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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Freiheit

nur bei völlig freier Bewegung. Bald daher nahm er, so sehr auch die Herren,
namentlich die Bischöfe, sich dagegen wehrten, die Marktpolizei und die Handcls-
gerichtsbarkeit in die Hand; damit war die Grundlage der städtischen Selbst-
regierung gegeben. Noch war der Prozeß der Befreiung des Bürgerstandes
vom Herrendienste nicht zum Abschluß gelaugt, da begann jeuer andre im
Schoße der Bürgerschaft. Die Handwerker schlösse" sich zur Wahrnehmung
ihrer Interessen gegenüber den Rats- und Handelsherren in Bruderschaften
oder Freundschaften skr^vrinwtesj und Einungen < Innungen) zusammen. Hie
und da gelangten sie zur Herrschaft und sperrten sich ab, wodurch die aus¬
geschlossene Masse zum Nrbeiterprolctariat herabgedrückt wurde. Kaiser
Friedrich II., der seinem sizilischen Staate nicht allein die Wohlthat einer
festen Rechtsordnung sicherte, sondern ihn auch ganz so absolutistisch-bürean-
kmtisch einrichtete, wie fünf Jahrhunderte später sein königlicher Namensbruder
den preußischen, versuchte in Deutschland das Innungswesen, als eine Schranke
der Staatsgewalt, im Keime zu ersticken. (Das Verbot in Pertz' Normineow,
I^6ß<Z8 II, 279.) Durch eine besondre Verordnung wurden in Goslar alle
Gilden und Einungen verboten mit Ausnahme der Münzergenossenschaft. Diese
Ausnahme erklärt sich, wie Nitzsch hervorhebt, aus dem Umstände, daß sich
Staatsbehörden zur Kontrole der Prägung und zur Verhütung der Falsch¬
münzerei damals nicht einrichten ließen. Während noch im Jahre 1074 die
Diener Annos von Köln einem Kaufmanne sein befrachtetes Schiff weg¬
nahmen, um es einem Gaste ihres Herrn für die Heimreise zur Verfügung zu
stellen -- den darob entstandenen Aufruhr bewältigte der Kirchenfttrst --, konnte
Erzbischof Engelbert um 1220 schon eine Spaltung zwischen Ratsgeschlechtern
und Zünften dazu benutze", von der Bürgerschaft 4000 Mark herauszuschlagen,
und 1258 durste sich der Erzbischof bereits als Beschützer des Volkes auf¬
spielen und i" einer Beschwerdeschrift darüber klagen, daß die Lebensmittel-
verknufer von den Bürgermeistern tyrannisirt, die Zünfte von den Vornehmen
init Auflage" und Frohnden gedrückt würden, und die Stadt infolgedessen
verarme.

Mit dem Emporkommen des Territorialfürstentums erstarb in den Städten
wie in den freien Bauernschaften das politische Leben nud die Fähigkeit der
Selbstverwaltung. Aus Ursachen, deren Erörterung zu weit führen würde,
übten die gewaltigen Ideen Luthers nicht sofort jenen befreienden Einfluß, den
man im Anfange der Reformation erwarten durftet Im achtzehnten Jahr-



Nur ein Umstand, der gerade im sechzehnten Jahrhundert die Lage der Arbeiter
verschlechterte und ihre Abhängigkeit verschärfte, soll nicht unerwähnt bleiben, weil nur nuf
den ersten Blick sieht, daß er mit der Reformation, die sonst wohl für alle Übel jener Zeit
verantwortlich gemacht wird, in gar keinem innern Zusammenhange steht. Die Einfuhr von
Gold und Silber ans dein neuentdeckten Amerika trieb die Preise aller Waaren in die Hohe
die Arbeitslöhne aber blieben stehen. Freilich auch die Besoldungen; Luthers Klagen über
Freiheit

nur bei völlig freier Bewegung. Bald daher nahm er, so sehr auch die Herren,
namentlich die Bischöfe, sich dagegen wehrten, die Marktpolizei und die Handcls-
gerichtsbarkeit in die Hand; damit war die Grundlage der städtischen Selbst-
regierung gegeben. Noch war der Prozeß der Befreiung des Bürgerstandes
vom Herrendienste nicht zum Abschluß gelaugt, da begann jeuer andre im
Schoße der Bürgerschaft. Die Handwerker schlösse» sich zur Wahrnehmung
ihrer Interessen gegenüber den Rats- und Handelsherren in Bruderschaften
oder Freundschaften skr^vrinwtesj und Einungen < Innungen) zusammen. Hie
und da gelangten sie zur Herrschaft und sperrten sich ab, wodurch die aus¬
geschlossene Masse zum Nrbeiterprolctariat herabgedrückt wurde. Kaiser
Friedrich II., der seinem sizilischen Staate nicht allein die Wohlthat einer
festen Rechtsordnung sicherte, sondern ihn auch ganz so absolutistisch-bürean-
kmtisch einrichtete, wie fünf Jahrhunderte später sein königlicher Namensbruder
den preußischen, versuchte in Deutschland das Innungswesen, als eine Schranke
der Staatsgewalt, im Keime zu ersticken. (Das Verbot in Pertz' Normineow,
I^6ß<Z8 II, 279.) Durch eine besondre Verordnung wurden in Goslar alle
Gilden und Einungen verboten mit Ausnahme der Münzergenossenschaft. Diese
Ausnahme erklärt sich, wie Nitzsch hervorhebt, aus dem Umstände, daß sich
Staatsbehörden zur Kontrole der Prägung und zur Verhütung der Falsch¬
münzerei damals nicht einrichten ließen. Während noch im Jahre 1074 die
Diener Annos von Köln einem Kaufmanne sein befrachtetes Schiff weg¬
nahmen, um es einem Gaste ihres Herrn für die Heimreise zur Verfügung zu
stellen — den darob entstandenen Aufruhr bewältigte der Kirchenfttrst —, konnte
Erzbischof Engelbert um 1220 schon eine Spaltung zwischen Ratsgeschlechtern
und Zünften dazu benutze», von der Bürgerschaft 4000 Mark herauszuschlagen,
und 1258 durste sich der Erzbischof bereits als Beschützer des Volkes auf¬
spielen und i» einer Beschwerdeschrift darüber klagen, daß die Lebensmittel-
verknufer von den Bürgermeistern tyrannisirt, die Zünfte von den Vornehmen
init Auflage» und Frohnden gedrückt würden, und die Stadt infolgedessen
verarme.

Mit dem Emporkommen des Territorialfürstentums erstarb in den Städten
wie in den freien Bauernschaften das politische Leben nud die Fähigkeit der
Selbstverwaltung. Aus Ursachen, deren Erörterung zu weit führen würde,
übten die gewaltigen Ideen Luthers nicht sofort jenen befreienden Einfluß, den
man im Anfange der Reformation erwarten durftet Im achtzehnten Jahr-



Nur ein Umstand, der gerade im sechzehnten Jahrhundert die Lage der Arbeiter
verschlechterte und ihre Abhängigkeit verschärfte, soll nicht unerwähnt bleiben, weil nur nuf
den ersten Blick sieht, daß er mit der Reformation, die sonst wohl für alle Übel jener Zeit
verantwortlich gemacht wird, in gar keinem innern Zusammenhange steht. Die Einfuhr von
Gold und Silber ans dein neuentdeckten Amerika trieb die Preise aller Waaren in die Hohe
die Arbeitslöhne aber blieben stehen. Freilich auch die Besoldungen; Luthers Klagen über
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[0397] Freiheit nur bei völlig freier Bewegung. Bald daher nahm er, so sehr auch die Herren, namentlich die Bischöfe, sich dagegen wehrten, die Marktpolizei und die Handcls- gerichtsbarkeit in die Hand; damit war die Grundlage der städtischen Selbst- regierung gegeben. Noch war der Prozeß der Befreiung des Bürgerstandes vom Herrendienste nicht zum Abschluß gelaugt, da begann jeuer andre im Schoße der Bürgerschaft. Die Handwerker schlösse» sich zur Wahrnehmung ihrer Interessen gegenüber den Rats- und Handelsherren in Bruderschaften oder Freundschaften skr^vrinwtesj und Einungen < Innungen) zusammen. Hie und da gelangten sie zur Herrschaft und sperrten sich ab, wodurch die aus¬ geschlossene Masse zum Nrbeiterprolctariat herabgedrückt wurde. Kaiser Friedrich II., der seinem sizilischen Staate nicht allein die Wohlthat einer festen Rechtsordnung sicherte, sondern ihn auch ganz so absolutistisch-bürean- kmtisch einrichtete, wie fünf Jahrhunderte später sein königlicher Namensbruder den preußischen, versuchte in Deutschland das Innungswesen, als eine Schranke der Staatsgewalt, im Keime zu ersticken. (Das Verbot in Pertz' Normineow, I^6ß<Z8 II, 279.) Durch eine besondre Verordnung wurden in Goslar alle Gilden und Einungen verboten mit Ausnahme der Münzergenossenschaft. Diese Ausnahme erklärt sich, wie Nitzsch hervorhebt, aus dem Umstände, daß sich Staatsbehörden zur Kontrole der Prägung und zur Verhütung der Falsch¬ münzerei damals nicht einrichten ließen. Während noch im Jahre 1074 die Diener Annos von Köln einem Kaufmanne sein befrachtetes Schiff weg¬ nahmen, um es einem Gaste ihres Herrn für die Heimreise zur Verfügung zu stellen — den darob entstandenen Aufruhr bewältigte der Kirchenfttrst —, konnte Erzbischof Engelbert um 1220 schon eine Spaltung zwischen Ratsgeschlechtern und Zünften dazu benutze», von der Bürgerschaft 4000 Mark herauszuschlagen, und 1258 durste sich der Erzbischof bereits als Beschützer des Volkes auf¬ spielen und i» einer Beschwerdeschrift darüber klagen, daß die Lebensmittel- verknufer von den Bürgermeistern tyrannisirt, die Zünfte von den Vornehmen init Auflage» und Frohnden gedrückt würden, und die Stadt infolgedessen verarme. Mit dem Emporkommen des Territorialfürstentums erstarb in den Städten wie in den freien Bauernschaften das politische Leben nud die Fähigkeit der Selbstverwaltung. Aus Ursachen, deren Erörterung zu weit führen würde, übten die gewaltigen Ideen Luthers nicht sofort jenen befreienden Einfluß, den man im Anfange der Reformation erwarten durftet Im achtzehnten Jahr- Nur ein Umstand, der gerade im sechzehnten Jahrhundert die Lage der Arbeiter verschlechterte und ihre Abhängigkeit verschärfte, soll nicht unerwähnt bleiben, weil nur nuf den ersten Blick sieht, daß er mit der Reformation, die sonst wohl für alle Übel jener Zeit verantwortlich gemacht wird, in gar keinem innern Zusammenhange steht. Die Einfuhr von Gold und Silber ans dein neuentdeckten Amerika trieb die Preise aller Waaren in die Hohe die Arbeitslöhne aber blieben stehen. Freilich auch die Besoldungen; Luthers Klagen über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/397>, abgerufen am 05.02.2025.