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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende

ganz ähnlicher Weise etwa ein halbes Jahrtausend später in England geschehen
ist, und wo infolge dessen eine Lntifnndienwirtschaft das Land überzog, die
an die Stelle des alten Dorfes, des viens, die vitis,, den Frohnhof, setzte und
die Bauern durch eine Herde zusammengekauften und in elende Hütten ein¬
gepferchten Sklavengesindels verdrängte. Erst die fürchterlichen Verwüstungs-
züge nordischer, germanischer Barbaren, die seit den Markomannenkriegen mit
einer gewissen Regelmäßigkeit einander folgten und kaum mit dem Zusammen¬
bräche des römischen Reiches endeten, schufen hier Wandel. Wie sie zunächst
in Norditnlien den Raum offen legten für einen völlig neuen Anbau, der
unter starker Beteiligung germanischer Bauern vor sich ging -- die Dorfraum
germanischen Ursprungs, wie N^rsngo Meriug, (ri8lllr<zngo Geiselhöring u. s. f.
gehen in die Hunderte, und noch in der zweiten Hälfte des Mittelalters wurde
in Verona und Vieenza eimbrisch, d. h. deutsch gesprochen so mußten auch
im Süden der Halbinsel die von den germanischen Eroberern mitgebrachte"
milderen oder doch anders gearteten wirtschaftlichen Anschauungen zusammen
mit dein immer zunehmenden Menschenmangel einen starken Druck auf die
pe>W"880r"Z8 und späteren Äg'mori ausüben, der auch hier dazu führte, daß um
die Stelle von Sklaven ohne Hans und Hof Pächter, also Bauern, traten.
Hier wie dort aber mußte diese in ihrer Art einzige Umwälzung ihren sicht¬
lichen Ausdruck in dem Wiedererscheinen von wirklichen Bauerndörfern finden,
für deren Anlage und Aufbau jedoch weniger alte Überlieferungen und feste
Gesetze als allerhand Zufälligkeiten und Willkür bestimmend sein konnten. In
einigen Gegenden Italiens aber finden wir gar keine Dörfer; die das ganze
Mittelalter hindurch und infolge des Näuberwesens selbst bis ans den heutigen
Tag andauernde Unsicherheit des flachen Landes hat es mit sich gebracht,
daß die Bauern, wie z. B. in Kalabrien, sich in Städte und Märkte zurück¬
gezogen haben, um von hier aus, unter großen Weitläufigkeiten, das flache
Land zu bebauen. In ähnlicher Weise griff anch in den andern beiden roma¬
nischen Ländern unter dem Einfluß germanischer Eroberung eine vollständige
Neubildung der Gesellschaft bis unten hinab Platz, die dann in Spanien zu
allem Überfluß durch den Einbruch der Mauren noch einmal gründlich über
deu Haufen geworfen wurde. Daß unter solchen Umständen ans romanischer
Seite von irgend einer auf altnationale Gewohnheiten zurückgehenden Gleich¬
mäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Dorfanlage und der Besicdlungsform über¬
haupt nicht die Rede sein kann, ist selbstverständlich.

So stark die Gegensätze sind, die gerade zwischen den romanischen und
slawischen Verhältnissen eintraten -- lang und wechselvoll die Geschichte der
bäuerlichen Ansiedlungen dort, kurz und inhaltlos hier --, so berühren sich
doch auch hier die Extreme und zeigen in einem Punkte in Bezug auf die
äußere Erscheinung der Dörfer ein annähernd entsprechendes Bild. Schon
Taeitus setzt die Eigentümlichkeit der deutschen Dörfer dahin, daß darin die


Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende

ganz ähnlicher Weise etwa ein halbes Jahrtausend später in England geschehen
ist, und wo infolge dessen eine Lntifnndienwirtschaft das Land überzog, die
an die Stelle des alten Dorfes, des viens, die vitis,, den Frohnhof, setzte und
die Bauern durch eine Herde zusammengekauften und in elende Hütten ein¬
gepferchten Sklavengesindels verdrängte. Erst die fürchterlichen Verwüstungs-
züge nordischer, germanischer Barbaren, die seit den Markomannenkriegen mit
einer gewissen Regelmäßigkeit einander folgten und kaum mit dem Zusammen¬
bräche des römischen Reiches endeten, schufen hier Wandel. Wie sie zunächst
in Norditnlien den Raum offen legten für einen völlig neuen Anbau, der
unter starker Beteiligung germanischer Bauern vor sich ging — die Dorfraum
germanischen Ursprungs, wie N^rsngo Meriug, (ri8lllr<zngo Geiselhöring u. s. f.
gehen in die Hunderte, und noch in der zweiten Hälfte des Mittelalters wurde
in Verona und Vieenza eimbrisch, d. h. deutsch gesprochen so mußten auch
im Süden der Halbinsel die von den germanischen Eroberern mitgebrachte»
milderen oder doch anders gearteten wirtschaftlichen Anschauungen zusammen
mit dein immer zunehmenden Menschenmangel einen starken Druck auf die
pe>W«880r«Z8 und späteren Äg'mori ausüben, der auch hier dazu führte, daß um
die Stelle von Sklaven ohne Hans und Hof Pächter, also Bauern, traten.
Hier wie dort aber mußte diese in ihrer Art einzige Umwälzung ihren sicht¬
lichen Ausdruck in dem Wiedererscheinen von wirklichen Bauerndörfern finden,
für deren Anlage und Aufbau jedoch weniger alte Überlieferungen und feste
Gesetze als allerhand Zufälligkeiten und Willkür bestimmend sein konnten. In
einigen Gegenden Italiens aber finden wir gar keine Dörfer; die das ganze
Mittelalter hindurch und infolge des Näuberwesens selbst bis ans den heutigen
Tag andauernde Unsicherheit des flachen Landes hat es mit sich gebracht,
daß die Bauern, wie z. B. in Kalabrien, sich in Städte und Märkte zurück¬
gezogen haben, um von hier aus, unter großen Weitläufigkeiten, das flache
Land zu bebauen. In ähnlicher Weise griff anch in den andern beiden roma¬
nischen Ländern unter dem Einfluß germanischer Eroberung eine vollständige
Neubildung der Gesellschaft bis unten hinab Platz, die dann in Spanien zu
allem Überfluß durch den Einbruch der Mauren noch einmal gründlich über
deu Haufen geworfen wurde. Daß unter solchen Umständen ans romanischer
Seite von irgend einer auf altnationale Gewohnheiten zurückgehenden Gleich¬
mäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Dorfanlage und der Besicdlungsform über¬
haupt nicht die Rede sein kann, ist selbstverständlich.

So stark die Gegensätze sind, die gerade zwischen den romanischen und
slawischen Verhältnissen eintraten — lang und wechselvoll die Geschichte der
bäuerlichen Ansiedlungen dort, kurz und inhaltlos hier —, so berühren sich
doch auch hier die Extreme und zeigen in einem Punkte in Bezug auf die
äußere Erscheinung der Dörfer ein annähernd entsprechendes Bild. Schon
Taeitus setzt die Eigentümlichkeit der deutschen Dörfer dahin, daß darin die


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[0268] Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende ganz ähnlicher Weise etwa ein halbes Jahrtausend später in England geschehen ist, und wo infolge dessen eine Lntifnndienwirtschaft das Land überzog, die an die Stelle des alten Dorfes, des viens, die vitis,, den Frohnhof, setzte und die Bauern durch eine Herde zusammengekauften und in elende Hütten ein¬ gepferchten Sklavengesindels verdrängte. Erst die fürchterlichen Verwüstungs- züge nordischer, germanischer Barbaren, die seit den Markomannenkriegen mit einer gewissen Regelmäßigkeit einander folgten und kaum mit dem Zusammen¬ bräche des römischen Reiches endeten, schufen hier Wandel. Wie sie zunächst in Norditnlien den Raum offen legten für einen völlig neuen Anbau, der unter starker Beteiligung germanischer Bauern vor sich ging — die Dorfraum germanischen Ursprungs, wie N^rsngo Meriug, (ri8lllr<zngo Geiselhöring u. s. f. gehen in die Hunderte, und noch in der zweiten Hälfte des Mittelalters wurde in Verona und Vieenza eimbrisch, d. h. deutsch gesprochen so mußten auch im Süden der Halbinsel die von den germanischen Eroberern mitgebrachte» milderen oder doch anders gearteten wirtschaftlichen Anschauungen zusammen mit dein immer zunehmenden Menschenmangel einen starken Druck auf die pe>W«880r«Z8 und späteren Äg'mori ausüben, der auch hier dazu führte, daß um die Stelle von Sklaven ohne Hans und Hof Pächter, also Bauern, traten. Hier wie dort aber mußte diese in ihrer Art einzige Umwälzung ihren sicht¬ lichen Ausdruck in dem Wiedererscheinen von wirklichen Bauerndörfern finden, für deren Anlage und Aufbau jedoch weniger alte Überlieferungen und feste Gesetze als allerhand Zufälligkeiten und Willkür bestimmend sein konnten. In einigen Gegenden Italiens aber finden wir gar keine Dörfer; die das ganze Mittelalter hindurch und infolge des Näuberwesens selbst bis ans den heutigen Tag andauernde Unsicherheit des flachen Landes hat es mit sich gebracht, daß die Bauern, wie z. B. in Kalabrien, sich in Städte und Märkte zurück¬ gezogen haben, um von hier aus, unter großen Weitläufigkeiten, das flache Land zu bebauen. In ähnlicher Weise griff anch in den andern beiden roma¬ nischen Ländern unter dem Einfluß germanischer Eroberung eine vollständige Neubildung der Gesellschaft bis unten hinab Platz, die dann in Spanien zu allem Überfluß durch den Einbruch der Mauren noch einmal gründlich über deu Haufen geworfen wurde. Daß unter solchen Umständen ans romanischer Seite von irgend einer auf altnationale Gewohnheiten zurückgehenden Gleich¬ mäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Dorfanlage und der Besicdlungsform über¬ haupt nicht die Rede sein kann, ist selbstverständlich. So stark die Gegensätze sind, die gerade zwischen den romanischen und slawischen Verhältnissen eintraten — lang und wechselvoll die Geschichte der bäuerlichen Ansiedlungen dort, kurz und inhaltlos hier —, so berühren sich doch auch hier die Extreme und zeigen in einem Punkte in Bezug auf die äußere Erscheinung der Dörfer ein annähernd entsprechendes Bild. Schon Taeitus setzt die Eigentümlichkeit der deutschen Dörfer dahin, daß darin die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/268>, abgerufen am 05.02.2025.