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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Lerliuer Anpfeistichkabinet

Kupferstichs tritt uns das bewußte Streben nach malerischer Behandlung entgegen,
die fortan den Künstlern als höchstes Ziel vor Augen stand, bis sie in ihrer
virtuosen Ausbildung am Schlüsse des achtzehnten Jahrhunderts fast die Grenze
der Technik des Kupferstichs zu überschreiten drohte. Auch die Formengebung
ist in diesem Stich zu einer Größe ausgereift, die man nur begreift, wenn
man sich die inzwischen entstandene gewaltige Holzschnittfolge der Offenbarung
Johannis vergegenwärtigt, die Dürer mit einem Schlage zum weltberühmten
Künstler machte. Aus demselben Jahre stammt auch das mit rührender
Sorgsamkeit ausgeführte Idyll der Geburt Christi, das uns wie ein Vorspiel
zu dem sieben Jahre später erscheinenden, aber großenteils auch schon 1504
und 1506 entstandenen Holzschnittwerke des Marienlebens anmutet. Auch eine
andre Mariendarstellung dieser Zeit, die Madonna mit der Meerkatze (um 1506),
hat einen vorwiegend idyllischen Charakter, der durch die landschaftliche Ferne
mit dem Nürnberger Motiv des Weierhauses noch gehoben wird. Da die
Ausstellung aus der Fülle der Madonnengestalten Dürers nur eine kleine
Zahl bringt, kann hier ein vergleichendes Studium gerade dieser in hervor¬
ragendem Sinne deutschen Schöpfungen nur angeraten, aber nicht ausgeführt
werdeu. Für die Wandlung des Dürerscheu Formensinnes giebt es keine bessern
Zeugnisseals seine Madonnen, deren vergleichende Betrachtung ebenso genu߬
bringend wie lehrreich ist.

In einen ganz andern und neuen Gedankenkreis führen uns die folgenden
ausgestellten Stiche, die die Welt des Humanismus vor unser Auge rufen. Im
Jahre 1506 besuchte Dürer -- ob zum ersten- oder zweitenmale, lassen wir dahin¬
gestellt -- Oberitalien, wo ihn namentlich Venedig und Bologna lange Zeit fesselten.
In Italien lernten die deutschen Künstler das formale Studium des klassischen
Altertums kennen, aus Italien drang auch die litterarische klassische Bildung nach
Deutschland. Lernte Dürer in der ersten Beziehung an der Quelle, so erhielt
er die humanistischen Anregungen offenbar ans zweiter Hand, durch seinen
Freund Willibald Pirkheimer, mit dem er, in demselben Hanse aufgewachsen,
auch während seiner italienischen Reise in regem brieflichen Verkehr blieb. Den
künstlerischen Rückschlag dieser Beziehungen dürfen wir wohl in Dürers alle¬
gorischen und mythologischen Schöpfungen erkennen. Hat man doch den
"Traum des Doktors" gar als eine persönliche Anspielung auf Pirkheimers
Buhlschaften auffassen wollen. Pirkheimer war aber 1507, als der Stich un¬
gefähr entstand, erst 37 Jahre alt, also hatte die Anspielung der Liebes¬
gedanken, die auf Stelzen künstliche Gehversuche machen, keinen rechten Sinn;
immerhin ist es möglich, daß Pirkheimer die Anregung zu der selbst etwas
gestelzten Sinnbilderei des Stiches gegeben hat. Einen ähnlichen wenig klaren
Inhalt, zu dessen Erläuterung die sittliche" Begriffe jeuer Zeit vielleicht die Hand¬
habe bieten können, zeigt auch die sogenannte "Eifersucht," eine Darstellung, der
einzelne italienische Studien des Meisters zu Grunde liegen, ohne daß auch


Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Lerliuer Anpfeistichkabinet

Kupferstichs tritt uns das bewußte Streben nach malerischer Behandlung entgegen,
die fortan den Künstlern als höchstes Ziel vor Augen stand, bis sie in ihrer
virtuosen Ausbildung am Schlüsse des achtzehnten Jahrhunderts fast die Grenze
der Technik des Kupferstichs zu überschreiten drohte. Auch die Formengebung
ist in diesem Stich zu einer Größe ausgereift, die man nur begreift, wenn
man sich die inzwischen entstandene gewaltige Holzschnittfolge der Offenbarung
Johannis vergegenwärtigt, die Dürer mit einem Schlage zum weltberühmten
Künstler machte. Aus demselben Jahre stammt auch das mit rührender
Sorgsamkeit ausgeführte Idyll der Geburt Christi, das uns wie ein Vorspiel
zu dem sieben Jahre später erscheinenden, aber großenteils auch schon 1504
und 1506 entstandenen Holzschnittwerke des Marienlebens anmutet. Auch eine
andre Mariendarstellung dieser Zeit, die Madonna mit der Meerkatze (um 1506),
hat einen vorwiegend idyllischen Charakter, der durch die landschaftliche Ferne
mit dem Nürnberger Motiv des Weierhauses noch gehoben wird. Da die
Ausstellung aus der Fülle der Madonnengestalten Dürers nur eine kleine
Zahl bringt, kann hier ein vergleichendes Studium gerade dieser in hervor¬
ragendem Sinne deutschen Schöpfungen nur angeraten, aber nicht ausgeführt
werdeu. Für die Wandlung des Dürerscheu Formensinnes giebt es keine bessern
Zeugnisseals seine Madonnen, deren vergleichende Betrachtung ebenso genu߬
bringend wie lehrreich ist.

In einen ganz andern und neuen Gedankenkreis führen uns die folgenden
ausgestellten Stiche, die die Welt des Humanismus vor unser Auge rufen. Im
Jahre 1506 besuchte Dürer — ob zum ersten- oder zweitenmale, lassen wir dahin¬
gestellt — Oberitalien, wo ihn namentlich Venedig und Bologna lange Zeit fesselten.
In Italien lernten die deutschen Künstler das formale Studium des klassischen
Altertums kennen, aus Italien drang auch die litterarische klassische Bildung nach
Deutschland. Lernte Dürer in der ersten Beziehung an der Quelle, so erhielt
er die humanistischen Anregungen offenbar ans zweiter Hand, durch seinen
Freund Willibald Pirkheimer, mit dem er, in demselben Hanse aufgewachsen,
auch während seiner italienischen Reise in regem brieflichen Verkehr blieb. Den
künstlerischen Rückschlag dieser Beziehungen dürfen wir wohl in Dürers alle¬
gorischen und mythologischen Schöpfungen erkennen. Hat man doch den
„Traum des Doktors" gar als eine persönliche Anspielung auf Pirkheimers
Buhlschaften auffassen wollen. Pirkheimer war aber 1507, als der Stich un¬
gefähr entstand, erst 37 Jahre alt, also hatte die Anspielung der Liebes¬
gedanken, die auf Stelzen künstliche Gehversuche machen, keinen rechten Sinn;
immerhin ist es möglich, daß Pirkheimer die Anregung zu der selbst etwas
gestelzten Sinnbilderei des Stiches gegeben hat. Einen ähnlichen wenig klaren
Inhalt, zu dessen Erläuterung die sittliche» Begriffe jeuer Zeit vielleicht die Hand¬
habe bieten können, zeigt auch die sogenannte „Eifersucht," eine Darstellung, der
einzelne italienische Studien des Meisters zu Grunde liegen, ohne daß auch


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[0570] Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Lerliuer Anpfeistichkabinet Kupferstichs tritt uns das bewußte Streben nach malerischer Behandlung entgegen, die fortan den Künstlern als höchstes Ziel vor Augen stand, bis sie in ihrer virtuosen Ausbildung am Schlüsse des achtzehnten Jahrhunderts fast die Grenze der Technik des Kupferstichs zu überschreiten drohte. Auch die Formengebung ist in diesem Stich zu einer Größe ausgereift, die man nur begreift, wenn man sich die inzwischen entstandene gewaltige Holzschnittfolge der Offenbarung Johannis vergegenwärtigt, die Dürer mit einem Schlage zum weltberühmten Künstler machte. Aus demselben Jahre stammt auch das mit rührender Sorgsamkeit ausgeführte Idyll der Geburt Christi, das uns wie ein Vorspiel zu dem sieben Jahre später erscheinenden, aber großenteils auch schon 1504 und 1506 entstandenen Holzschnittwerke des Marienlebens anmutet. Auch eine andre Mariendarstellung dieser Zeit, die Madonna mit der Meerkatze (um 1506), hat einen vorwiegend idyllischen Charakter, der durch die landschaftliche Ferne mit dem Nürnberger Motiv des Weierhauses noch gehoben wird. Da die Ausstellung aus der Fülle der Madonnengestalten Dürers nur eine kleine Zahl bringt, kann hier ein vergleichendes Studium gerade dieser in hervor¬ ragendem Sinne deutschen Schöpfungen nur angeraten, aber nicht ausgeführt werdeu. Für die Wandlung des Dürerscheu Formensinnes giebt es keine bessern Zeugnisseals seine Madonnen, deren vergleichende Betrachtung ebenso genu߬ bringend wie lehrreich ist. In einen ganz andern und neuen Gedankenkreis führen uns die folgenden ausgestellten Stiche, die die Welt des Humanismus vor unser Auge rufen. Im Jahre 1506 besuchte Dürer — ob zum ersten- oder zweitenmale, lassen wir dahin¬ gestellt — Oberitalien, wo ihn namentlich Venedig und Bologna lange Zeit fesselten. In Italien lernten die deutschen Künstler das formale Studium des klassischen Altertums kennen, aus Italien drang auch die litterarische klassische Bildung nach Deutschland. Lernte Dürer in der ersten Beziehung an der Quelle, so erhielt er die humanistischen Anregungen offenbar ans zweiter Hand, durch seinen Freund Willibald Pirkheimer, mit dem er, in demselben Hanse aufgewachsen, auch während seiner italienischen Reise in regem brieflichen Verkehr blieb. Den künstlerischen Rückschlag dieser Beziehungen dürfen wir wohl in Dürers alle¬ gorischen und mythologischen Schöpfungen erkennen. Hat man doch den „Traum des Doktors" gar als eine persönliche Anspielung auf Pirkheimers Buhlschaften auffassen wollen. Pirkheimer war aber 1507, als der Stich un¬ gefähr entstand, erst 37 Jahre alt, also hatte die Anspielung der Liebes¬ gedanken, die auf Stelzen künstliche Gehversuche machen, keinen rechten Sinn; immerhin ist es möglich, daß Pirkheimer die Anregung zu der selbst etwas gestelzten Sinnbilderei des Stiches gegeben hat. Einen ähnlichen wenig klaren Inhalt, zu dessen Erläuterung die sittliche» Begriffe jeuer Zeit vielleicht die Hand¬ habe bieten können, zeigt auch die sogenannte „Eifersucht," eine Darstellung, der einzelne italienische Studien des Meisters zu Grunde liegen, ohne daß auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/570>, abgerufen am 05.02.2025.