Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Rassen- und Klassenhaß nmittelbar vor Beginn der Reichsratsferien wurden im Abge- Rassen- und Klassenhaß nmittelbar vor Beginn der Reichsratsferien wurden im Abge- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0431" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205162"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341849_204730/figures/grenzboten_341849_204730_205162_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Rassen- und Klassenhaß<lb/></head><lb/> <p xml:id="ID_1201" next="#ID_1202"> nmittelbar vor Beginn der Reichsratsferien wurden im Abge-<lb/> ordnetenhause zwei Erklärungen abgegeben, die eine ernste Mi߬<lb/> billigung einer „krankhaften Erscheinung" in unserm öffentlichen<lb/> Leben und die nach allen Seiten gerichtete Mahnung enthielten,<lb/> jener Erscheinung entgegenzuwirken. Der Führer der Opposition,<lb/> Herr von Pierer, und der Ministerpräsident drückten an zwei auf einander<lb/> folgenden Tagen, dem Sinne nach völlig übereinstimmend, ihr Bedauern über<lb/> die Mas;- und Riicksichtslvsigkeit in den Parteikämpfen der Gegenwart aus<lb/> und suchten das Gerechtigkeits- und Billigkeitsgefühl zu wecken. Ganz ver-^M^'<lb/> WWU<lb/> schiedne Anlässe waren es, welche die beiden Redner, in denen zwei entgegen¬<lb/> gesetzte Richtungen sich gewissermaßen verkörpern, genau zu derselben Schlu߬<lb/> folgerung führten. Herr von Pierer war sichtlich erschreckt durch den Ausbruch<lb/> eines wilden Adelshasses bei Gelegenheit einer Verhandlung über ein neues<lb/> Fideikvmmiß. Über den Wert der Fideikommisse sind die Ansichten bekanntlich<lb/> geteilt, und es lassen sich genng erhebliche Gründe gegen die ganze Einrich¬<lb/> tung vorbringen. Aber der eine Oppositionsredner, der Wiener Abgeordnete<lb/> ^'rouawetter, der Wortführer der vvrstüdtischen Konfusokratie, frischte seine<lb/> herkömmlichen Redensarten von der alleinselignlachenden Freiheit, Gleich¬<lb/> heit und Brüderlichkeit und von der herrlichen französischen Revolution, mit<lb/> der für ihn erst die Geschichte der Menschheit beginnt, diesmal durch Wen¬<lb/> dungen auf, die den unnötigen Beweis erbrachten, daß ihm der Ton der guten<lb/> Gesellschaft fremd ist. Und noch viel ingrimmiger ließ sich ein Herr Pollak<lb/> aus Böhmen aus. Er kommt nicht, wie konsequenterweise Kronawetter, zur<lb/> Abschaffung des Erbadels. Wer „arbeitet," z. B. seine Aktien arbeiten läßt,<lb/> erwirbt sich nach dieses Redners Vorstellung das Recht ans den ererbten Besitz,<lb/> vielleicht darf auch die Verwaltung von Gütern Arbeit genannt werden, nur<lb/> nicht, wenn diese Edelleuten gehöre», dem, die arbeite» uicht. Wie viele Mit¬<lb/> glieder der Talmi-Aristokratie, „Söhne vou Börsenfürsten" n. s. w., kein höheres<lb/> Ziel kennen, als in allen noblen und nnnoblen Passionen, alleu Nichtigkeiten<lb/> und Ausschweifungen adelichcn Nichsthnern ähnlich zu werden, wie gut es</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0431]
[Abbildung]
Rassen- und Klassenhaß
nmittelbar vor Beginn der Reichsratsferien wurden im Abge-
ordnetenhause zwei Erklärungen abgegeben, die eine ernste Mi߬
billigung einer „krankhaften Erscheinung" in unserm öffentlichen
Leben und die nach allen Seiten gerichtete Mahnung enthielten,
jener Erscheinung entgegenzuwirken. Der Führer der Opposition,
Herr von Pierer, und der Ministerpräsident drückten an zwei auf einander
folgenden Tagen, dem Sinne nach völlig übereinstimmend, ihr Bedauern über
die Mas;- und Riicksichtslvsigkeit in den Parteikämpfen der Gegenwart aus
und suchten das Gerechtigkeits- und Billigkeitsgefühl zu wecken. Ganz ver-^M^'
WWU
schiedne Anlässe waren es, welche die beiden Redner, in denen zwei entgegen¬
gesetzte Richtungen sich gewissermaßen verkörpern, genau zu derselben Schlu߬
folgerung führten. Herr von Pierer war sichtlich erschreckt durch den Ausbruch
eines wilden Adelshasses bei Gelegenheit einer Verhandlung über ein neues
Fideikvmmiß. Über den Wert der Fideikommisse sind die Ansichten bekanntlich
geteilt, und es lassen sich genng erhebliche Gründe gegen die ganze Einrich¬
tung vorbringen. Aber der eine Oppositionsredner, der Wiener Abgeordnete
^'rouawetter, der Wortführer der vvrstüdtischen Konfusokratie, frischte seine
herkömmlichen Redensarten von der alleinselignlachenden Freiheit, Gleich¬
heit und Brüderlichkeit und von der herrlichen französischen Revolution, mit
der für ihn erst die Geschichte der Menschheit beginnt, diesmal durch Wen¬
dungen auf, die den unnötigen Beweis erbrachten, daß ihm der Ton der guten
Gesellschaft fremd ist. Und noch viel ingrimmiger ließ sich ein Herr Pollak
aus Böhmen aus. Er kommt nicht, wie konsequenterweise Kronawetter, zur
Abschaffung des Erbadels. Wer „arbeitet," z. B. seine Aktien arbeiten läßt,
erwirbt sich nach dieses Redners Vorstellung das Recht ans den ererbten Besitz,
vielleicht darf auch die Verwaltung von Gütern Arbeit genannt werden, nur
nicht, wenn diese Edelleuten gehöre», dem, die arbeite» uicht. Wie viele Mit¬
glieder der Talmi-Aristokratie, „Söhne vou Börsenfürsten" n. s. w., kein höheres
Ziel kennen, als in allen noblen und nnnoblen Passionen, alleu Nichtigkeiten
und Ausschweifungen adelichcn Nichsthnern ähnlich zu werden, wie gut es
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