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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende
2. Des alten Dorfes Ende
2

as niedersächsische Haus ist der Ban des deutschen Nordwestens
und des ihn erfüllenden niedersächsischen Stammes, in seiner
Verbreitung von der schleswigschen Treene bis zum Zusammen¬
fluß der Weser und von der Elbe bis zur niederländischen Zuhdersee
schließt er sich noch heute ziemlich genau deu alten Stammes-
grenzcn an, mit Ausnahme des Südostens, wo die Umgebungen des Harzes
auf etwa 30 bis 40 Meilen nach Nord und West den getrennten Hofbau auf¬
weisen. In diesen weiten Gebieten war der sächsische Bau ursprünglich ein
und derselbe, und fast alle Verschiedenheiten, denen wir hente begegnen, können
nur als der Allsdruck von Entwicklungen gelten, die im Süden früher ein¬
gesetzt haben als im Norden. Das Wesen nun des alten sächsischen Hauses,
wie ich schon früher gezeigt habe, besteht darin, daß es in feinem alten
Hauptteile (mit Abziehung des "Kammerfachs") eigentlich und ursprünglich
nur ein einziger hoher, weiter Raum ist, worin die einzelnen Wohn- und Wirt-
schaftsgclegenheiten nicht durch räumliche Schranken und kaum dem Begriff
nach geschieden find, sodaß Stallung lind Wohnung gewissermaßen nur als
kümmerliche Ausscheidungen der großen Date sich darstellen, des großen Mittel-
raunls, der wie ein Mädchen für alles zu allen denkbaren Diensten bereit
stehen muß. So barbarisch und chaotisch uns Moderne eine solche Anlage an¬
muten mag, so hatte sie doch durch ihre Geschlossenheit lind Einheit für das
Altertum ihre unleugbaren Vorzüge, und in jener alten Zeit, wo das offne
Herdfeuer, der einzige Wärmespender, den erforderlichen Luftzug häufig nur
dadurch gewinnen konnte, daß man die Thür offen hielt, sodaß, wie ein nor¬
wegischer Gewährsmann und Zeuge ähnlicher Verhältnisse aus dem vorigen
Jahrhundert berichtet, man auf der einen Seite gebraten wurde, während man
an der andern erfror, in jener Zeit ohne Glasfenster, Ofen und Rauchfang
ließ sich der Baller gern die Mitwirkung des wärmestrahlenden Viehes und des
fast bis auf die Erde niedersinkenden Strohdaches gefallen. Damals hat denn
anch das sächsische Haus unzweifelhafte Eroberungen gemacht: wir finden es




Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende
2. Des alten Dorfes Ende
2

as niedersächsische Haus ist der Ban des deutschen Nordwestens
und des ihn erfüllenden niedersächsischen Stammes, in seiner
Verbreitung von der schleswigschen Treene bis zum Zusammen¬
fluß der Weser und von der Elbe bis zur niederländischen Zuhdersee
schließt er sich noch heute ziemlich genau deu alten Stammes-
grenzcn an, mit Ausnahme des Südostens, wo die Umgebungen des Harzes
auf etwa 30 bis 40 Meilen nach Nord und West den getrennten Hofbau auf¬
weisen. In diesen weiten Gebieten war der sächsische Bau ursprünglich ein
und derselbe, und fast alle Verschiedenheiten, denen wir hente begegnen, können
nur als der Allsdruck von Entwicklungen gelten, die im Süden früher ein¬
gesetzt haben als im Norden. Das Wesen nun des alten sächsischen Hauses,
wie ich schon früher gezeigt habe, besteht darin, daß es in feinem alten
Hauptteile (mit Abziehung des „Kammerfachs") eigentlich und ursprünglich
nur ein einziger hoher, weiter Raum ist, worin die einzelnen Wohn- und Wirt-
schaftsgclegenheiten nicht durch räumliche Schranken und kaum dem Begriff
nach geschieden find, sodaß Stallung lind Wohnung gewissermaßen nur als
kümmerliche Ausscheidungen der großen Date sich darstellen, des großen Mittel-
raunls, der wie ein Mädchen für alles zu allen denkbaren Diensten bereit
stehen muß. So barbarisch und chaotisch uns Moderne eine solche Anlage an¬
muten mag, so hatte sie doch durch ihre Geschlossenheit lind Einheit für das
Altertum ihre unleugbaren Vorzüge, und in jener alten Zeit, wo das offne
Herdfeuer, der einzige Wärmespender, den erforderlichen Luftzug häufig nur
dadurch gewinnen konnte, daß man die Thür offen hielt, sodaß, wie ein nor¬
wegischer Gewährsmann und Zeuge ähnlicher Verhältnisse aus dem vorigen
Jahrhundert berichtet, man auf der einen Seite gebraten wurde, während man
an der andern erfror, in jener Zeit ohne Glasfenster, Ofen und Rauchfang
ließ sich der Baller gern die Mitwirkung des wärmestrahlenden Viehes und des
fast bis auf die Erde niedersinkenden Strohdaches gefallen. Damals hat denn
anch das sächsische Haus unzweifelhafte Eroberungen gemacht: wir finden es


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[0496] [Abbildung] Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende 2. Des alten Dorfes Ende 2 as niedersächsische Haus ist der Ban des deutschen Nordwestens und des ihn erfüllenden niedersächsischen Stammes, in seiner Verbreitung von der schleswigschen Treene bis zum Zusammen¬ fluß der Weser und von der Elbe bis zur niederländischen Zuhdersee schließt er sich noch heute ziemlich genau deu alten Stammes- grenzcn an, mit Ausnahme des Südostens, wo die Umgebungen des Harzes auf etwa 30 bis 40 Meilen nach Nord und West den getrennten Hofbau auf¬ weisen. In diesen weiten Gebieten war der sächsische Bau ursprünglich ein und derselbe, und fast alle Verschiedenheiten, denen wir hente begegnen, können nur als der Allsdruck von Entwicklungen gelten, die im Süden früher ein¬ gesetzt haben als im Norden. Das Wesen nun des alten sächsischen Hauses, wie ich schon früher gezeigt habe, besteht darin, daß es in feinem alten Hauptteile (mit Abziehung des „Kammerfachs") eigentlich und ursprünglich nur ein einziger hoher, weiter Raum ist, worin die einzelnen Wohn- und Wirt- schaftsgclegenheiten nicht durch räumliche Schranken und kaum dem Begriff nach geschieden find, sodaß Stallung lind Wohnung gewissermaßen nur als kümmerliche Ausscheidungen der großen Date sich darstellen, des großen Mittel- raunls, der wie ein Mädchen für alles zu allen denkbaren Diensten bereit stehen muß. So barbarisch und chaotisch uns Moderne eine solche Anlage an¬ muten mag, so hatte sie doch durch ihre Geschlossenheit lind Einheit für das Altertum ihre unleugbaren Vorzüge, und in jener alten Zeit, wo das offne Herdfeuer, der einzige Wärmespender, den erforderlichen Luftzug häufig nur dadurch gewinnen konnte, daß man die Thür offen hielt, sodaß, wie ein nor¬ wegischer Gewährsmann und Zeuge ähnlicher Verhältnisse aus dem vorigen Jahrhundert berichtet, man auf der einen Seite gebraten wurde, während man an der andern erfror, in jener Zeit ohne Glasfenster, Ofen und Rauchfang ließ sich der Baller gern die Mitwirkung des wärmestrahlenden Viehes und des fast bis auf die Erde niedersinkenden Strohdaches gefallen. Damals hat denn anch das sächsische Haus unzweifelhafte Eroberungen gemacht: wir finden es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/496>, abgerufen am 05.02.2025.