Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Zur Frauenfrage in unserm Kulturleben entstanden sind, Sie klagen die Männer an, daß sie Wir sind weit davou entfernt, die vielfachen Mängel dieses buntscheckigen Zur Frauenfrage in unserm Kulturleben entstanden sind, Sie klagen die Männer an, daß sie Wir sind weit davou entfernt, die vielfachen Mängel dieses buntscheckigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0091" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204822"/> <fw type="header" place="top"> Zur Frauenfrage</fw><lb/> <p xml:id="ID_223" prev="#ID_222"> in unserm Kulturleben entstanden sind, Sie klagen die Männer an, daß sie<lb/> unsere weibliche Jugend nicht zu erziehen verstünden, weil der Mann überhaupt<lb/> nicht im Stande sei, das „große Rätsel der Frnuenseele" zu begreifen und die<lb/> geistige Eigenart des Weibes zu entwickeln. Diese poetische Lüge von dein<lb/> „ungelösten Rätsel der Frauenseele" richtet in den Köpfen vieler Mädchen,<lb/> besonders der altgewordenen, eine heillose Verwirrung an. Die Frauen mögen<lb/> doch ehrlich sein und Mephisto an der Stelle Recht geben, wo er von dem<lb/> „tausendfachen Weh und Ach" redet. Unsere Töchter sollen leine ungelösten<lb/> Rätsel sein; ja der Gedanke, daß sie es sein könnten, darf ihnen überhaupt<lb/> gar nicht beigebracht werden. Wir wollen keine ungelösten Rätsel zu Ehe¬<lb/> frauen haben, sondern praktische und natürliche Wesen, die sich in der Wirklich¬<lb/> keit zurecht finden; aber wir bezweifeln stark, daß unsre unverheirateten Leh¬<lb/> rerinnen, die nicht wissen, welche ungeheuern Anforderungen Ehe und Mutterschaft<lb/> an ein Weib stellen, die überdies dem praktischen Leben ziemlich fern<lb/> stehen, die einzig berufenen Erzieher für unsre Mädchen seien. Es ist sehr<lb/> unpolitisch von ihnen, gegen die jetzige höhere Mädchenschule, in der die<lb/> Frauen doch noch einen großen Einfluß haben, Sturm zu laufen.</p><lb/> <p xml:id="ID_224" next="#ID_225"> Wir sind weit davou entfernt, die vielfachen Mängel dieses buntscheckigen<lb/> Wesens zu verkennen; aber man muß auch gerecht sein. Die höhere Mädchen¬<lb/> schule in Preußen steht, soweit wir es (aus Nöldekes Schrift: „Von Weimar<lb/> bis Berlin") überschauen können, mit allen ihren gewiß redlichem Bestellungen<lb/> mutterseelenallein da, und wenn sich die Tngespresse ausnahmsweise mit ihr<lb/> beschäftigt, so können Nur, wenigstens bei den Freisinnigen, sicher sein, daß es<lb/> in ziemlich unwürdiger und hämischer Weise geschieht. Ja selbst im Abge-<lb/> ordnetenhause pflegt, sobald der Titel „höhere Mädchenschule" verhandelt wird,<lb/> bei den meisten Volksvertretern diejenige schmunzelnde Stimmung einzukehren,<lb/> die mau aus „Knvspenbällen" bei älteren Herren wahrzunehmen Gelegenheit<lb/> hat. Durch bloßes Witzeln und Kopfschütteln werden aber keine Übelstände<lb/> in wichtigen Einrichtungen beseitigt. „Eine Nation," sagt Heinrich von Sybel<lb/> in seinen Vortrügen und Aufsätzen, „kann nicht wirksamer für ihr Gesäme<lb/> gedeihen sorgen, als wenn sie die rechte Entwicklung des weiblichen Geschlechter<lb/> befördert, sie kann nicht schlimmer den Grund ihres Daseins vergiften, ain<lb/> wenn sie die Frauen ihrem hohen natürlichen Berufe entfremdet. Wer von<lb/> der Zukunft Früchte begehrt, muß die Blüten der Gegenwart pflegen; die<lb/> besten Blüten eines Volkes aber sind seine Frauen." Es ist notwendig, das-<lb/> unsre ganze Mädchenerziehung einmal staatlich geordnet werde; die Notwendig¬<lb/> keit ist auch scholl längst erkannt worden, nur muß die ganze Frage durch<lb/> gründliche Untersuchung und offnen Meinungsaustausch vorher geklärt werden.<lb/> Daher kann man anch Ednard von Hartmanns Versuche uur willkommen<lb/> heißen, eine Umgestaltung in der Erziehung unsrer weiblichen Jugend anzu¬<lb/> bahnen. Hartmann beschäftigt sich in seinein Buche „Moderne Probleme"</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0091]
Zur Frauenfrage
in unserm Kulturleben entstanden sind, Sie klagen die Männer an, daß sie
unsere weibliche Jugend nicht zu erziehen verstünden, weil der Mann überhaupt
nicht im Stande sei, das „große Rätsel der Frnuenseele" zu begreifen und die
geistige Eigenart des Weibes zu entwickeln. Diese poetische Lüge von dein
„ungelösten Rätsel der Frauenseele" richtet in den Köpfen vieler Mädchen,
besonders der altgewordenen, eine heillose Verwirrung an. Die Frauen mögen
doch ehrlich sein und Mephisto an der Stelle Recht geben, wo er von dem
„tausendfachen Weh und Ach" redet. Unsere Töchter sollen leine ungelösten
Rätsel sein; ja der Gedanke, daß sie es sein könnten, darf ihnen überhaupt
gar nicht beigebracht werden. Wir wollen keine ungelösten Rätsel zu Ehe¬
frauen haben, sondern praktische und natürliche Wesen, die sich in der Wirklich¬
keit zurecht finden; aber wir bezweifeln stark, daß unsre unverheirateten Leh¬
rerinnen, die nicht wissen, welche ungeheuern Anforderungen Ehe und Mutterschaft
an ein Weib stellen, die überdies dem praktischen Leben ziemlich fern
stehen, die einzig berufenen Erzieher für unsre Mädchen seien. Es ist sehr
unpolitisch von ihnen, gegen die jetzige höhere Mädchenschule, in der die
Frauen doch noch einen großen Einfluß haben, Sturm zu laufen.
Wir sind weit davou entfernt, die vielfachen Mängel dieses buntscheckigen
Wesens zu verkennen; aber man muß auch gerecht sein. Die höhere Mädchen¬
schule in Preußen steht, soweit wir es (aus Nöldekes Schrift: „Von Weimar
bis Berlin") überschauen können, mit allen ihren gewiß redlichem Bestellungen
mutterseelenallein da, und wenn sich die Tngespresse ausnahmsweise mit ihr
beschäftigt, so können Nur, wenigstens bei den Freisinnigen, sicher sein, daß es
in ziemlich unwürdiger und hämischer Weise geschieht. Ja selbst im Abge-
ordnetenhause pflegt, sobald der Titel „höhere Mädchenschule" verhandelt wird,
bei den meisten Volksvertretern diejenige schmunzelnde Stimmung einzukehren,
die mau aus „Knvspenbällen" bei älteren Herren wahrzunehmen Gelegenheit
hat. Durch bloßes Witzeln und Kopfschütteln werden aber keine Übelstände
in wichtigen Einrichtungen beseitigt. „Eine Nation," sagt Heinrich von Sybel
in seinen Vortrügen und Aufsätzen, „kann nicht wirksamer für ihr Gesäme
gedeihen sorgen, als wenn sie die rechte Entwicklung des weiblichen Geschlechter
befördert, sie kann nicht schlimmer den Grund ihres Daseins vergiften, ain
wenn sie die Frauen ihrem hohen natürlichen Berufe entfremdet. Wer von
der Zukunft Früchte begehrt, muß die Blüten der Gegenwart pflegen; die
besten Blüten eines Volkes aber sind seine Frauen." Es ist notwendig, das-
unsre ganze Mädchenerziehung einmal staatlich geordnet werde; die Notwendig¬
keit ist auch scholl längst erkannt worden, nur muß die ganze Frage durch
gründliche Untersuchung und offnen Meinungsaustausch vorher geklärt werden.
Daher kann man anch Ednard von Hartmanns Versuche uur willkommen
heißen, eine Umgestaltung in der Erziehung unsrer weiblichen Jugend anzu¬
bahnen. Hartmann beschäftigt sich in seinein Buche „Moderne Probleme"
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