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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Das alte Dorf in deutscher Tandschaft und sein Lüde

ist, nur im Westen der Zuhdersee, nicht im Osten, und die Tiroler, wieder
mit Ausnahme der Zillerthaler. Der gemeine Friese betrachtet sich bis auf
den heutigen Tag als etwas Besondres und spricht von einem zugewanderten
"deutschen Knecht," und die tiroler Reinlichkeit die Wohl im Etschlande
gipfelt, weist vielleicht auf skandinavisches (gothisches) Blut, wie denn außer
den Friesen und Tirolern die Schweden wohl das einzige germanische Volk
sind, dem die Reinlichkeit wirklich im Blute steckt. Beiläufig sei bemerkt, daß
diese Reinlichkeit ihre unübertroffene Höhe in der von aller Zivilisation ent¬
legensten und ärmsten Gegend Schwedens findet, unter den Bauern der Land¬
schaft Dalarne, den "Thalberten" (Dalekarliern), die, wenn sie von der Feld¬
arbeit nach Hause tourner, alltäglich, bevor sie zu Mittag sich niedersetzen,
nicht nur die Hände, sondern auch die Füße in einem großen, zu diesem
Zweck auf den Hof gestellte" Kübel abwaschen - ein für unsern hessischen
oder lippischeu Bauer, wenn er es sehen könnte, verblüffender Anblick! Sogar
hinter eniigen slawischen Stämmen, wie Slowenen und Bulgaren, steht unser
Bauer in diesem Punkte weit zurück, wie jeder bezeugen kann, der, wenn er
von Steiermark über Kärnten nach Kram wandert, nach dem schmutzigen, ja
unflätigen Kärntner Dirndle der bildsauberen slowenischen äslillvö ansichtig wird.

Die Reinlichkeit ist dem deutschen Bauer nicht angeboren, sondern erst
anerzogen. Was ihm aber angeboren ist und tief im Blute steckt, das ist
seine Wirklichkeit, das heißt der Sinn für Ordnung und Behagen, der stete
Trieb, es vorwärts zu bringen, und zwar nicht bloß, um, wie etwa der geizige
Bulgare, seinen Geldbeutel zu füllen, sondern auch, um die Besserung seiner
Verhältnisse seiner Wirtschaft zu gute kommen zu lassen und in einer be¬
häbigen Einrichtung von Haus und Hof zur Erscheinung zu bringen. Unser
Bauer ist ein guter Wirt, er hält darauf, daß alles "ordentlich" und "recht¬
lich" zugeht und ausschaut, daß das ganze Anwesen stets in Bau und Besse¬
rung gehalten wird, wie es sich gehört; er duldet keine zerbrochenen Fenster-
scheiben, keinen abbröckelnden Lehmbewnrf, er sorgt dafür, daß der Anstrich
des Hauses rechtzeitig erneut werde, er kann es nicht leiden, daß sein Hof
den Eindruck eines zerlumpte" Vagabunden macht, der von der Hand in den
Mund lebt, statt den eines anständigen Menschen, der stets auch bei der
Arbeit einen ganzen Rock an hat. Man findet in den deutscheu Dörfern keine
ruinenhaften Häuser mit klaffenden Spalten und Fensterlocheru, aus denen
das Grauen scheint, wie in Italien, und keine Strohdächer, die aussehen, als
wäre das Stroh mit der Heugabel hinauf geworfen, wie an manchen Orten
in Rußland; der schlagendste Beweis aber für die Überlegenheit unsrer Bauern
über alle Romanen und Slawen in Hinsicht der Wirklichkeit ist in der allbe¬
kannten Thatsache gegeben, daß es bei uns in dem elendesten Häuschen ein
Ding, eine Vorrichtung giebt, deren Wert man erst da schmerzlich empfindet,
wo man sie nicht hat -- einen Abtritt. Diese Eigenschast der Wirklichkeit


Grenzboten U 18L9 46
Das alte Dorf in deutscher Tandschaft und sein Lüde

ist, nur im Westen der Zuhdersee, nicht im Osten, und die Tiroler, wieder
mit Ausnahme der Zillerthaler. Der gemeine Friese betrachtet sich bis auf
den heutigen Tag als etwas Besondres und spricht von einem zugewanderten
„deutschen Knecht," und die tiroler Reinlichkeit die Wohl im Etschlande
gipfelt, weist vielleicht auf skandinavisches (gothisches) Blut, wie denn außer
den Friesen und Tirolern die Schweden wohl das einzige germanische Volk
sind, dem die Reinlichkeit wirklich im Blute steckt. Beiläufig sei bemerkt, daß
diese Reinlichkeit ihre unübertroffene Höhe in der von aller Zivilisation ent¬
legensten und ärmsten Gegend Schwedens findet, unter den Bauern der Land¬
schaft Dalarne, den „Thalberten" (Dalekarliern), die, wenn sie von der Feld¬
arbeit nach Hause tourner, alltäglich, bevor sie zu Mittag sich niedersetzen,
nicht nur die Hände, sondern auch die Füße in einem großen, zu diesem
Zweck auf den Hof gestellte» Kübel abwaschen - ein für unsern hessischen
oder lippischeu Bauer, wenn er es sehen könnte, verblüffender Anblick! Sogar
hinter eniigen slawischen Stämmen, wie Slowenen und Bulgaren, steht unser
Bauer in diesem Punkte weit zurück, wie jeder bezeugen kann, der, wenn er
von Steiermark über Kärnten nach Kram wandert, nach dem schmutzigen, ja
unflätigen Kärntner Dirndle der bildsauberen slowenischen äslillvö ansichtig wird.

Die Reinlichkeit ist dem deutschen Bauer nicht angeboren, sondern erst
anerzogen. Was ihm aber angeboren ist und tief im Blute steckt, das ist
seine Wirklichkeit, das heißt der Sinn für Ordnung und Behagen, der stete
Trieb, es vorwärts zu bringen, und zwar nicht bloß, um, wie etwa der geizige
Bulgare, seinen Geldbeutel zu füllen, sondern auch, um die Besserung seiner
Verhältnisse seiner Wirtschaft zu gute kommen zu lassen und in einer be¬
häbigen Einrichtung von Haus und Hof zur Erscheinung zu bringen. Unser
Bauer ist ein guter Wirt, er hält darauf, daß alles „ordentlich" und „recht¬
lich" zugeht und ausschaut, daß das ganze Anwesen stets in Bau und Besse¬
rung gehalten wird, wie es sich gehört; er duldet keine zerbrochenen Fenster-
scheiben, keinen abbröckelnden Lehmbewnrf, er sorgt dafür, daß der Anstrich
des Hauses rechtzeitig erneut werde, er kann es nicht leiden, daß sein Hof
den Eindruck eines zerlumpte» Vagabunden macht, der von der Hand in den
Mund lebt, statt den eines anständigen Menschen, der stets auch bei der
Arbeit einen ganzen Rock an hat. Man findet in den deutscheu Dörfern keine
ruinenhaften Häuser mit klaffenden Spalten und Fensterlocheru, aus denen
das Grauen scheint, wie in Italien, und keine Strohdächer, die aussehen, als
wäre das Stroh mit der Heugabel hinauf geworfen, wie an manchen Orten
in Rußland; der schlagendste Beweis aber für die Überlegenheit unsrer Bauern
über alle Romanen und Slawen in Hinsicht der Wirklichkeit ist in der allbe¬
kannten Thatsache gegeben, daß es bei uns in dem elendesten Häuschen ein
Ding, eine Vorrichtung giebt, deren Wert man erst da schmerzlich empfindet,
wo man sie nicht hat — einen Abtritt. Diese Eigenschast der Wirklichkeit


Grenzboten U 18L9 46
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[0369] Das alte Dorf in deutscher Tandschaft und sein Lüde ist, nur im Westen der Zuhdersee, nicht im Osten, und die Tiroler, wieder mit Ausnahme der Zillerthaler. Der gemeine Friese betrachtet sich bis auf den heutigen Tag als etwas Besondres und spricht von einem zugewanderten „deutschen Knecht," und die tiroler Reinlichkeit die Wohl im Etschlande gipfelt, weist vielleicht auf skandinavisches (gothisches) Blut, wie denn außer den Friesen und Tirolern die Schweden wohl das einzige germanische Volk sind, dem die Reinlichkeit wirklich im Blute steckt. Beiläufig sei bemerkt, daß diese Reinlichkeit ihre unübertroffene Höhe in der von aller Zivilisation ent¬ legensten und ärmsten Gegend Schwedens findet, unter den Bauern der Land¬ schaft Dalarne, den „Thalberten" (Dalekarliern), die, wenn sie von der Feld¬ arbeit nach Hause tourner, alltäglich, bevor sie zu Mittag sich niedersetzen, nicht nur die Hände, sondern auch die Füße in einem großen, zu diesem Zweck auf den Hof gestellte» Kübel abwaschen - ein für unsern hessischen oder lippischeu Bauer, wenn er es sehen könnte, verblüffender Anblick! Sogar hinter eniigen slawischen Stämmen, wie Slowenen und Bulgaren, steht unser Bauer in diesem Punkte weit zurück, wie jeder bezeugen kann, der, wenn er von Steiermark über Kärnten nach Kram wandert, nach dem schmutzigen, ja unflätigen Kärntner Dirndle der bildsauberen slowenischen äslillvö ansichtig wird. Die Reinlichkeit ist dem deutschen Bauer nicht angeboren, sondern erst anerzogen. Was ihm aber angeboren ist und tief im Blute steckt, das ist seine Wirklichkeit, das heißt der Sinn für Ordnung und Behagen, der stete Trieb, es vorwärts zu bringen, und zwar nicht bloß, um, wie etwa der geizige Bulgare, seinen Geldbeutel zu füllen, sondern auch, um die Besserung seiner Verhältnisse seiner Wirtschaft zu gute kommen zu lassen und in einer be¬ häbigen Einrichtung von Haus und Hof zur Erscheinung zu bringen. Unser Bauer ist ein guter Wirt, er hält darauf, daß alles „ordentlich" und „recht¬ lich" zugeht und ausschaut, daß das ganze Anwesen stets in Bau und Besse¬ rung gehalten wird, wie es sich gehört; er duldet keine zerbrochenen Fenster- scheiben, keinen abbröckelnden Lehmbewnrf, er sorgt dafür, daß der Anstrich des Hauses rechtzeitig erneut werde, er kann es nicht leiden, daß sein Hof den Eindruck eines zerlumpte» Vagabunden macht, der von der Hand in den Mund lebt, statt den eines anständigen Menschen, der stets auch bei der Arbeit einen ganzen Rock an hat. Man findet in den deutscheu Dörfern keine ruinenhaften Häuser mit klaffenden Spalten und Fensterlocheru, aus denen das Grauen scheint, wie in Italien, und keine Strohdächer, die aussehen, als wäre das Stroh mit der Heugabel hinauf geworfen, wie an manchen Orten in Rußland; der schlagendste Beweis aber für die Überlegenheit unsrer Bauern über alle Romanen und Slawen in Hinsicht der Wirklichkeit ist in der allbe¬ kannten Thatsache gegeben, daß es bei uns in dem elendesten Häuschen ein Ding, eine Vorrichtung giebt, deren Wert man erst da schmerzlich empfindet, wo man sie nicht hat — einen Abtritt. Diese Eigenschast der Wirklichkeit Grenzboten U 18L9 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/369>, abgerufen am 05.02.2025.