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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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daß er selbst nicht weiß, welch guter Poet er ist, und welche Rechte ihm als
solchem zustehen/' So hat er nach den bereits erwähnten Jugendarbeiten nur
noch wenige, aber lauter klassische Werke geschaffen, die wir nnn im einzelnen
etwas eingehender besprechen wollen, mit besondrer Berücksichtigung des
Anteils, den Goethe an ihnen genommen und des Urteils, das er über sie
gefällt hat.

Die Reihe derselben beginnt mit jenem Trauerspiel "Der Graf von
Carmagnoln," das Goethe, der damals eben begonnen hatte, sich eingehender
mit der zeitgenössischen Litteratur des Auslandes zu beschäftigen, zuerst auf den
italienischen Dichter aufmerksam machte. Eine Reise Karl Augusts nach Mailand
bot ihm Gelegenheit, zu den dortigen Schriftstellern in ein näheres Verhältnis
zu treten. In einem schon 1818 verfaßten, aber erst 1820 in der Zeitschrift
"Über Kunst und Altertum" erschienenen Aufsatze "Über den in Italien ent¬
brannten Kampf zwischen Klassizisten und Romantikern" erwähnt er den "Grafen
von Carmagnoln" als die noch ungedruckte Tragödie eines Verfassers, der sich
dnrch seine "Heiligen Hymnen" einen guten Ruf erworben habe. In einer
Nachschrift geht er näher auf diese Hymnen ein, in denen er die Schöpfung
eines echten Dichtergeistes erkennt. Bald nach dem Erscheinen der Manzonischen
Tragödie heißt es in den Tages- und Jahresheften von 1820: "Von fremder
Litteratur beschäftigte mich besonders Graf Carmagnoln, das Werk eines
wahrhaft liebenswürdigen Verfassers, eines gebornen Dichters." An einer
andern Stelle der Heste im folgenden Jahre nennt er Manzoni "einen wahr¬
haften, klar auffassenden, innig durchdringenden, menschlich fühlenden, gemüt¬
lichen Dichter."

Wie hoch er ihn schätzte, geht am klarsten aus der eingehenden und
liebevollen Beurteilung hervor, die er im dritten Hefte des zweiten Bandes
von "Kunst und Altertum" veröffentlichte.

Nachdem er die Forderung des Dichters in seiner Vorrede, daß man keinen
fremden Maßstab an sein Werk lege, vollkommen gebilligt hat, da ein echtes
Kunstwerk wie ein gesundes Naturprodukt mir aus sich selbst beurteilt werden
dürfe, und dann Mcmzonis Polemik gegen den damals in Italien wie in
Frankreich noch allgemein anerkannten Grundsatz der Einheit des Ortes Wid¬
der Zeit im Drama zugestimmt hat, weist er in Anlehnung an die geschichtliche
Einleitung, die der Dichter seinem Stücke vorausgeschickt hatte, uach, wie
trefflich er den zur tragischen Behandlung ausgezeichnet geeigneten Stoff ver¬
wertet habe. "Zwei entgegengesetzte Denkweisen, wie sie Harnisch und Toga
geziemen, sehen wir in vielen Individuen musterhaft und mannigfaltig gegen¬
übergestellt, und zwar so, wie sie allem in der angenommenen Form darzustellen
gewesen, wodurch diese völlig legitimirt und vor jedem Widersprüche gesichert
wird." Der Inhaltsangabe des Stückes Akt für Akt, Szene für Szene folgt
eine Charakteristik der einzelnen Personen, bei denen Goethe nur die von


daß er selbst nicht weiß, welch guter Poet er ist, und welche Rechte ihm als
solchem zustehen/' So hat er nach den bereits erwähnten Jugendarbeiten nur
noch wenige, aber lauter klassische Werke geschaffen, die wir nnn im einzelnen
etwas eingehender besprechen wollen, mit besondrer Berücksichtigung des
Anteils, den Goethe an ihnen genommen und des Urteils, das er über sie
gefällt hat.

Die Reihe derselben beginnt mit jenem Trauerspiel „Der Graf von
Carmagnoln," das Goethe, der damals eben begonnen hatte, sich eingehender
mit der zeitgenössischen Litteratur des Auslandes zu beschäftigen, zuerst auf den
italienischen Dichter aufmerksam machte. Eine Reise Karl Augusts nach Mailand
bot ihm Gelegenheit, zu den dortigen Schriftstellern in ein näheres Verhältnis
zu treten. In einem schon 1818 verfaßten, aber erst 1820 in der Zeitschrift
„Über Kunst und Altertum" erschienenen Aufsatze „Über den in Italien ent¬
brannten Kampf zwischen Klassizisten und Romantikern" erwähnt er den „Grafen
von Carmagnoln" als die noch ungedruckte Tragödie eines Verfassers, der sich
dnrch seine „Heiligen Hymnen" einen guten Ruf erworben habe. In einer
Nachschrift geht er näher auf diese Hymnen ein, in denen er die Schöpfung
eines echten Dichtergeistes erkennt. Bald nach dem Erscheinen der Manzonischen
Tragödie heißt es in den Tages- und Jahresheften von 1820: „Von fremder
Litteratur beschäftigte mich besonders Graf Carmagnoln, das Werk eines
wahrhaft liebenswürdigen Verfassers, eines gebornen Dichters." An einer
andern Stelle der Heste im folgenden Jahre nennt er Manzoni „einen wahr¬
haften, klar auffassenden, innig durchdringenden, menschlich fühlenden, gemüt¬
lichen Dichter."

Wie hoch er ihn schätzte, geht am klarsten aus der eingehenden und
liebevollen Beurteilung hervor, die er im dritten Hefte des zweiten Bandes
von „Kunst und Altertum" veröffentlichte.

Nachdem er die Forderung des Dichters in seiner Vorrede, daß man keinen
fremden Maßstab an sein Werk lege, vollkommen gebilligt hat, da ein echtes
Kunstwerk wie ein gesundes Naturprodukt mir aus sich selbst beurteilt werden
dürfe, und dann Mcmzonis Polemik gegen den damals in Italien wie in
Frankreich noch allgemein anerkannten Grundsatz der Einheit des Ortes Wid¬
der Zeit im Drama zugestimmt hat, weist er in Anlehnung an die geschichtliche
Einleitung, die der Dichter seinem Stücke vorausgeschickt hatte, uach, wie
trefflich er den zur tragischen Behandlung ausgezeichnet geeigneten Stoff ver¬
wertet habe. „Zwei entgegengesetzte Denkweisen, wie sie Harnisch und Toga
geziemen, sehen wir in vielen Individuen musterhaft und mannigfaltig gegen¬
übergestellt, und zwar so, wie sie allem in der angenommenen Form darzustellen
gewesen, wodurch diese völlig legitimirt und vor jedem Widersprüche gesichert
wird." Der Inhaltsangabe des Stückes Akt für Akt, Szene für Szene folgt
eine Charakteristik der einzelnen Personen, bei denen Goethe nur die von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/87>, abgerufen am 05.02.2025.