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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

junger Murr und betrachtete sie unverwandt mit ein paar großen, binnen,
verliebten Augen.

Sie wußten wohl kaum selber, wie lauge sie so einander gegenüber ge¬
sessen hatten, ohne zu sprechen. Unbeweglich wie eine Marmorstatue ließ er
die Arme auf seinem Schoße ruhe", während er die Mütze mit beiden Händen
zwischen seinen Knieen hielt und mit den Augen jedem Stiche folgte, als hinge
sein eignes Schicksal an dem Faden. Das Geräusch ihrer Nadel und ihr
hastiger Atem wnreu das einzige, das man vernahm. Nur in langen Zwischen-
rüumen kam ein Marktwagen polternd draußen auf dem Wege vorüber und machte
das Haus erzittern; dann erhob der junge Mann einen Augenblick deu Kopf
zu den klirrenden Fensterscheiben, senkte thu aber unwillkürlich wieder, noch ehe
sich das Rasseln im Walde verloren hatte.

Er war sehr jung, kaum zwanzig Jahre alt, schlank, zart wie ein junges
Mädchen und fein gebaut wie ein Vogel, dabei hatte er den langen Hals und
die schmalen abfallenden Schultern, die das Kennzeichen des Jünglingsalters
sind. Unter dem Kinn trat der Adamsapfel wie ein kleiner Höcker hervor.
Die ganze Erscheinung aber schien gleichsam in der großen, kräftigen Nase zu
gipfeln, die der ganzen Persönlichkeit Ausdruck gab. Auf ihrem scharfen Rücken
saß ein blanker Klemmer, über dessen scharf geschliffenen Gläsern sich die blonden
Brauen wölbten.

Die Art, wie er wegen des niedrigen Sitzes des Binsenstnhles seine langen
Beine krümmte, machte vielleicht einen etwas komischen Eindruck. Aber der
Blick, mit dem er Martha betrachtete -- so hingerissen, so voll heimlicher
Zärtlichkeit, so ganz verloren im Anschauen --, die verborgene, furchtsame
Leidenschaft, die in seinen Augen glühte und seine Wangen mit einer sust
kindlichen Röte färbte, verlieh feiner Erscheinung eine eigentümliche, rührende
Schönheit.

Hin und wieder ließ er die Finger durch sein Haar gleiten. Dann kam
plötzlich ein gespannter, unruhiger Ausdruck in sein Gesicht; seine Lippen be¬
wegten sich fieberhaft, und er rückte energisch den Klemmer zurecht, als wolle
er sich mit Gewalt ans seinen Träumereien reißen.

Mnrthas Ahnungen waren eingetroffen. Nachdem er Tag und Nacht mit
dem Zauber gekämpft hatte, in den ihre junge Schönheit ihn allmählich ge¬
bannt hatte, faßte er endlich eines Tages einen entscheidenden Entschluß. Indem
er sich selber zu einer ruhigen Auffassung ihres Verhältnisses zwang, konnte
er es sich nicht verhehlen, wozu es aller Wahrscheinlichkeit nach über kurz
oder laug sichren würde. Aber dieser Gedanke machte ihn plötzlich schwindeln.
Jetzt, wo er sich dem Ziele so nahe sah, verließ ihn der Mut. Er fühlte,
daß er doch nicht imstande sei, daß er es nicht wage, diese Schuld auf sich
zu laden, es war ihm unmöglich, ein Menschenleben zu vernichten, diese
Waldtaube zu rupfen, die er gleichsam in seineu Händen beben fühlte. Er


Junge Liebe

junger Murr und betrachtete sie unverwandt mit ein paar großen, binnen,
verliebten Augen.

Sie wußten wohl kaum selber, wie lauge sie so einander gegenüber ge¬
sessen hatten, ohne zu sprechen. Unbeweglich wie eine Marmorstatue ließ er
die Arme auf seinem Schoße ruhe», während er die Mütze mit beiden Händen
zwischen seinen Knieen hielt und mit den Augen jedem Stiche folgte, als hinge
sein eignes Schicksal an dem Faden. Das Geräusch ihrer Nadel und ihr
hastiger Atem wnreu das einzige, das man vernahm. Nur in langen Zwischen-
rüumen kam ein Marktwagen polternd draußen auf dem Wege vorüber und machte
das Haus erzittern; dann erhob der junge Mann einen Augenblick deu Kopf
zu den klirrenden Fensterscheiben, senkte thu aber unwillkürlich wieder, noch ehe
sich das Rasseln im Walde verloren hatte.

Er war sehr jung, kaum zwanzig Jahre alt, schlank, zart wie ein junges
Mädchen und fein gebaut wie ein Vogel, dabei hatte er den langen Hals und
die schmalen abfallenden Schultern, die das Kennzeichen des Jünglingsalters
sind. Unter dem Kinn trat der Adamsapfel wie ein kleiner Höcker hervor.
Die ganze Erscheinung aber schien gleichsam in der großen, kräftigen Nase zu
gipfeln, die der ganzen Persönlichkeit Ausdruck gab. Auf ihrem scharfen Rücken
saß ein blanker Klemmer, über dessen scharf geschliffenen Gläsern sich die blonden
Brauen wölbten.

Die Art, wie er wegen des niedrigen Sitzes des Binsenstnhles seine langen
Beine krümmte, machte vielleicht einen etwas komischen Eindruck. Aber der
Blick, mit dem er Martha betrachtete — so hingerissen, so voll heimlicher
Zärtlichkeit, so ganz verloren im Anschauen —, die verborgene, furchtsame
Leidenschaft, die in seinen Augen glühte und seine Wangen mit einer sust
kindlichen Röte färbte, verlieh feiner Erscheinung eine eigentümliche, rührende
Schönheit.

Hin und wieder ließ er die Finger durch sein Haar gleiten. Dann kam
plötzlich ein gespannter, unruhiger Ausdruck in sein Gesicht; seine Lippen be¬
wegten sich fieberhaft, und er rückte energisch den Klemmer zurecht, als wolle
er sich mit Gewalt ans seinen Träumereien reißen.

Mnrthas Ahnungen waren eingetroffen. Nachdem er Tag und Nacht mit
dem Zauber gekämpft hatte, in den ihre junge Schönheit ihn allmählich ge¬
bannt hatte, faßte er endlich eines Tages einen entscheidenden Entschluß. Indem
er sich selber zu einer ruhigen Auffassung ihres Verhältnisses zwang, konnte
er es sich nicht verhehlen, wozu es aller Wahrscheinlichkeit nach über kurz
oder laug sichren würde. Aber dieser Gedanke machte ihn plötzlich schwindeln.
Jetzt, wo er sich dem Ziele so nahe sah, verließ ihn der Mut. Er fühlte,
daß er doch nicht imstande sei, daß er es nicht wage, diese Schuld auf sich
zu laden, es war ihm unmöglich, ein Menschenleben zu vernichten, diese
Waldtaube zu rupfen, die er gleichsam in seineu Händen beben fühlte. Er


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[0343] Junge Liebe junger Murr und betrachtete sie unverwandt mit ein paar großen, binnen, verliebten Augen. Sie wußten wohl kaum selber, wie lauge sie so einander gegenüber ge¬ sessen hatten, ohne zu sprechen. Unbeweglich wie eine Marmorstatue ließ er die Arme auf seinem Schoße ruhe», während er die Mütze mit beiden Händen zwischen seinen Knieen hielt und mit den Augen jedem Stiche folgte, als hinge sein eignes Schicksal an dem Faden. Das Geräusch ihrer Nadel und ihr hastiger Atem wnreu das einzige, das man vernahm. Nur in langen Zwischen- rüumen kam ein Marktwagen polternd draußen auf dem Wege vorüber und machte das Haus erzittern; dann erhob der junge Mann einen Augenblick deu Kopf zu den klirrenden Fensterscheiben, senkte thu aber unwillkürlich wieder, noch ehe sich das Rasseln im Walde verloren hatte. Er war sehr jung, kaum zwanzig Jahre alt, schlank, zart wie ein junges Mädchen und fein gebaut wie ein Vogel, dabei hatte er den langen Hals und die schmalen abfallenden Schultern, die das Kennzeichen des Jünglingsalters sind. Unter dem Kinn trat der Adamsapfel wie ein kleiner Höcker hervor. Die ganze Erscheinung aber schien gleichsam in der großen, kräftigen Nase zu gipfeln, die der ganzen Persönlichkeit Ausdruck gab. Auf ihrem scharfen Rücken saß ein blanker Klemmer, über dessen scharf geschliffenen Gläsern sich die blonden Brauen wölbten. Die Art, wie er wegen des niedrigen Sitzes des Binsenstnhles seine langen Beine krümmte, machte vielleicht einen etwas komischen Eindruck. Aber der Blick, mit dem er Martha betrachtete — so hingerissen, so voll heimlicher Zärtlichkeit, so ganz verloren im Anschauen —, die verborgene, furchtsame Leidenschaft, die in seinen Augen glühte und seine Wangen mit einer sust kindlichen Röte färbte, verlieh feiner Erscheinung eine eigentümliche, rührende Schönheit. Hin und wieder ließ er die Finger durch sein Haar gleiten. Dann kam plötzlich ein gespannter, unruhiger Ausdruck in sein Gesicht; seine Lippen be¬ wegten sich fieberhaft, und er rückte energisch den Klemmer zurecht, als wolle er sich mit Gewalt ans seinen Träumereien reißen. Mnrthas Ahnungen waren eingetroffen. Nachdem er Tag und Nacht mit dem Zauber gekämpft hatte, in den ihre junge Schönheit ihn allmählich ge¬ bannt hatte, faßte er endlich eines Tages einen entscheidenden Entschluß. Indem er sich selber zu einer ruhigen Auffassung ihres Verhältnisses zwang, konnte er es sich nicht verhehlen, wozu es aller Wahrscheinlichkeit nach über kurz oder laug sichren würde. Aber dieser Gedanke machte ihn plötzlich schwindeln. Jetzt, wo er sich dem Ziele so nahe sah, verließ ihn der Mut. Er fühlte, daß er doch nicht imstande sei, daß er es nicht wage, diese Schuld auf sich zu laden, es war ihm unmöglich, ein Menschenleben zu vernichten, diese Waldtaube zu rupfen, die er gleichsam in seineu Händen beben fühlte. Er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/343>, abgerufen am 28.06.2024.