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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Die Rechtsverhältnisse der Lingebornen in den deutschen Schutzgebieten

und es der Würde der Rechtsgelehrten nicht recht entspreche, sich eingehender
mit der Rechtsordnung der Naturvölker zu befassen. Gegenwärtig ist aber
eine andre Ansicht zur Geltung gelangt. Man hat eingesehen, daß, wie die
Naturwissenschaft die niedrige" Organismen der Pflanzen- und Tierwelt sorg¬
fältig beachten und untersuchen muß, auch die Rechtswissenschaft die Rechts-
anschauungen aller Volker, mögen sie auf einer noch so niedrigen Kulturstufe
stehen, zu berücksichtigen hat, und daß eine genaue Kenntnis der Rechtsge-
wohnheiteu und Nechtseinrichtungen der sogenannten Naturvölker zum Ver¬
ständnis der Frage nach der Entstehung und Entwicklung des Rechts über¬
haupt unentbehrlich ist. Die vergleichende Rechtswissenschaft berücksichtigt
daher nicht mehr bloß die Rechtsordnungen der sogenannten zivilisirten Nationen,
sondern vor allem auch der Naturvölker, und die Arbeiten von Bachofen,
Dargun, Post, Kohler u. s. w. lassen deutlich genug ersehen, welche Förderung
sich aus einer genauen Kenntnis der Rechtsverhältnisse gerade der Naturvölker
für die Rechts- und Kulturgeschichte und die Rechtsphilosophie bereits ergeben
hat und noch ergeben wird.

Mit Fug und Recht wird man also sagen können, daß durch die Er¬
forschung und Sammlung der Rechtsordnungen der Eingebornen den deutschen
Kolonien ebenso ein praktischer wie ein wissenschaftlicher Zweck erreicht werden kann.

Die Beschaffung des erforderlichen Materials wird, wie schon ange¬
deutet, vor allem Sache der Reichsregierung und der Kolvnialgesellschnfteu
sein, die sich durch ihre in den Schutzgebieten angestellten Beamten über die
Rechtsverhältnisse der Eingebornen Bericht erstatten lassen können. Nament¬
lich wird von der Neu-Guinea-Kompagnie, die sich ja die genaue Erforschung
ihres Gebiets nach jeder Richtung zur Aufgabe gesetzt hat, erwartet werden
können, daß sie auch für eine eingehendere Untersuchung der Rechtsverhältnisse
der Eingebornen Sorge tragen wird, sobald die geographische und physikalische
Erforschung des Gebiets weiter vorgeschritten sein wird. An dieser Forschungs¬
arbeit werden sich mit Erfolg auch Missionare und Reisende beteiligen können,
die sich zu wissenschaftlichen Zwecken in den deutscheu Kolonien aufhalten.

Damit nun diese Forschungen möglichst zuverlässig und gründlich aus¬
fallen, wäre es sehr gut, wenn den Beamten, Missionaren und Reisenden
kurze Anleitungen und Anweisungen mitgegeben werden könnten, worin in ge¬
drängter Darstellung ein Überblick über die Rechtseinrichtungen solcher Natur¬
völker gegeben ist, wie sie sich in unsern Kolonien finden, und worin nament¬
lich diejenigen Punkte hervorgehoben werden, auf deren Feststellung es bei den
einzelnen Völkerschaften hauptsächlich ankommt. Derartige Vorarbeiten dürften
umso erwünschter sein, als, wie bereits hervorgehoben, die in Frage stehenden
Forschungen eine gewisse Vorbildung voraussetzen, während doch nicht anzu¬
nehmen ist, daß die Beamten, Reisenden und Missionare stets Gelegenheit
haben, zu dem angegebenen Zwecke juristische Spezialstudien zu machen. Bei


Die Rechtsverhältnisse der Lingebornen in den deutschen Schutzgebieten

und es der Würde der Rechtsgelehrten nicht recht entspreche, sich eingehender
mit der Rechtsordnung der Naturvölker zu befassen. Gegenwärtig ist aber
eine andre Ansicht zur Geltung gelangt. Man hat eingesehen, daß, wie die
Naturwissenschaft die niedrige» Organismen der Pflanzen- und Tierwelt sorg¬
fältig beachten und untersuchen muß, auch die Rechtswissenschaft die Rechts-
anschauungen aller Volker, mögen sie auf einer noch so niedrigen Kulturstufe
stehen, zu berücksichtigen hat, und daß eine genaue Kenntnis der Rechtsge-
wohnheiteu und Nechtseinrichtungen der sogenannten Naturvölker zum Ver¬
ständnis der Frage nach der Entstehung und Entwicklung des Rechts über¬
haupt unentbehrlich ist. Die vergleichende Rechtswissenschaft berücksichtigt
daher nicht mehr bloß die Rechtsordnungen der sogenannten zivilisirten Nationen,
sondern vor allem auch der Naturvölker, und die Arbeiten von Bachofen,
Dargun, Post, Kohler u. s. w. lassen deutlich genug ersehen, welche Förderung
sich aus einer genauen Kenntnis der Rechtsverhältnisse gerade der Naturvölker
für die Rechts- und Kulturgeschichte und die Rechtsphilosophie bereits ergeben
hat und noch ergeben wird.

Mit Fug und Recht wird man also sagen können, daß durch die Er¬
forschung und Sammlung der Rechtsordnungen der Eingebornen den deutschen
Kolonien ebenso ein praktischer wie ein wissenschaftlicher Zweck erreicht werden kann.

Die Beschaffung des erforderlichen Materials wird, wie schon ange¬
deutet, vor allem Sache der Reichsregierung und der Kolvnialgesellschnfteu
sein, die sich durch ihre in den Schutzgebieten angestellten Beamten über die
Rechtsverhältnisse der Eingebornen Bericht erstatten lassen können. Nament¬
lich wird von der Neu-Guinea-Kompagnie, die sich ja die genaue Erforschung
ihres Gebiets nach jeder Richtung zur Aufgabe gesetzt hat, erwartet werden
können, daß sie auch für eine eingehendere Untersuchung der Rechtsverhältnisse
der Eingebornen Sorge tragen wird, sobald die geographische und physikalische
Erforschung des Gebiets weiter vorgeschritten sein wird. An dieser Forschungs¬
arbeit werden sich mit Erfolg auch Missionare und Reisende beteiligen können,
die sich zu wissenschaftlichen Zwecken in den deutscheu Kolonien aufhalten.

Damit nun diese Forschungen möglichst zuverlässig und gründlich aus¬
fallen, wäre es sehr gut, wenn den Beamten, Missionaren und Reisenden
kurze Anleitungen und Anweisungen mitgegeben werden könnten, worin in ge¬
drängter Darstellung ein Überblick über die Rechtseinrichtungen solcher Natur¬
völker gegeben ist, wie sie sich in unsern Kolonien finden, und worin nament¬
lich diejenigen Punkte hervorgehoben werden, auf deren Feststellung es bei den
einzelnen Völkerschaften hauptsächlich ankommt. Derartige Vorarbeiten dürften
umso erwünschter sein, als, wie bereits hervorgehoben, die in Frage stehenden
Forschungen eine gewisse Vorbildung voraussetzen, während doch nicht anzu¬
nehmen ist, daß die Beamten, Reisenden und Missionare stets Gelegenheit
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/542>, abgerufen am 05.02.2025.