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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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gleichsam abgebrochenen Verse zu unterstützen. In dein Streben, es dein
italienischen Dichter an Kühnheit, Schwung und Knappheit des Ausdrucks
gleichzuthun, ist er oft hart, ja dunkel geworden und hat sich zu Wortbildungen
verleite" lassen, die selbst in einer Ode unzulässig erscheinen dürften, wie letzter
Haucheseufzer (inorwl Lospiro) Fußtapfen Menschenfußes (ornig. all vis nivrwIsX
der entatmete (anslo) Busen, letztester, trimupheud n. a. in. Schlummer sind
sind die nicht wenigen Mißverständnisse des Sinnes, von denen wir als Beispiel
nur die Schlußstrophe anführen:


Und also von nuider Asche denn
Entferne jedes widrige Wort;
Der Gott der niederdrückt und hebt,
Der Leiden fligt und Tröstung auch,
Auf der verlassnen Lagerstatt
Ihm ja zur Seite sich fügte.

Goethe läßt also Gott sich dem toten Napoleon "zur Seite fügen"! Die
wortgetreue Übersetzung lautet: "Du, halte jedes böse Wort von der müden
Asche fern! Das setzte der Gott, der zu Boden wirft und wieder erweckt, der
bekümmert und tröstet, auf die öde Decke ihm zur Seite." Goethe hat übrigens
das Gedicht in achtzehn selbständige Strophen geteilt, wodurch eine der Haupt¬
schönheiten des Originals, der enge Zusammenhang zwischen Strophe und
Antistrophe, nicht nur der Form, sondern mich dem Inhalte nach, ganz ver¬
loren geht.

(Schlich folgt)




Zur Hrauenfrage

er Aufsatz "Der Freisinn und die Frauenfrage" in Ur. 5> der
Grenzboten hat unter dem weiblichen Geschlechte große Aufregung
hervorgerufen. Und doch haben wir darin nur die Thatsache fest¬
gestellt, daß die gnuze sogenannte Frauenfrage im Grunde nur
eine Mädchen- oder Jungfernfrnge ist, daß die preußische Re¬
gierung sich gegen die Petition, die Frauen zum Studium zuzulassen, mit
Necht ablehnend verhalten hat, daß die deutschen Mädchen nicht in den Sezir-
wal und in das Studirzimmer, sondern in die Hauswirtschaft und in die Kinder¬
stube gehören, daß die Sorge des Staates nur darin liegen kann, ans der
weiblichen Jugend natürlich empfindende und verständig denkende Ehefrauen


Grenzboten it 1889 t l

gleichsam abgebrochenen Verse zu unterstützen. In dein Streben, es dein
italienischen Dichter an Kühnheit, Schwung und Knappheit des Ausdrucks
gleichzuthun, ist er oft hart, ja dunkel geworden und hat sich zu Wortbildungen
verleite» lassen, die selbst in einer Ode unzulässig erscheinen dürften, wie letzter
Haucheseufzer (inorwl Lospiro) Fußtapfen Menschenfußes (ornig. all vis nivrwIsX
der entatmete (anslo) Busen, letztester, trimupheud n. a. in. Schlummer sind
sind die nicht wenigen Mißverständnisse des Sinnes, von denen wir als Beispiel
nur die Schlußstrophe anführen:


Und also von nuider Asche denn
Entferne jedes widrige Wort;
Der Gott der niederdrückt und hebt,
Der Leiden fligt und Tröstung auch,
Auf der verlassnen Lagerstatt
Ihm ja zur Seite sich fügte.

Goethe läßt also Gott sich dem toten Napoleon „zur Seite fügen"! Die
wortgetreue Übersetzung lautet: „Du, halte jedes böse Wort von der müden
Asche fern! Das setzte der Gott, der zu Boden wirft und wieder erweckt, der
bekümmert und tröstet, auf die öde Decke ihm zur Seite." Goethe hat übrigens
das Gedicht in achtzehn selbständige Strophen geteilt, wodurch eine der Haupt¬
schönheiten des Originals, der enge Zusammenhang zwischen Strophe und
Antistrophe, nicht nur der Form, sondern mich dem Inhalte nach, ganz ver¬
loren geht.

(Schlich folgt)




Zur Hrauenfrage

er Aufsatz „Der Freisinn und die Frauenfrage" in Ur. 5> der
Grenzboten hat unter dem weiblichen Geschlechte große Aufregung
hervorgerufen. Und doch haben wir darin nur die Thatsache fest¬
gestellt, daß die gnuze sogenannte Frauenfrage im Grunde nur
eine Mädchen- oder Jungfernfrnge ist, daß die preußische Re¬
gierung sich gegen die Petition, die Frauen zum Studium zuzulassen, mit
Necht ablehnend verhalten hat, daß die deutschen Mädchen nicht in den Sezir-
wal und in das Studirzimmer, sondern in die Hauswirtschaft und in die Kinder¬
stube gehören, daß die Sorge des Staates nur darin liegen kann, ans der
weiblichen Jugend natürlich empfindende und verständig denkende Ehefrauen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/89>, abgerufen am 05.02.2025.