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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde

und dies üble Beispiel wirkt umso zersetzender, als die, von denen es aus¬
geht, von dem Neste der Bauerschaft noch immer als ihresgleichen betrachtet
werden. Ans die eben geschilderte Weise, die übrigens selbstverständlich nicht
nur die sächsischen, sondern mehr oder weniger alle Einbänden gefährdet, voll¬
zieht sich heute vor unsern Augen die Auflösung des alten Einbaues in einige,?
besonders fruchtbaren und reichen Gegenden des Einbangebiets: in der
schleswigschen Landschaft Angeln, im oldenburgischen Butjadingen, und wenn
dergleichen Borkommnisse anderwärts noch zu den Seltenheiten gehören, wenn
sogar in einer so wohlhabenden Provinz wie Ostfriesland eine eigentliche Er¬
schütterung des alten Baues uoch uicht zu verspüren ist, geschweige in den
abgelegenen Heide- und Moorstrecken,") so ist auf der andern Seite zu erwägen,
daß diese ganze Entwicklung ja erst seit ganz kurzer Zeit, seit ewigen Jahr¬
zehnten eingesetzt hat.

Am günstigsten stellt sich die Lage des sächsischen Baues, wenn wir von
den Niederlanden absehen, dem klassischen Lande der Einbänden überhaupt, das
bis zur Stunde noch kaum einen Ansatz zur Auflösung gewahren läßt, in
Holstein, wo er uach der schwächsten Seite, nach Norden dnrch den zwischen¬
liegenden schleswigschen Langbau gegen das Vordringen des dänischen "Vier¬
kant," der hier deu mitteldeutschen Hvfban vertritt, geschützt ist, und im
nördlichen Westfalen, in dem Lande der Einzelhöfe. Erweist sich die vereinzelte
Lage der Höfe schon an und für sich günstiger für die Erhaltung des Alther¬
gebrachten als das Zusammenleben im Dorfe, so kommt hinzu, daß das Shstem
der Einzelhöfe und die dadurch gegebene Geschlossenheit der Besitzungen eine
eigentliche Verkoppelung und Zusammenlegung der Äcker überflüssig macht und
damit ein Hauptanstoß für die Neubauten gerade in der gefährlichsten Über¬
gangszeit in Wegfall kommt, daß aus denselben Gründen die wirtschaftliche
Entwicklung früher einsetzen, sich ruhiger vollziehen und die alte ungefüge Bau¬
art allmählicher ergreifen und zu größerer Widerstandsfähigkeit umwandeln
konnte, daß endlich, wie schon bemerkt, ein Hauptnachteil des sächsischen Hauses,
die Rückenlage der Wohnung, bei der vollständigen Unabhängigkeit der Hof¬
gelegenheit von einer Dorfstraße weniger ins Gewicht fallen muß. Weiterhin
ist Westfalen fast ans allen Seiten dnrch Gebirge und bergiges Gelände ge¬
schützt und häugt auch nach der einzigen offnen Stelle, im Nordwesten, mit
dein sächsischen Einbaugebiet der Niederlande zusammen. Im allgemeinen aber
darf man sagen, daß die Sache des alten sächsischen Hauses schlecht genug
steht, daß wir geringe Hoffnung haben, daß der Kranke die schwere Krise
glücklich überwinden wird.



^) Wie sehr selbst diese schon gefährdet sind, zeigen die Vorgänge in der Gegend von
Wildeshanson (Oldenburg), wo auf hoher Hnide bei Neubauten der Einbnn zu Gunsten einer
Mehrheit von Gebäuden preisgegeben wird!
Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde

und dies üble Beispiel wirkt umso zersetzender, als die, von denen es aus¬
geht, von dem Neste der Bauerschaft noch immer als ihresgleichen betrachtet
werden. Ans die eben geschilderte Weise, die übrigens selbstverständlich nicht
nur die sächsischen, sondern mehr oder weniger alle Einbänden gefährdet, voll¬
zieht sich heute vor unsern Augen die Auflösung des alten Einbaues in einige,?
besonders fruchtbaren und reichen Gegenden des Einbangebiets: in der
schleswigschen Landschaft Angeln, im oldenburgischen Butjadingen, und wenn
dergleichen Borkommnisse anderwärts noch zu den Seltenheiten gehören, wenn
sogar in einer so wohlhabenden Provinz wie Ostfriesland eine eigentliche Er¬
schütterung des alten Baues uoch uicht zu verspüren ist, geschweige in den
abgelegenen Heide- und Moorstrecken,") so ist auf der andern Seite zu erwägen,
daß diese ganze Entwicklung ja erst seit ganz kurzer Zeit, seit ewigen Jahr¬
zehnten eingesetzt hat.

Am günstigsten stellt sich die Lage des sächsischen Baues, wenn wir von
den Niederlanden absehen, dem klassischen Lande der Einbänden überhaupt, das
bis zur Stunde noch kaum einen Ansatz zur Auflösung gewahren läßt, in
Holstein, wo er uach der schwächsten Seite, nach Norden dnrch den zwischen¬
liegenden schleswigschen Langbau gegen das Vordringen des dänischen „Vier¬
kant," der hier deu mitteldeutschen Hvfban vertritt, geschützt ist, und im
nördlichen Westfalen, in dem Lande der Einzelhöfe. Erweist sich die vereinzelte
Lage der Höfe schon an und für sich günstiger für die Erhaltung des Alther¬
gebrachten als das Zusammenleben im Dorfe, so kommt hinzu, daß das Shstem
der Einzelhöfe und die dadurch gegebene Geschlossenheit der Besitzungen eine
eigentliche Verkoppelung und Zusammenlegung der Äcker überflüssig macht und
damit ein Hauptanstoß für die Neubauten gerade in der gefährlichsten Über¬
gangszeit in Wegfall kommt, daß aus denselben Gründen die wirtschaftliche
Entwicklung früher einsetzen, sich ruhiger vollziehen und die alte ungefüge Bau¬
art allmählicher ergreifen und zu größerer Widerstandsfähigkeit umwandeln
konnte, daß endlich, wie schon bemerkt, ein Hauptnachteil des sächsischen Hauses,
die Rückenlage der Wohnung, bei der vollständigen Unabhängigkeit der Hof¬
gelegenheit von einer Dorfstraße weniger ins Gewicht fallen muß. Weiterhin
ist Westfalen fast ans allen Seiten dnrch Gebirge und bergiges Gelände ge¬
schützt und häugt auch nach der einzigen offnen Stelle, im Nordwesten, mit
dein sächsischen Einbaugebiet der Niederlande zusammen. Im allgemeinen aber
darf man sagen, daß die Sache des alten sächsischen Hauses schlecht genug
steht, daß wir geringe Hoffnung haben, daß der Kranke die schwere Krise
glücklich überwinden wird.



^) Wie sehr selbst diese schon gefährdet sind, zeigen die Vorgänge in der Gegend von
Wildeshanson (Oldenburg), wo auf hoher Hnide bei Neubauten der Einbnn zu Gunsten einer
Mehrheit von Gebäuden preisgegeben wird!
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[0501] Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde und dies üble Beispiel wirkt umso zersetzender, als die, von denen es aus¬ geht, von dem Neste der Bauerschaft noch immer als ihresgleichen betrachtet werden. Ans die eben geschilderte Weise, die übrigens selbstverständlich nicht nur die sächsischen, sondern mehr oder weniger alle Einbänden gefährdet, voll¬ zieht sich heute vor unsern Augen die Auflösung des alten Einbaues in einige,? besonders fruchtbaren und reichen Gegenden des Einbangebiets: in der schleswigschen Landschaft Angeln, im oldenburgischen Butjadingen, und wenn dergleichen Borkommnisse anderwärts noch zu den Seltenheiten gehören, wenn sogar in einer so wohlhabenden Provinz wie Ostfriesland eine eigentliche Er¬ schütterung des alten Baues uoch uicht zu verspüren ist, geschweige in den abgelegenen Heide- und Moorstrecken,") so ist auf der andern Seite zu erwägen, daß diese ganze Entwicklung ja erst seit ganz kurzer Zeit, seit ewigen Jahr¬ zehnten eingesetzt hat. Am günstigsten stellt sich die Lage des sächsischen Baues, wenn wir von den Niederlanden absehen, dem klassischen Lande der Einbänden überhaupt, das bis zur Stunde noch kaum einen Ansatz zur Auflösung gewahren läßt, in Holstein, wo er uach der schwächsten Seite, nach Norden dnrch den zwischen¬ liegenden schleswigschen Langbau gegen das Vordringen des dänischen „Vier¬ kant," der hier deu mitteldeutschen Hvfban vertritt, geschützt ist, und im nördlichen Westfalen, in dem Lande der Einzelhöfe. Erweist sich die vereinzelte Lage der Höfe schon an und für sich günstiger für die Erhaltung des Alther¬ gebrachten als das Zusammenleben im Dorfe, so kommt hinzu, daß das Shstem der Einzelhöfe und die dadurch gegebene Geschlossenheit der Besitzungen eine eigentliche Verkoppelung und Zusammenlegung der Äcker überflüssig macht und damit ein Hauptanstoß für die Neubauten gerade in der gefährlichsten Über¬ gangszeit in Wegfall kommt, daß aus denselben Gründen die wirtschaftliche Entwicklung früher einsetzen, sich ruhiger vollziehen und die alte ungefüge Bau¬ art allmählicher ergreifen und zu größerer Widerstandsfähigkeit umwandeln konnte, daß endlich, wie schon bemerkt, ein Hauptnachteil des sächsischen Hauses, die Rückenlage der Wohnung, bei der vollständigen Unabhängigkeit der Hof¬ gelegenheit von einer Dorfstraße weniger ins Gewicht fallen muß. Weiterhin ist Westfalen fast ans allen Seiten dnrch Gebirge und bergiges Gelände ge¬ schützt und häugt auch nach der einzigen offnen Stelle, im Nordwesten, mit dein sächsischen Einbaugebiet der Niederlande zusammen. Im allgemeinen aber darf man sagen, daß die Sache des alten sächsischen Hauses schlecht genug steht, daß wir geringe Hoffnung haben, daß der Kranke die schwere Krise glücklich überwinden wird. ^) Wie sehr selbst diese schon gefährdet sind, zeigen die Vorgänge in der Gegend von Wildeshanson (Oldenburg), wo auf hoher Hnide bei Neubauten der Einbnn zu Gunsten einer Mehrheit von Gebäuden preisgegeben wird!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/501>, abgerufen am 05.02.2025.