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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Flugschriften ans (Österreich

sich dein Leser dieser Flugschriften auf, dazwischen leuchten aber doch auch
wieder neue Hoffnungen auf: nicht Auflösung und Zerstörung, höchstens Um¬
bildung und Neugestaltung wird der ruhig erwägende zuletzt für die kommenden
Jahre erwarten.

Die erste von diesen Schriften -- sie erschien bereits einige Monate vor
dem Jubiläum -- trägt den Titel: Neue Bahnen (Wien, Karl Konegen).
Der Verfasser geht von der Frage aus: Welchen Erfolg hat die zehnjährige
Oppositionspvlitik der deutschen Partei zu verzeichnen? Nur den einen will
er ihr zugestehen: verhindert zu haben, daß Österreich heute schon ganz in
föderalistisch-klerikalen Bahnen wandelt, es sei ihr wesentliches Verdienst, "wenn
Staatseinheit, Staatssprache, Altösterreichertum noch deutlich erkennbar bestehen,
wenn die alten Traditionen Österreichs noch nicht überwundene Begriffe sind."
Aber eben nur zu hemmen, nicht aufzuhalten hat die deutsche Opposition den
Gegner vermocht, dies sei ihr einziger, also ein sehr bescheidner, sehr zweifel¬
hafter Erfolg. Wie dies nun enden soll, fragt der Verfasser: "Will die deutsche
Opposition der heldenhaften Schar des Leonidas gleich bis zum letzten Augen¬
blicke den aussichtslosen Kampf kämpfen und verendend den Triumph ihrer
Gegner noch sehen?" Aber es könnte ja ein Umschwung eintreten, die deutsche
Partei wieder ans Staatsruder gelangen! Dies bestreitet der Verfasser ent¬
schieden, nur ein von der Partei selbst unabhängiger Zufall vermöchte es.
Der Grund davon liege in der bereits in den ersten siebziger Jahren leise, im
Jahre 1879 entschieden und endgiltig veränderten Stellung der auswärtigen
Politik des Kaiserstaates, die wieder durch die allgemeinen Weltverhältnisse
bedingt wurde. "Es ist eine bittere Wahrheit -- ruft er aus --, aber wir
Deutschen dürfen uns vor ihr nicht verschließen: mit dem Augenblick, da
Österreich-Ungarn seine neue Orientpvlitik entfaltete, mußte es auf deu Charakter
eines rein deutschen Staates verzichten." Denn ein rein deutsch regierter
Staat, worin viele Millionen unzufriedner Slawen wohnen, könne nicht in
den slawischen Ländern der Balkanhalbinsel mit Rußland um politischen Einfluß
kämpfen. Nur dann sei dieser Wettbewerb mit einiger Aussicht auf Erfolg
zu führen, "wenn die slawischen Stämme Österreichs der Notwendigkeit ent-
hoben werden, in Rußland ihre" natürlichen und berufenen Hort zu erblicken."

Das Bündnis mit Deutschland, so führt der Verfasser unsrer Flugschrift
weiter aus, erfordere durchaus uicht, wie man im deutschen Lager so oft meine,
eine deutsche Parteiregierung. Denn dieses Bündnis habe eine österreichische
Politik zur Voraussetzung, die jeden Gedanken an eine Wiedergewinnung der
Stellung, die Österreich vor 1866 einnahm, ausschließe. Deutschland brauche
zum Bundesgenossen ein Österreich, das seine Zukunft im Osten suche und
auf den Westen und Norden verzichte. Es habe kein Interesse, daß dieses
Österreich vorherrschend deutsch sei, es solle nur nicht preußenfeindlich und
rnssensrenndlich sei". Indem die Versöhnungsaktion des Grafen Taaffc die


Grenzboten IV 1889 ' 4V
Flugschriften ans (Österreich

sich dein Leser dieser Flugschriften auf, dazwischen leuchten aber doch auch
wieder neue Hoffnungen auf: nicht Auflösung und Zerstörung, höchstens Um¬
bildung und Neugestaltung wird der ruhig erwägende zuletzt für die kommenden
Jahre erwarten.

Die erste von diesen Schriften — sie erschien bereits einige Monate vor
dem Jubiläum — trägt den Titel: Neue Bahnen (Wien, Karl Konegen).
Der Verfasser geht von der Frage aus: Welchen Erfolg hat die zehnjährige
Oppositionspvlitik der deutschen Partei zu verzeichnen? Nur den einen will
er ihr zugestehen: verhindert zu haben, daß Österreich heute schon ganz in
föderalistisch-klerikalen Bahnen wandelt, es sei ihr wesentliches Verdienst, „wenn
Staatseinheit, Staatssprache, Altösterreichertum noch deutlich erkennbar bestehen,
wenn die alten Traditionen Österreichs noch nicht überwundene Begriffe sind."
Aber eben nur zu hemmen, nicht aufzuhalten hat die deutsche Opposition den
Gegner vermocht, dies sei ihr einziger, also ein sehr bescheidner, sehr zweifel¬
hafter Erfolg. Wie dies nun enden soll, fragt der Verfasser: „Will die deutsche
Opposition der heldenhaften Schar des Leonidas gleich bis zum letzten Augen¬
blicke den aussichtslosen Kampf kämpfen und verendend den Triumph ihrer
Gegner noch sehen?" Aber es könnte ja ein Umschwung eintreten, die deutsche
Partei wieder ans Staatsruder gelangen! Dies bestreitet der Verfasser ent¬
schieden, nur ein von der Partei selbst unabhängiger Zufall vermöchte es.
Der Grund davon liege in der bereits in den ersten siebziger Jahren leise, im
Jahre 1879 entschieden und endgiltig veränderten Stellung der auswärtigen
Politik des Kaiserstaates, die wieder durch die allgemeinen Weltverhältnisse
bedingt wurde. „Es ist eine bittere Wahrheit — ruft er aus —, aber wir
Deutschen dürfen uns vor ihr nicht verschließen: mit dem Augenblick, da
Österreich-Ungarn seine neue Orientpvlitik entfaltete, mußte es auf deu Charakter
eines rein deutschen Staates verzichten." Denn ein rein deutsch regierter
Staat, worin viele Millionen unzufriedner Slawen wohnen, könne nicht in
den slawischen Ländern der Balkanhalbinsel mit Rußland um politischen Einfluß
kämpfen. Nur dann sei dieser Wettbewerb mit einiger Aussicht auf Erfolg
zu führen, „wenn die slawischen Stämme Österreichs der Notwendigkeit ent-
hoben werden, in Rußland ihre» natürlichen und berufenen Hort zu erblicken."

Das Bündnis mit Deutschland, so führt der Verfasser unsrer Flugschrift
weiter aus, erfordere durchaus uicht, wie man im deutschen Lager so oft meine,
eine deutsche Parteiregierung. Denn dieses Bündnis habe eine österreichische
Politik zur Voraussetzung, die jeden Gedanken an eine Wiedergewinnung der
Stellung, die Österreich vor 1866 einnahm, ausschließe. Deutschland brauche
zum Bundesgenossen ein Österreich, das seine Zukunft im Osten suche und
auf den Westen und Norden verzichte. Es habe kein Interesse, daß dieses
Österreich vorherrschend deutsch sei, es solle nur nicht preußenfeindlich und
rnssensrenndlich sei». Indem die Versöhnungsaktion des Grafen Taaffc die


Grenzboten IV 1889 ' 4V
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[0361] Flugschriften ans (Österreich sich dein Leser dieser Flugschriften auf, dazwischen leuchten aber doch auch wieder neue Hoffnungen auf: nicht Auflösung und Zerstörung, höchstens Um¬ bildung und Neugestaltung wird der ruhig erwägende zuletzt für die kommenden Jahre erwarten. Die erste von diesen Schriften — sie erschien bereits einige Monate vor dem Jubiläum — trägt den Titel: Neue Bahnen (Wien, Karl Konegen). Der Verfasser geht von der Frage aus: Welchen Erfolg hat die zehnjährige Oppositionspvlitik der deutschen Partei zu verzeichnen? Nur den einen will er ihr zugestehen: verhindert zu haben, daß Österreich heute schon ganz in föderalistisch-klerikalen Bahnen wandelt, es sei ihr wesentliches Verdienst, „wenn Staatseinheit, Staatssprache, Altösterreichertum noch deutlich erkennbar bestehen, wenn die alten Traditionen Österreichs noch nicht überwundene Begriffe sind." Aber eben nur zu hemmen, nicht aufzuhalten hat die deutsche Opposition den Gegner vermocht, dies sei ihr einziger, also ein sehr bescheidner, sehr zweifel¬ hafter Erfolg. Wie dies nun enden soll, fragt der Verfasser: „Will die deutsche Opposition der heldenhaften Schar des Leonidas gleich bis zum letzten Augen¬ blicke den aussichtslosen Kampf kämpfen und verendend den Triumph ihrer Gegner noch sehen?" Aber es könnte ja ein Umschwung eintreten, die deutsche Partei wieder ans Staatsruder gelangen! Dies bestreitet der Verfasser ent¬ schieden, nur ein von der Partei selbst unabhängiger Zufall vermöchte es. Der Grund davon liege in der bereits in den ersten siebziger Jahren leise, im Jahre 1879 entschieden und endgiltig veränderten Stellung der auswärtigen Politik des Kaiserstaates, die wieder durch die allgemeinen Weltverhältnisse bedingt wurde. „Es ist eine bittere Wahrheit — ruft er aus —, aber wir Deutschen dürfen uns vor ihr nicht verschließen: mit dem Augenblick, da Österreich-Ungarn seine neue Orientpvlitik entfaltete, mußte es auf deu Charakter eines rein deutschen Staates verzichten." Denn ein rein deutsch regierter Staat, worin viele Millionen unzufriedner Slawen wohnen, könne nicht in den slawischen Ländern der Balkanhalbinsel mit Rußland um politischen Einfluß kämpfen. Nur dann sei dieser Wettbewerb mit einiger Aussicht auf Erfolg zu führen, „wenn die slawischen Stämme Österreichs der Notwendigkeit ent- hoben werden, in Rußland ihre» natürlichen und berufenen Hort zu erblicken." Das Bündnis mit Deutschland, so führt der Verfasser unsrer Flugschrift weiter aus, erfordere durchaus uicht, wie man im deutschen Lager so oft meine, eine deutsche Parteiregierung. Denn dieses Bündnis habe eine österreichische Politik zur Voraussetzung, die jeden Gedanken an eine Wiedergewinnung der Stellung, die Österreich vor 1866 einnahm, ausschließe. Deutschland brauche zum Bundesgenossen ein Österreich, das seine Zukunft im Osten suche und auf den Westen und Norden verzichte. Es habe kein Interesse, daß dieses Österreich vorherrschend deutsch sei, es solle nur nicht preußenfeindlich und rnssensrenndlich sei». Indem die Versöhnungsaktion des Grafen Taaffc die Grenzboten IV 1889 ' 4V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/361>, abgerufen am 28.06.2024.