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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Deutschland bei den Deutschen im Auslande

deutsche" Fleiß bedroht fühlen. Wir finde" keinen parlamentarischen Ausdruck
für eine Sprache, wie sie eben jetzt Herr Richter gegen Wißmann für passend
gehalten hat. Unsers Erachtens hätte die Welt an einem Rochefort über¬
genug, und vor allem könnte Deutschland ein zweites Exemplar vor" dieser
Sorte entbehren.

Und wen" Herr Richter fragt, warum gerade wir in diese" Frage" be¬
sonders kompetent sein sollten, so diene ihm zur Antwort: Weil in der Fremde
das Baterlandsgefühl (wenn es überhaupt noch vorhanden ist!) lebhafter nud
kräftiger wird, nicht etwa, wie er von seinem idealistischen Standpunkt aus
urteilt, durch den günstige" Umstand, daß wir nicht nötig haben, unsrer
Steuerpflicht in Deutschland nachzukommen (die meisten von uns entrichten
höhere Steuern in ihren Wohnsitzen), sondern infolge der täglichen Gelegenheit,
zu vergleichen, vorgefaßten Meinungen, nationaler Abneigung und falschen
Borstellungen berichtigend entgegenzutrete". Wir erkennen, daß Übelstände,
die uns zu Hause ""erträglich vorkamen, und die wir für Eigentümlichkeiten
> des Vaterlandes hielten, überall, oft viel drückender, vorhanden sind, und daß
andre Völker so manchen Vorzug, den Nur als selbstverständlich genossen,
schmerzlich entbehren. Wir beobachten das politische Leben und Treiben in
andern Ländern ohne die Brille einer Partei, ohne von eignem oder fremdem
politischen Ehrgeiz geleitet zu werde". Und das Ergebnis der Beobachtungen
ist, daß der Deutsche heute nicht mehr genötigt ist, sich zu wünschen, was die
andern haben. Denn wir statte" anch gern der alten Heimat Besuche ab,
frischen die Eindrücke auf und sehen und hören, wie sich dort alles gestaltet
hat. Nicht alles, wie mau es wünschen möchte, über so gut und besser als
anderswo.

Die Herren, die nicht bitter und hart genug über ihr Land aburteilen
können, thäte" wohl, auch öfter zu reisen, nicht bloß in ihre Wahlkreise, um
mit Gesinnungsgenossen Ansichten auszutauschen, wobei kein Teil gewinnen
oder verlieren kann, weil jeder zurückempfängt, was er giebt; auch nicht bloß
z" Versammlungen von Gesinnungsgenossen ii" Auslande, wie Herr Bebel.
Sie würden dann bestätigt finden, daß überall der größte Mund mit dein
kleinsten politischen Verstände gepaart zu sein Pflegt, daß aber auch überall
der ruhige Bürger seine" Überdruß a" solchem Wesen zu erkennen giebt.
Möchten sie sich doch deu großen Mr. Gladstone, den ssusx locjrmx, in der
Nähe ansehen; und die italienischen Windbeutel, die nach Trieft schreien, ans
das sie kein Recht haben, anstatt nach dem ihnen von Gottes und Rechts
wegen z"kommenden Landstriche, den ihnen der dritte Napoleon in schmäh¬
lichem Schacher abgenommen hat; und die Ungarn, die, wie es scheint, näch¬
stens verlangen werden, daß ihr König, sobald er den Boden ihres Landes
betritt, sich auch in Gedanken nur noch der ungarischen Sprache bediene; und
die andern interesMte" Nationalitäten Österreichs, die der dentschen Freiheit


Deutschland bei den Deutschen im Auslande

deutsche» Fleiß bedroht fühlen. Wir finde» keinen parlamentarischen Ausdruck
für eine Sprache, wie sie eben jetzt Herr Richter gegen Wißmann für passend
gehalten hat. Unsers Erachtens hätte die Welt an einem Rochefort über¬
genug, und vor allem könnte Deutschland ein zweites Exemplar vor« dieser
Sorte entbehren.

Und wen» Herr Richter fragt, warum gerade wir in diese» Frage» be¬
sonders kompetent sein sollten, so diene ihm zur Antwort: Weil in der Fremde
das Baterlandsgefühl (wenn es überhaupt noch vorhanden ist!) lebhafter nud
kräftiger wird, nicht etwa, wie er von seinem idealistischen Standpunkt aus
urteilt, durch den günstige» Umstand, daß wir nicht nötig haben, unsrer
Steuerpflicht in Deutschland nachzukommen (die meisten von uns entrichten
höhere Steuern in ihren Wohnsitzen), sondern infolge der täglichen Gelegenheit,
zu vergleichen, vorgefaßten Meinungen, nationaler Abneigung und falschen
Borstellungen berichtigend entgegenzutrete». Wir erkennen, daß Übelstände,
die uns zu Hause »»erträglich vorkamen, und die wir für Eigentümlichkeiten
> des Vaterlandes hielten, überall, oft viel drückender, vorhanden sind, und daß
andre Völker so manchen Vorzug, den Nur als selbstverständlich genossen,
schmerzlich entbehren. Wir beobachten das politische Leben und Treiben in
andern Ländern ohne die Brille einer Partei, ohne von eignem oder fremdem
politischen Ehrgeiz geleitet zu werde». Und das Ergebnis der Beobachtungen
ist, daß der Deutsche heute nicht mehr genötigt ist, sich zu wünschen, was die
andern haben. Denn wir statte» anch gern der alten Heimat Besuche ab,
frischen die Eindrücke auf und sehen und hören, wie sich dort alles gestaltet
hat. Nicht alles, wie mau es wünschen möchte, über so gut und besser als
anderswo.

Die Herren, die nicht bitter und hart genug über ihr Land aburteilen
können, thäte» wohl, auch öfter zu reisen, nicht bloß in ihre Wahlkreise, um
mit Gesinnungsgenossen Ansichten auszutauschen, wobei kein Teil gewinnen
oder verlieren kann, weil jeder zurückempfängt, was er giebt; auch nicht bloß
z» Versammlungen von Gesinnungsgenossen ii» Auslande, wie Herr Bebel.
Sie würden dann bestätigt finden, daß überall der größte Mund mit dein
kleinsten politischen Verstände gepaart zu sein Pflegt, daß aber auch überall
der ruhige Bürger seine» Überdruß a» solchem Wesen zu erkennen giebt.
Möchten sie sich doch deu großen Mr. Gladstone, den ssusx locjrmx, in der
Nähe ansehen; und die italienischen Windbeutel, die nach Trieft schreien, ans
das sie kein Recht haben, anstatt nach dem ihnen von Gottes und Rechts
wegen z»kommenden Landstriche, den ihnen der dritte Napoleon in schmäh¬
lichem Schacher abgenommen hat; und die Ungarn, die, wie es scheint, näch¬
stens verlangen werden, daß ihr König, sobald er den Boden ihres Landes
betritt, sich auch in Gedanken nur noch der ungarischen Sprache bediene; und
die andern interesMte» Nationalitäten Österreichs, die der dentschen Freiheit


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[0306] Deutschland bei den Deutschen im Auslande deutsche» Fleiß bedroht fühlen. Wir finde» keinen parlamentarischen Ausdruck für eine Sprache, wie sie eben jetzt Herr Richter gegen Wißmann für passend gehalten hat. Unsers Erachtens hätte die Welt an einem Rochefort über¬ genug, und vor allem könnte Deutschland ein zweites Exemplar vor« dieser Sorte entbehren. Und wen» Herr Richter fragt, warum gerade wir in diese» Frage» be¬ sonders kompetent sein sollten, so diene ihm zur Antwort: Weil in der Fremde das Baterlandsgefühl (wenn es überhaupt noch vorhanden ist!) lebhafter nud kräftiger wird, nicht etwa, wie er von seinem idealistischen Standpunkt aus urteilt, durch den günstige» Umstand, daß wir nicht nötig haben, unsrer Steuerpflicht in Deutschland nachzukommen (die meisten von uns entrichten höhere Steuern in ihren Wohnsitzen), sondern infolge der täglichen Gelegenheit, zu vergleichen, vorgefaßten Meinungen, nationaler Abneigung und falschen Borstellungen berichtigend entgegenzutrete». Wir erkennen, daß Übelstände, die uns zu Hause »»erträglich vorkamen, und die wir für Eigentümlichkeiten > des Vaterlandes hielten, überall, oft viel drückender, vorhanden sind, und daß andre Völker so manchen Vorzug, den Nur als selbstverständlich genossen, schmerzlich entbehren. Wir beobachten das politische Leben und Treiben in andern Ländern ohne die Brille einer Partei, ohne von eignem oder fremdem politischen Ehrgeiz geleitet zu werde». Und das Ergebnis der Beobachtungen ist, daß der Deutsche heute nicht mehr genötigt ist, sich zu wünschen, was die andern haben. Denn wir statte» anch gern der alten Heimat Besuche ab, frischen die Eindrücke auf und sehen und hören, wie sich dort alles gestaltet hat. Nicht alles, wie mau es wünschen möchte, über so gut und besser als anderswo. Die Herren, die nicht bitter und hart genug über ihr Land aburteilen können, thäte» wohl, auch öfter zu reisen, nicht bloß in ihre Wahlkreise, um mit Gesinnungsgenossen Ansichten auszutauschen, wobei kein Teil gewinnen oder verlieren kann, weil jeder zurückempfängt, was er giebt; auch nicht bloß z» Versammlungen von Gesinnungsgenossen ii» Auslande, wie Herr Bebel. Sie würden dann bestätigt finden, daß überall der größte Mund mit dein kleinsten politischen Verstände gepaart zu sein Pflegt, daß aber auch überall der ruhige Bürger seine» Überdruß a» solchem Wesen zu erkennen giebt. Möchten sie sich doch deu großen Mr. Gladstone, den ssusx locjrmx, in der Nähe ansehen; und die italienischen Windbeutel, die nach Trieft schreien, ans das sie kein Recht haben, anstatt nach dem ihnen von Gottes und Rechts wegen z»kommenden Landstriche, den ihnen der dritte Napoleon in schmäh¬ lichem Schacher abgenommen hat; und die Ungarn, die, wie es scheint, näch¬ stens verlangen werden, daß ihr König, sobald er den Boden ihres Landes betritt, sich auch in Gedanken nur noch der ungarischen Sprache bediene; und die andern interesMte» Nationalitäten Österreichs, die der dentschen Freiheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/306>, abgerufen am 22.12.2024.