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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Luna cula^ne

macht -- oder auch kein Vergnügen; denn wie würde sich die Ausführung
gestalten? Cauer möchte jedem die geistige Nahrung zuführen, die seiner Natur
gemäß ist. Dies ist Cauers 3unir czuiWv. Dabei denkt er aber nicht etwa
an einen Gegensatz, wie gelehrte und ungelehrte Bildung, sondern an die drei
"gleichberechtigten Gelehrtenschulen." Wie will er nnn, zum Beispiel in den
etwa 200 Städten Preußens, die überhaupt uur eine solche Schule haben,
wie will er es da anfangen, jedem die geistige Nahrung zuzuführen, die seiner
Natur gemäß ist? Cauer weiß so ergreifend zu berichten von wohlgemeinten
Regiernngsmaßregeln, die eine der gewollten schnurstracks zuwiderlaufende
Wirkung hatten. Die schönste Frucht solcher Erkenntnis, seine eignen Gedanken
zu Ende zu denken, hat er verschmäht.

Ganz ablehnen werden Cauers Vorschlag die Freunde der Einheitsschule!
das sind oder sollten sein alle, die an den Grundzügen des Gymnasiums
festhalten, doch das Bestehende weiter entwickeln wollen. Cauer hat auch das
Wohl gefühlt; darum hat er sich diese seiue besten Gegner etwas genauer an¬
gesehen -- sehr genau? das kann man nicht sagen. Ihm ist Einheitsschule
so etwas wie Allheitsschule, in der einfach alles Wissenswerte zugleich gelernt
werden soll; als wollte oder müßte die Einheitsschule gerade die Nachteile der
bestehenden Schularten in sich vereinigen. Ein klassischer Unterricht, der über
der philologischen Technik nicht den Menschen, und über zusammenfassenden
Betrachtungen nicht die allerelementarsten Handgriffe der philologischen Technik
versäumt, und wiederum: größere Entwöhnung des Schülers von Büchern
und Papier, Gewöhnung an eignes Hören und Sehen, an genaues Beobachten,
Bestimmtheit des Denkens, vor allem durch intensiverer Betrieb des mathe-
mathisch-physikalischen Unterrichts -- ja, ist denn das gleichbedeutend mit
Universalbildnug? Und ist es denn unausführbar? Wird es nicht schon im
heutigen Uuterrichtsbetrieb vielfach angestrebt, heute mehr denn je? Läßt es
sich nicht weiter versuchen, ehe man Maßregeln empfiehlt, die über kurz oder
lang all diesen schönen Anfängen ein klägliches Ende bereiten müssen? Dies
alles ist Cauern wohl hauptsächlich deshalb verschlossen geblieben, weil er sich
">in einmal auf den lateinischen Aufsatz, also auf eine technische Einzelfrage
festgebissen hatte. Der Verein, der in dem angedeuteten Sinne sich den weitern
Ausbau des Gymnasiallehrplans und die weitere Ausbildung des Lehrverfahrens
zur Aufgabe gemacht hat, muß bekämpft werden, weil er -- keine"? besondern
Wert mehr auf den lateinischen Aufsatz legt! Lieber mögen sich Realgymnasien
und Oberrealschulen in die Vorbildung zu den Fachstudien teilen, ehe man
Gymnasien aufkommen läßt ohne den lateinischen Aufsatz!

An einem kleinen Vorteil, wenn es einer ist, festhalten und großen Gewinn
Preisgebeil -- das ist nicht das Kennzeichen eines Staatsmannes, wie ihn
Cauer am Schlüsse seines Buches in so schönen Worten als den künftigen
Erretter aus allen unsern Schulnöten schildert.


Luna cula^ne

macht — oder auch kein Vergnügen; denn wie würde sich die Ausführung
gestalten? Cauer möchte jedem die geistige Nahrung zuführen, die seiner Natur
gemäß ist. Dies ist Cauers 3unir czuiWv. Dabei denkt er aber nicht etwa
an einen Gegensatz, wie gelehrte und ungelehrte Bildung, sondern an die drei
„gleichberechtigten Gelehrtenschulen." Wie will er nnn, zum Beispiel in den
etwa 200 Städten Preußens, die überhaupt uur eine solche Schule haben,
wie will er es da anfangen, jedem die geistige Nahrung zuzuführen, die seiner
Natur gemäß ist? Cauer weiß so ergreifend zu berichten von wohlgemeinten
Regiernngsmaßregeln, die eine der gewollten schnurstracks zuwiderlaufende
Wirkung hatten. Die schönste Frucht solcher Erkenntnis, seine eignen Gedanken
zu Ende zu denken, hat er verschmäht.

Ganz ablehnen werden Cauers Vorschlag die Freunde der Einheitsschule!
das sind oder sollten sein alle, die an den Grundzügen des Gymnasiums
festhalten, doch das Bestehende weiter entwickeln wollen. Cauer hat auch das
Wohl gefühlt; darum hat er sich diese seiue besten Gegner etwas genauer an¬
gesehen — sehr genau? das kann man nicht sagen. Ihm ist Einheitsschule
so etwas wie Allheitsschule, in der einfach alles Wissenswerte zugleich gelernt
werden soll; als wollte oder müßte die Einheitsschule gerade die Nachteile der
bestehenden Schularten in sich vereinigen. Ein klassischer Unterricht, der über
der philologischen Technik nicht den Menschen, und über zusammenfassenden
Betrachtungen nicht die allerelementarsten Handgriffe der philologischen Technik
versäumt, und wiederum: größere Entwöhnung des Schülers von Büchern
und Papier, Gewöhnung an eignes Hören und Sehen, an genaues Beobachten,
Bestimmtheit des Denkens, vor allem durch intensiverer Betrieb des mathe-
mathisch-physikalischen Unterrichts — ja, ist denn das gleichbedeutend mit
Universalbildnug? Und ist es denn unausführbar? Wird es nicht schon im
heutigen Uuterrichtsbetrieb vielfach angestrebt, heute mehr denn je? Läßt es
sich nicht weiter versuchen, ehe man Maßregeln empfiehlt, die über kurz oder
lang all diesen schönen Anfängen ein klägliches Ende bereiten müssen? Dies
alles ist Cauern wohl hauptsächlich deshalb verschlossen geblieben, weil er sich
">in einmal auf den lateinischen Aufsatz, also auf eine technische Einzelfrage
festgebissen hatte. Der Verein, der in dem angedeuteten Sinne sich den weitern
Ausbau des Gymnasiallehrplans und die weitere Ausbildung des Lehrverfahrens
zur Aufgabe gemacht hat, muß bekämpft werden, weil er — keine«? besondern
Wert mehr auf den lateinischen Aufsatz legt! Lieber mögen sich Realgymnasien
und Oberrealschulen in die Vorbildung zu den Fachstudien teilen, ehe man
Gymnasien aufkommen läßt ohne den lateinischen Aufsatz!

An einem kleinen Vorteil, wenn es einer ist, festhalten und großen Gewinn
Preisgebeil — das ist nicht das Kennzeichen eines Staatsmannes, wie ihn
Cauer am Schlüsse seines Buches in so schönen Worten als den künftigen
Erretter aus allen unsern Schulnöten schildert.


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[0373] Luna cula^ne macht — oder auch kein Vergnügen; denn wie würde sich die Ausführung gestalten? Cauer möchte jedem die geistige Nahrung zuführen, die seiner Natur gemäß ist. Dies ist Cauers 3unir czuiWv. Dabei denkt er aber nicht etwa an einen Gegensatz, wie gelehrte und ungelehrte Bildung, sondern an die drei „gleichberechtigten Gelehrtenschulen." Wie will er nnn, zum Beispiel in den etwa 200 Städten Preußens, die überhaupt uur eine solche Schule haben, wie will er es da anfangen, jedem die geistige Nahrung zuzuführen, die seiner Natur gemäß ist? Cauer weiß so ergreifend zu berichten von wohlgemeinten Regiernngsmaßregeln, die eine der gewollten schnurstracks zuwiderlaufende Wirkung hatten. Die schönste Frucht solcher Erkenntnis, seine eignen Gedanken zu Ende zu denken, hat er verschmäht. Ganz ablehnen werden Cauers Vorschlag die Freunde der Einheitsschule! das sind oder sollten sein alle, die an den Grundzügen des Gymnasiums festhalten, doch das Bestehende weiter entwickeln wollen. Cauer hat auch das Wohl gefühlt; darum hat er sich diese seiue besten Gegner etwas genauer an¬ gesehen — sehr genau? das kann man nicht sagen. Ihm ist Einheitsschule so etwas wie Allheitsschule, in der einfach alles Wissenswerte zugleich gelernt werden soll; als wollte oder müßte die Einheitsschule gerade die Nachteile der bestehenden Schularten in sich vereinigen. Ein klassischer Unterricht, der über der philologischen Technik nicht den Menschen, und über zusammenfassenden Betrachtungen nicht die allerelementarsten Handgriffe der philologischen Technik versäumt, und wiederum: größere Entwöhnung des Schülers von Büchern und Papier, Gewöhnung an eignes Hören und Sehen, an genaues Beobachten, Bestimmtheit des Denkens, vor allem durch intensiverer Betrieb des mathe- mathisch-physikalischen Unterrichts — ja, ist denn das gleichbedeutend mit Universalbildnug? Und ist es denn unausführbar? Wird es nicht schon im heutigen Uuterrichtsbetrieb vielfach angestrebt, heute mehr denn je? Läßt es sich nicht weiter versuchen, ehe man Maßregeln empfiehlt, die über kurz oder lang all diesen schönen Anfängen ein klägliches Ende bereiten müssen? Dies alles ist Cauern wohl hauptsächlich deshalb verschlossen geblieben, weil er sich ">in einmal auf den lateinischen Aufsatz, also auf eine technische Einzelfrage festgebissen hatte. Der Verein, der in dem angedeuteten Sinne sich den weitern Ausbau des Gymnasiallehrplans und die weitere Ausbildung des Lehrverfahrens zur Aufgabe gemacht hat, muß bekämpft werden, weil er — keine«? besondern Wert mehr auf den lateinischen Aufsatz legt! Lieber mögen sich Realgymnasien und Oberrealschulen in die Vorbildung zu den Fachstudien teilen, ehe man Gymnasien aufkommen läßt ohne den lateinischen Aufsatz! An einem kleinen Vorteil, wenn es einer ist, festhalten und großen Gewinn Preisgebeil — das ist nicht das Kennzeichen eines Staatsmannes, wie ihn Cauer am Schlüsse seines Buches in so schönen Worten als den künftigen Erretter aus allen unsern Schulnöten schildert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/373>, abgerufen am 05.02.2025.