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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Freiheit

der Existenz empfunden wird. Heute neigt man wieder der zweiten Auffassung
zu und wünscht jene Verhältnisse in der Gestalt von Fideikommissen, Höferollen
nud Rentengütern zurück. Das Ideal in dieser Veziehuug wie in Bezug auf
Freizügigkeit überhaupt wäre erreicht, wenn jeder ziehen lbez. sein Gut ver¬
kaufen oder nach Ablauf einer gewissen Pachtzeit das Pachtverhältnis lösen)
dürfte, aber keiner zu ziehe" im verkaufe" u. f. w.) genötigt wäre, weil jeder
dort, wo er sich befindet, seine Nahrung fände.

Die persönliche Freiheit ist aus sittlichen Gründen als ein so hohes Gut
zu achten, daß sie, einmal errungen, niemals wieder preisgegeben werden darf,
obwohl die Lage des Lohnarbeiters weit unbequemer ist als der Skiaveustaud
und sich bei großer wirtschaftlicher Abhängigkeit thatsächlich nicht von der
Sklaverei unterscheidet, ja, wie wir oben sahen, mitunter weit schlimmere Mi߬
handlungen durch unpersönliche Mächte im Gefolge hat. Daß der vom Christen¬
tum? geforderten innern Freiheit der Stand des äußerlich Freien besser entspricht
als der des Sklaven, ist zuerst vom Apostel Paulus, dann noch unzähligemale
miSgesprvcheu worden und hat in der nachhaltigsten Weise auf die Umgestal¬
tung der sozialen Verhältnisse innerhalb der christlichen Welt eingewirkt. Wo
sich die Hörigkeit nicht beseitigen ließ, da hielt man wenigstens darauf, daß sie
uicht in die gröbste Form der Sklaverei ausartete, und daß die Menschen uicht
als Tiere oder Sachen behandelt wurden. Aus unzähligen Beispielen, die an¬
geführt werdeu könnten, hebe ich nur eins heraus. Kaiser Konrad II. verfügte
im Jahre 1031: "Da wir gehört haben, daß die Leibeigenen (maneixig,) der
heiligen Kirche vou Verden wie unvernünftiges Vieh für jeden beliebigen Preis
verkauft werden, so wundern wir uus uicht allein über diese nichtswürdige Gewohn¬
heit, sondern verwünschen sie auch als einen Greuel vor Gott und den Menschen, be-'
sonders da nach den Canones die kirchlichen Grundstücke und Leibeignen nur gegen
andre gleichwertige Grundstücke und Leibeigne ausgetauscht werdeu dürfen."
(Der wesentliche Unterschied zwischen dem Hörigen und dem Sklaven besteht
darin, daß jener nur als Zubehör des Gutes mit diesem verkauft, verpfändet
oder vertauscht werdeu darf, der Sklave aber persönlich verkauft, demnach, gleich
dem Vieh, auf deu Markt gebracht werdeu kann.) Konrad verbietet also diese
Gewohnheit und befiehlt, daß die bereits veräußerteu Hörigen von der Kirche
zu Werden wieder eingelöst werden sollen. (Pertz, Nonumönw. I.og'LL II, 38.)

Die politischen Freiheiten im engern Sinne umfassen jene Rechte, die ein
gesetzliches Verhältnis zwischen deu Bürger" und der Obrigkeit verbürgen,
so daß die Bürger nicht der Willkür eines Mannes oder einer Oligarchie
preisgegeben, sondern lediglich zum Gehorsam innerhalb des Gesetzes ver¬
pflichtet sind, zu dessen Gestaltung sie selbst mitwirken.") Ju dieser Gruppe



Eine weltgeschichtlich sehr wichtige Art der Freiheit: die politische Unabhängigkeit
eines Volkes von untern Völkern, lassen wir beiseite.
Freiheit

der Existenz empfunden wird. Heute neigt man wieder der zweiten Auffassung
zu und wünscht jene Verhältnisse in der Gestalt von Fideikommissen, Höferollen
nud Rentengütern zurück. Das Ideal in dieser Veziehuug wie in Bezug auf
Freizügigkeit überhaupt wäre erreicht, wenn jeder ziehen lbez. sein Gut ver¬
kaufen oder nach Ablauf einer gewissen Pachtzeit das Pachtverhältnis lösen)
dürfte, aber keiner zu ziehe» im verkaufe» u. f. w.) genötigt wäre, weil jeder
dort, wo er sich befindet, seine Nahrung fände.

Die persönliche Freiheit ist aus sittlichen Gründen als ein so hohes Gut
zu achten, daß sie, einmal errungen, niemals wieder preisgegeben werden darf,
obwohl die Lage des Lohnarbeiters weit unbequemer ist als der Skiaveustaud
und sich bei großer wirtschaftlicher Abhängigkeit thatsächlich nicht von der
Sklaverei unterscheidet, ja, wie wir oben sahen, mitunter weit schlimmere Mi߬
handlungen durch unpersönliche Mächte im Gefolge hat. Daß der vom Christen¬
tum? geforderten innern Freiheit der Stand des äußerlich Freien besser entspricht
als der des Sklaven, ist zuerst vom Apostel Paulus, dann noch unzähligemale
miSgesprvcheu worden und hat in der nachhaltigsten Weise auf die Umgestal¬
tung der sozialen Verhältnisse innerhalb der christlichen Welt eingewirkt. Wo
sich die Hörigkeit nicht beseitigen ließ, da hielt man wenigstens darauf, daß sie
uicht in die gröbste Form der Sklaverei ausartete, und daß die Menschen uicht
als Tiere oder Sachen behandelt wurden. Aus unzähligen Beispielen, die an¬
geführt werdeu könnten, hebe ich nur eins heraus. Kaiser Konrad II. verfügte
im Jahre 1031: „Da wir gehört haben, daß die Leibeigenen (maneixig,) der
heiligen Kirche vou Verden wie unvernünftiges Vieh für jeden beliebigen Preis
verkauft werden, so wundern wir uus uicht allein über diese nichtswürdige Gewohn¬
heit, sondern verwünschen sie auch als einen Greuel vor Gott und den Menschen, be-'
sonders da nach den Canones die kirchlichen Grundstücke und Leibeignen nur gegen
andre gleichwertige Grundstücke und Leibeigne ausgetauscht werdeu dürfen."
(Der wesentliche Unterschied zwischen dem Hörigen und dem Sklaven besteht
darin, daß jener nur als Zubehör des Gutes mit diesem verkauft, verpfändet
oder vertauscht werdeu darf, der Sklave aber persönlich verkauft, demnach, gleich
dem Vieh, auf deu Markt gebracht werdeu kann.) Konrad verbietet also diese
Gewohnheit und befiehlt, daß die bereits veräußerteu Hörigen von der Kirche
zu Werden wieder eingelöst werden sollen. (Pertz, Nonumönw. I.og'LL II, 38.)

Die politischen Freiheiten im engern Sinne umfassen jene Rechte, die ein
gesetzliches Verhältnis zwischen deu Bürger« und der Obrigkeit verbürgen,
so daß die Bürger nicht der Willkür eines Mannes oder einer Oligarchie
preisgegeben, sondern lediglich zum Gehorsam innerhalb des Gesetzes ver¬
pflichtet sind, zu dessen Gestaltung sie selbst mitwirken.") Ju dieser Gruppe



Eine weltgeschichtlich sehr wichtige Art der Freiheit: die politische Unabhängigkeit
eines Volkes von untern Völkern, lassen wir beiseite.
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[0410] Freiheit der Existenz empfunden wird. Heute neigt man wieder der zweiten Auffassung zu und wünscht jene Verhältnisse in der Gestalt von Fideikommissen, Höferollen nud Rentengütern zurück. Das Ideal in dieser Veziehuug wie in Bezug auf Freizügigkeit überhaupt wäre erreicht, wenn jeder ziehen lbez. sein Gut ver¬ kaufen oder nach Ablauf einer gewissen Pachtzeit das Pachtverhältnis lösen) dürfte, aber keiner zu ziehe» im verkaufe» u. f. w.) genötigt wäre, weil jeder dort, wo er sich befindet, seine Nahrung fände. Die persönliche Freiheit ist aus sittlichen Gründen als ein so hohes Gut zu achten, daß sie, einmal errungen, niemals wieder preisgegeben werden darf, obwohl die Lage des Lohnarbeiters weit unbequemer ist als der Skiaveustaud und sich bei großer wirtschaftlicher Abhängigkeit thatsächlich nicht von der Sklaverei unterscheidet, ja, wie wir oben sahen, mitunter weit schlimmere Mi߬ handlungen durch unpersönliche Mächte im Gefolge hat. Daß der vom Christen¬ tum? geforderten innern Freiheit der Stand des äußerlich Freien besser entspricht als der des Sklaven, ist zuerst vom Apostel Paulus, dann noch unzähligemale miSgesprvcheu worden und hat in der nachhaltigsten Weise auf die Umgestal¬ tung der sozialen Verhältnisse innerhalb der christlichen Welt eingewirkt. Wo sich die Hörigkeit nicht beseitigen ließ, da hielt man wenigstens darauf, daß sie uicht in die gröbste Form der Sklaverei ausartete, und daß die Menschen uicht als Tiere oder Sachen behandelt wurden. Aus unzähligen Beispielen, die an¬ geführt werdeu könnten, hebe ich nur eins heraus. Kaiser Konrad II. verfügte im Jahre 1031: „Da wir gehört haben, daß die Leibeigenen (maneixig,) der heiligen Kirche vou Verden wie unvernünftiges Vieh für jeden beliebigen Preis verkauft werden, so wundern wir uus uicht allein über diese nichtswürdige Gewohn¬ heit, sondern verwünschen sie auch als einen Greuel vor Gott und den Menschen, be-' sonders da nach den Canones die kirchlichen Grundstücke und Leibeignen nur gegen andre gleichwertige Grundstücke und Leibeigne ausgetauscht werdeu dürfen." (Der wesentliche Unterschied zwischen dem Hörigen und dem Sklaven besteht darin, daß jener nur als Zubehör des Gutes mit diesem verkauft, verpfändet oder vertauscht werdeu darf, der Sklave aber persönlich verkauft, demnach, gleich dem Vieh, auf deu Markt gebracht werdeu kann.) Konrad verbietet also diese Gewohnheit und befiehlt, daß die bereits veräußerteu Hörigen von der Kirche zu Werden wieder eingelöst werden sollen. (Pertz, Nonumönw. I.og'LL II, 38.) Die politischen Freiheiten im engern Sinne umfassen jene Rechte, die ein gesetzliches Verhältnis zwischen deu Bürger« und der Obrigkeit verbürgen, so daß die Bürger nicht der Willkür eines Mannes oder einer Oligarchie preisgegeben, sondern lediglich zum Gehorsam innerhalb des Gesetzes ver¬ pflichtet sind, zu dessen Gestaltung sie selbst mitwirken.") Ju dieser Gruppe Eine weltgeschichtlich sehr wichtige Art der Freiheit: die politische Unabhängigkeit eines Volkes von untern Völkern, lassen wir beiseite.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/410>, abgerufen am 05.02.2025.