Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde Insbesondre das heranwachsende Geschlecht fühlte sich immer mehr geneigt, Wenn wir nun nach den Grundsätzen fragen, die bei diesen Neubauten Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde Insbesondre das heranwachsende Geschlecht fühlte sich immer mehr geneigt, Wenn wir nun nach den Grundsätzen fragen, die bei diesen Neubauten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0461" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205192"/> <fw type="header" place="top"> Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde</fw><lb/> <p xml:id="ID_1287"> Insbesondre das heranwachsende Geschlecht fühlte sich immer mehr geneigt,<lb/> den alten Ban als eine Art Gefängnis zu betrachten, das weder den gesteigerten<lb/> Bedürfnissen der Wirtschaft noch den entwickelteren Anforderungen menschlichen<lb/> Behagens genügte und dessen man sich bei erster Gelegenheit zu entledigen<lb/> hatte. Es wollte selbst dem Bauer nicht mehr passen, in seinen Wohnräulnen<lb/> den Dunst seines Viehes zu atmen und sich von Fliegenschwärmen belagert<lb/> zu sehen, die den Verwesungsprozessen seines Stalles entstiegen. Schon die<lb/> Verkoppelung mit der Stallfütterung in ihrem Gefolge brachte in manchen<lb/> Gegenden nahezu eine Verdoppelung des Viehstandes mit sich, und die Er¬<lb/> trägnisse der Ernte erhöhten sich in entsprechendem Maße. Der alte Kittel,<lb/> in dein der Bauer schon zur Konfirmation geschritten war — denn die alten<lb/> Hansfvrmen unsrer Dörfer gehn, in ihren Grundzügen bis auf die Christiani-<lb/> sirung der deutschen Stämme zurück —, wollte nirgend mehr sitzen und platzte<lb/> dem Bauer bei seinen verbesserten Ernährungsvcrhältnissen in allen Nähten.<lb/> Ein allgemeines Bedürfnis nach einem Umbau oder Neubau der alten .Höfe<lb/> war die Folge. Wenn nnn der Bauer in der ersten Zeit, wo er die voraus¬<lb/> sichtliche Entwicklung dieser Verhältnisse noch nicht recht übersah und wo seine<lb/> Mittel auch durch die Bezahlung der Kosten für die Ablösungen und die Ver¬<lb/> kuppelung stark in Anspruch genommen wurden, seiner Baulust Schranken auf¬<lb/> erlegte, so hat dafür in den letzten Jahrzehnten der Umbau der Dörfer eine<lb/> immer steigende Ausdehnung gewonnen und an manchen Orten ein so be¬<lb/> schleunigtes Tempo eingeschlagen, daß fast nichts mehr zu thun übrig bleibt.<lb/> Und das an Stellen, wo man es gar nicht erwarten sollte. Es ist mir<lb/> beispielsweise begegnet, daß ich vor zwei Jahren auf der hohen Heide im<lb/> mittlern Schleswig, wo ich zuversichtlich glaubte, den alten Bau noch in großer<lb/> llrsprünglichkeit erhalten zu treffen, in einem Bezirk von dem Umfange eines<lb/> Amtes, etwa zwischen Flensburg und Leck, und einer gleichen Erstreckung von<lb/> Nord nach Süd einige wenige Hose ausfindig zu machen, die von der Ein¬<lb/> richtung, wie sie noch zu Anfang des Jahrhunderts herrschte, eine genügende<lb/> Vorstellung geben konnten. Ja es scheint,-als wenn diese Vauwut stellenweise<lb/> einen fast epidemischen Charakter annähme, sodaß der einzelne auch ohne<lb/> starkes Bedürfnis und ohne besondre Neigung sich von der allgemeinen Strö¬<lb/> mung fortreißen läßt. Bezeichnend für die Gewaltsamkeit dieser Strömung<lb/> ist ein Geschichtchen, das man mir in Dithnurrschen erzählt hat. In einem<lb/> Dorfe hatten alle Bauern neu gebant bis auf einen Altvater, der sich trotz<lb/> allen Zuredens nicht entschließen konnte, das Haus, worin er geboren und<lb/> groß geworden war, noch in seinen alten Tagen umzureißen. Da zündeten<lb/> die Bauern, „die ein schönes Dorf haben wollten," erbittert über das alte<lb/> Strvhhaus, das das Dorf nach ihrer Ansicht schändete, den dicht am Hause<lb/> stehenden Diemen an, sodaß auch das Haus Feuer fing und verbrannte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1288" next="#ID_1289"> Wenn wir nun nach den Grundsätzen fragen, die bei diesen Neubauten</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0461]
Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde
Insbesondre das heranwachsende Geschlecht fühlte sich immer mehr geneigt,
den alten Ban als eine Art Gefängnis zu betrachten, das weder den gesteigerten
Bedürfnissen der Wirtschaft noch den entwickelteren Anforderungen menschlichen
Behagens genügte und dessen man sich bei erster Gelegenheit zu entledigen
hatte. Es wollte selbst dem Bauer nicht mehr passen, in seinen Wohnräulnen
den Dunst seines Viehes zu atmen und sich von Fliegenschwärmen belagert
zu sehen, die den Verwesungsprozessen seines Stalles entstiegen. Schon die
Verkoppelung mit der Stallfütterung in ihrem Gefolge brachte in manchen
Gegenden nahezu eine Verdoppelung des Viehstandes mit sich, und die Er¬
trägnisse der Ernte erhöhten sich in entsprechendem Maße. Der alte Kittel,
in dein der Bauer schon zur Konfirmation geschritten war — denn die alten
Hansfvrmen unsrer Dörfer gehn, in ihren Grundzügen bis auf die Christiani-
sirung der deutschen Stämme zurück —, wollte nirgend mehr sitzen und platzte
dem Bauer bei seinen verbesserten Ernährungsvcrhältnissen in allen Nähten.
Ein allgemeines Bedürfnis nach einem Umbau oder Neubau der alten .Höfe
war die Folge. Wenn nnn der Bauer in der ersten Zeit, wo er die voraus¬
sichtliche Entwicklung dieser Verhältnisse noch nicht recht übersah und wo seine
Mittel auch durch die Bezahlung der Kosten für die Ablösungen und die Ver¬
kuppelung stark in Anspruch genommen wurden, seiner Baulust Schranken auf¬
erlegte, so hat dafür in den letzten Jahrzehnten der Umbau der Dörfer eine
immer steigende Ausdehnung gewonnen und an manchen Orten ein so be¬
schleunigtes Tempo eingeschlagen, daß fast nichts mehr zu thun übrig bleibt.
Und das an Stellen, wo man es gar nicht erwarten sollte. Es ist mir
beispielsweise begegnet, daß ich vor zwei Jahren auf der hohen Heide im
mittlern Schleswig, wo ich zuversichtlich glaubte, den alten Bau noch in großer
llrsprünglichkeit erhalten zu treffen, in einem Bezirk von dem Umfange eines
Amtes, etwa zwischen Flensburg und Leck, und einer gleichen Erstreckung von
Nord nach Süd einige wenige Hose ausfindig zu machen, die von der Ein¬
richtung, wie sie noch zu Anfang des Jahrhunderts herrschte, eine genügende
Vorstellung geben konnten. Ja es scheint,-als wenn diese Vauwut stellenweise
einen fast epidemischen Charakter annähme, sodaß der einzelne auch ohne
starkes Bedürfnis und ohne besondre Neigung sich von der allgemeinen Strö¬
mung fortreißen läßt. Bezeichnend für die Gewaltsamkeit dieser Strömung
ist ein Geschichtchen, das man mir in Dithnurrschen erzählt hat. In einem
Dorfe hatten alle Bauern neu gebant bis auf einen Altvater, der sich trotz
allen Zuredens nicht entschließen konnte, das Haus, worin er geboren und
groß geworden war, noch in seinen alten Tagen umzureißen. Da zündeten
die Bauern, „die ein schönes Dorf haben wollten," erbittert über das alte
Strvhhaus, das das Dorf nach ihrer Ansicht schändete, den dicht am Hause
stehenden Diemen an, sodaß auch das Haus Feuer fing und verbrannte.
Wenn wir nun nach den Grundsätzen fragen, die bei diesen Neubauten
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