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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Nochmals die Getreidezölle und die Notlage der östlichen Provinzen

bilden die landwirtschaftlichen Abgeordneten die Minderzahl, die Mehrzahl besteht
aus Industriellen und Kaufleuten, insbesondre aus Kaufleuten der Seestädte,
die das Interesse haben, die Getreidepreise herabzudrücken lind vor allein den
Transport nach den Seestädten zu lenken, den Transport nach dem Westen
aber zu erschweren und möglichst zu verhindern. Im Laudeseisenbahnrate wird
die der ostdeutschen Landwirtschaft günstige Minderheit noch weiter verringert,
denn zu ihren Gegnern, den Kaufleuten und Industriellen, gesellen sich anch
die Abgeordneten der westdeutschen Landwirte, die die Konkurrenz des Ostens
fürchten. Soweit die Verhandlungen des Landeseisenbahnrates bekannt ge¬
worden sind, muß jeder nach näherer Erwägung die Gedanken zurückweisen,
die in dieser aus hochgebildeten Personen bestehenden Körperschaft gegen die
Ermäßigung der Getreidetarife vorgebracht werden. Man fürchtet die Über¬
schwemmung des Westens mit dem ostdeutschen Getreide, aber eine genaue
Berechnung, wie sich die Getreidepreise im Osten und Westen verhalten und
wie sich die Transportkosten bei einer Tnrifermäßiguug gestalten werden, wird
nicht aufgestellt. Man fürchtet, daß insbesondre die großen östlichen Mühlen
den Westen mit ihren Mühlenfabrikaten tiberschütten und die westlichen kleinen
Mühlen erdrücken werden. Außer den Bromberger Mühlen, die ihre Fabrikate
zu Wasser jetzt befördern und künftig befördern werden, sind im Osten große
für den Westen gefährliche Mühlen kaum vorhanden. Wenn aber die Mühlen-
industrie des Westens wirklich einen Schutz verlangt, so bestimme mau doch
die billigern Eisenbahntarife nur für das Getreide und schließe die Mühlen-
sabrikate davon aus. Man fürchtet endlich, daß bei Tarifermäßigungen auch
ausländisches Getreide auf inländischen Bahnen befördert werden und dann sicher
die befürchtete Überschwemmung herbeiführen werde. Aber man schließe doch das
ausländische Getreide von dem billigen Eisenbahntransport aus und verlange
Ursprungsatteste. Mit gutem Willen lassen sich alle diese Atigelegenheiten
leicht ordnen. Die Bestimmung der Eiscnbnhntarife ist, was wir anch an
dieser Stelle hervorheben müssen, eine nicht bloß volkswirtschaftlich, sondern
auch finanziell und politisch wichtige Angelegenheit, und gerade darum war die
Verstaatlichung der Eisenbahnen eine Großthat des deutschen Reichskanzlers, die
aber nur dann völlig segensreich wirken kann, wenn die Eisenbahntarife den
berechtigten Interessen aller Landesteile entsprechen. Die berechtigten Interessen
Ostdeutschlands sind oben dargestellt, wir halten die Zurückweisung der wieder¬
holt bei deu Eisenbahnräten ans Tariferinäßlgung gestellten Anträge für un¬
begründet und glauben und hoffen, daß es Mittel geben wird und muß, das
notwendigste Nahrungsmittel, das Getreide, im ganzen deutschen Reiche eisen¬
bahntransportfähig zu machen, was es jetzt nicht ist. Zunächst erscheint aber die
Erhöhung des Weizenzolles notwendig, eine Forderung, der alle politischen
Parteien zustimmen müssen, da sie alle die wohlhabenden Klassen höher be¬
steuern wollen, und der Weizen das Nahrungsmittel dieser Klassen bildet. Eine


Nochmals die Getreidezölle und die Notlage der östlichen Provinzen

bilden die landwirtschaftlichen Abgeordneten die Minderzahl, die Mehrzahl besteht
aus Industriellen und Kaufleuten, insbesondre aus Kaufleuten der Seestädte,
die das Interesse haben, die Getreidepreise herabzudrücken lind vor allein den
Transport nach den Seestädten zu lenken, den Transport nach dem Westen
aber zu erschweren und möglichst zu verhindern. Im Laudeseisenbahnrate wird
die der ostdeutschen Landwirtschaft günstige Minderheit noch weiter verringert,
denn zu ihren Gegnern, den Kaufleuten und Industriellen, gesellen sich anch
die Abgeordneten der westdeutschen Landwirte, die die Konkurrenz des Ostens
fürchten. Soweit die Verhandlungen des Landeseisenbahnrates bekannt ge¬
worden sind, muß jeder nach näherer Erwägung die Gedanken zurückweisen,
die in dieser aus hochgebildeten Personen bestehenden Körperschaft gegen die
Ermäßigung der Getreidetarife vorgebracht werden. Man fürchtet die Über¬
schwemmung des Westens mit dem ostdeutschen Getreide, aber eine genaue
Berechnung, wie sich die Getreidepreise im Osten und Westen verhalten und
wie sich die Transportkosten bei einer Tnrifermäßiguug gestalten werden, wird
nicht aufgestellt. Man fürchtet, daß insbesondre die großen östlichen Mühlen
den Westen mit ihren Mühlenfabrikaten tiberschütten und die westlichen kleinen
Mühlen erdrücken werden. Außer den Bromberger Mühlen, die ihre Fabrikate
zu Wasser jetzt befördern und künftig befördern werden, sind im Osten große
für den Westen gefährliche Mühlen kaum vorhanden. Wenn aber die Mühlen-
industrie des Westens wirklich einen Schutz verlangt, so bestimme mau doch
die billigern Eisenbahntarife nur für das Getreide und schließe die Mühlen-
sabrikate davon aus. Man fürchtet endlich, daß bei Tarifermäßigungen auch
ausländisches Getreide auf inländischen Bahnen befördert werden und dann sicher
die befürchtete Überschwemmung herbeiführen werde. Aber man schließe doch das
ausländische Getreide von dem billigen Eisenbahntransport aus und verlange
Ursprungsatteste. Mit gutem Willen lassen sich alle diese Atigelegenheiten
leicht ordnen. Die Bestimmung der Eiscnbnhntarife ist, was wir anch an
dieser Stelle hervorheben müssen, eine nicht bloß volkswirtschaftlich, sondern
auch finanziell und politisch wichtige Angelegenheit, und gerade darum war die
Verstaatlichung der Eisenbahnen eine Großthat des deutschen Reichskanzlers, die
aber nur dann völlig segensreich wirken kann, wenn die Eisenbahntarife den
berechtigten Interessen aller Landesteile entsprechen. Die berechtigten Interessen
Ostdeutschlands sind oben dargestellt, wir halten die Zurückweisung der wieder¬
holt bei deu Eisenbahnräten ans Tariferinäßlgung gestellten Anträge für un¬
begründet und glauben und hoffen, daß es Mittel geben wird und muß, das
notwendigste Nahrungsmittel, das Getreide, im ganzen deutschen Reiche eisen¬
bahntransportfähig zu machen, was es jetzt nicht ist. Zunächst erscheint aber die
Erhöhung des Weizenzolles notwendig, eine Forderung, der alle politischen
Parteien zustimmen müssen, da sie alle die wohlhabenden Klassen höher be¬
steuern wollen, und der Weizen das Nahrungsmittel dieser Klassen bildet. Eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/312>, abgerufen am 28.06.2024.