitzt, die Anwälte davor hintreten, die Sache mündlich plädiren, und nnn das Gericht ebenso mündlich seinen Ausspruch giebt. Dieses ganze Verfahren entspricht dem französischen Bedürfnis nach theatralischen Schein. Es entspricht aber nicht dem Bedürfnis der Gerechtigkeit. Bei unsern heutigen verwickelten Verhältnissen ist es in unzähligen Fällei? ganz unmöglich, ans eine bloße mündliche Darstellung hin sicher und gerecht zu entscheiden. Und doch ist dieses der Grundgedanke des Systems. Wohl aber gewährt dieses System dem Juristeustaude bequeme Tage und reiches Einkommen, und des¬ halb wurde es von den Juristen der Länder, wo es bereits bestand, in den Himmel erhoben. Die Interessen der Rechtsuchenden aber blieben dabei schmäh¬ lich hintangesetzt. Dieses System, nnn hat man sich in Deutschland zum Muster genommen. War es doch überhaupt bei uns lange Zeit Mode, alles was französisch war, zu bewundern. Wir wollen die dadurch eingetretenen Änderungen in ihren Hauptzügen hier schildern. Im dem frühern Prozeß bestand die Einrichtung, daß Klagen und andre Anträge gleich eingangs vom Richter geprüft und, wenn er sie ungegründet fand, zurückgewiesen wurden, ohne daß es zu weitern Verhandlungen kam. Auch eingelegte Rechtsmittel mußten wenigstens auf die formelle Zulässigkeit hin geprüft werden. Auf diese Weise wurden den Beteiligten unzählige Prozesse erspart. Heute läuft jede Klage und jedes Rechtsmittel blindlings in den Prozeß hinein. Der andre Teil wird geladen, und es wird nun zweiseitig darüber verhandelt. Die Partei, die früher, wenn ihr Anspruch verfehlt war, mit geringen Kosten wegkam, hat jetzt stets die Kosten eines ganzen Prozesses zu tragen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/84>, abgerufen am 22.07.2024.