Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsches Aolonialrecht

an Stengels Werk wollen wir im Folgenden einen kurzen Überblick über das
Wissenswerteste des deutschen Kvlonialrechts geben.

Wer über Kolvninlrecht schreiben will, muß zunächst den Begriff Kolonie
feststellen. Wir sprechen von dentschen Kolonien in Rußland, Brasilien u. s. w.
in dem Sinne, daß von dein dentschen Bolle ein Teil nnswnndert und in
fremden Ländern in kleinern oder größern Vereinigungen seßhaft wird. Dieser
ethnographische Begriff des Wortes Kolonie ist von dem rechtlichen Begriffe
verschieden. Eine Kolonie im rechtlichen Sinne ist nur vorhanden, wenn ein
Gebiet, wo Angehörige eines Staates wohnen, in eine Staats- oder völker¬
rechtliche Abhängigkeit zum Mutterlande gebracht wird. Hinsichtlich der
Erwerbung ist zu unterscheiden die Neubegründung einer Kolonie und die
Erwerbung einer bestehenden von einem fremden Staate. Zur Neubegründung
einer Kolonie sind verschiedene Umstände rechtlich erforderlich. Zunächst genügt
nicht die Besitzergreifung eines Gebietes durch Private oder Gesellschaften,
sondern ein Staat muß die Herrschaft begründen über ein bisher herrenloses
Stück Land. Der Begriff der Herrenlosigkeit im Privntrecht und im Völker¬
recht ist durchaus verschieden. Böllerrechtlich herrenlos ist ein Gebiet, das
noch nicht unter der Herrschaft eines in die völkerrechtliche Gemeinschaft auf-
genommenen Staates steht. Die völkerrechtliche Gemeinschaft bilden zunächst
die christlichen Staaten und einige nichtchristliche, wie China, Japan, die
Türkei, Persien u. s. w., mit denen die erstern einen diplomatisch-völkerrecht¬
lichen Verkehr unterhalten. Sodann ist für die Neuerwerbung einer Kolonie
die Möglichkeit der thatsächlichen Beherrschbarkeit zu fordern. Daher ist es
z. B. ohne rechtliche Wirksamkeit, einen Teil des Weltmeeres mit den darin
liegenden Inseln zu oktupireu. Diese Möglichkeit, die Vesitzergreisnng zu be¬
haupten, wird als notwendiges Element zur Erwerbung einer Kolonie, besonders
seit der Kongoakte vom 26. Februar allgemein anerkannt. Das bloße
"Flnggenhissen" auf weiten Strecken genügt somit keineswegs, sondern es muß
eine Obrigkeit geschaffen werden, die Leben und Eigentum in der Kolonie
sichert. Die Erwerbung bestehender Kolonien geschieht durch Vertrag oder
Ererbung, zwei Fälle, von denen nur der erstere für kleine Gebietsstrecken im
deutschen Kolonialrecht bisher praktisch geworden ist. Bei den dentschen
Kolonien ist im wesentlichen also nur der Fall der Neubegründnng ins Auge
zu fassen, und daß bei der Erwerbung derselben die vorgenannten Grundsätze,
die nu einzelnen freilich wieder bei der Praxis sehr verschiedenartige Folgen
haben, gewahrt sind, weist Stengel näher nach.

Was die öffentlich-rechtliche Stellung der deutschen Kolonien anlangt, so
wirft Stengel die Frage uns, ob die Kolonien unter der Souveränität des
dentschen Reiches stehen oder nnr in einem. Protektoratsverhältnis. Diese
schwierige Frage entscheidet er in längerer Ausführung, in der wir überall
die sichere Hand eines den Stoff völlig beherrschenden Mannes erkennen, dahin,


Deutsches Aolonialrecht

an Stengels Werk wollen wir im Folgenden einen kurzen Überblick über das
Wissenswerteste des deutschen Kvlonialrechts geben.

Wer über Kolvninlrecht schreiben will, muß zunächst den Begriff Kolonie
feststellen. Wir sprechen von dentschen Kolonien in Rußland, Brasilien u. s. w.
in dem Sinne, daß von dein dentschen Bolle ein Teil nnswnndert und in
fremden Ländern in kleinern oder größern Vereinigungen seßhaft wird. Dieser
ethnographische Begriff des Wortes Kolonie ist von dem rechtlichen Begriffe
verschieden. Eine Kolonie im rechtlichen Sinne ist nur vorhanden, wenn ein
Gebiet, wo Angehörige eines Staates wohnen, in eine Staats- oder völker¬
rechtliche Abhängigkeit zum Mutterlande gebracht wird. Hinsichtlich der
Erwerbung ist zu unterscheiden die Neubegründung einer Kolonie und die
Erwerbung einer bestehenden von einem fremden Staate. Zur Neubegründung
einer Kolonie sind verschiedene Umstände rechtlich erforderlich. Zunächst genügt
nicht die Besitzergreifung eines Gebietes durch Private oder Gesellschaften,
sondern ein Staat muß die Herrschaft begründen über ein bisher herrenloses
Stück Land. Der Begriff der Herrenlosigkeit im Privntrecht und im Völker¬
recht ist durchaus verschieden. Böllerrechtlich herrenlos ist ein Gebiet, das
noch nicht unter der Herrschaft eines in die völkerrechtliche Gemeinschaft auf-
genommenen Staates steht. Die völkerrechtliche Gemeinschaft bilden zunächst
die christlichen Staaten und einige nichtchristliche, wie China, Japan, die
Türkei, Persien u. s. w., mit denen die erstern einen diplomatisch-völkerrecht¬
lichen Verkehr unterhalten. Sodann ist für die Neuerwerbung einer Kolonie
die Möglichkeit der thatsächlichen Beherrschbarkeit zu fordern. Daher ist es
z. B. ohne rechtliche Wirksamkeit, einen Teil des Weltmeeres mit den darin
liegenden Inseln zu oktupireu. Diese Möglichkeit, die Vesitzergreisnng zu be¬
haupten, wird als notwendiges Element zur Erwerbung einer Kolonie, besonders
seit der Kongoakte vom 26. Februar allgemein anerkannt. Das bloße
„Flnggenhissen" auf weiten Strecken genügt somit keineswegs, sondern es muß
eine Obrigkeit geschaffen werden, die Leben und Eigentum in der Kolonie
sichert. Die Erwerbung bestehender Kolonien geschieht durch Vertrag oder
Ererbung, zwei Fälle, von denen nur der erstere für kleine Gebietsstrecken im
deutschen Kolonialrecht bisher praktisch geworden ist. Bei den dentschen
Kolonien ist im wesentlichen also nur der Fall der Neubegründnng ins Auge
zu fassen, und daß bei der Erwerbung derselben die vorgenannten Grundsätze,
die nu einzelnen freilich wieder bei der Praxis sehr verschiedenartige Folgen
haben, gewahrt sind, weist Stengel näher nach.

Was die öffentlich-rechtliche Stellung der deutschen Kolonien anlangt, so
wirft Stengel die Frage uns, ob die Kolonien unter der Souveränität des
dentschen Reiches stehen oder nnr in einem. Protektoratsverhältnis. Diese
schwierige Frage entscheidet er in längerer Ausführung, in der wir überall
die sichere Hand eines den Stoff völlig beherrschenden Mannes erkennen, dahin,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0211" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204942"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsches Aolonialrecht</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_524" prev="#ID_523"> an Stengels Werk wollen wir im Folgenden einen kurzen Überblick über das<lb/>
Wissenswerteste des deutschen Kvlonialrechts geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_525"> Wer über Kolvninlrecht schreiben will, muß zunächst den Begriff Kolonie<lb/>
feststellen. Wir sprechen von dentschen Kolonien in Rußland, Brasilien u. s. w.<lb/>
in dem Sinne, daß von dein dentschen Bolle ein Teil nnswnndert und in<lb/>
fremden Ländern in kleinern oder größern Vereinigungen seßhaft wird. Dieser<lb/>
ethnographische Begriff des Wortes Kolonie ist von dem rechtlichen Begriffe<lb/>
verschieden. Eine Kolonie im rechtlichen Sinne ist nur vorhanden, wenn ein<lb/>
Gebiet, wo Angehörige eines Staates wohnen, in eine Staats- oder völker¬<lb/>
rechtliche Abhängigkeit zum Mutterlande gebracht wird. Hinsichtlich der<lb/>
Erwerbung ist zu unterscheiden die Neubegründung einer Kolonie und die<lb/>
Erwerbung einer bestehenden von einem fremden Staate. Zur Neubegründung<lb/>
einer Kolonie sind verschiedene Umstände rechtlich erforderlich. Zunächst genügt<lb/>
nicht die Besitzergreifung eines Gebietes durch Private oder Gesellschaften,<lb/>
sondern ein Staat muß die Herrschaft begründen über ein bisher herrenloses<lb/>
Stück Land. Der Begriff der Herrenlosigkeit im Privntrecht und im Völker¬<lb/>
recht ist durchaus verschieden. Böllerrechtlich herrenlos ist ein Gebiet, das<lb/>
noch nicht unter der Herrschaft eines in die völkerrechtliche Gemeinschaft auf-<lb/>
genommenen Staates steht. Die völkerrechtliche Gemeinschaft bilden zunächst<lb/>
die christlichen Staaten und einige nichtchristliche, wie China, Japan, die<lb/>
Türkei, Persien u. s. w., mit denen die erstern einen diplomatisch-völkerrecht¬<lb/>
lichen Verkehr unterhalten. Sodann ist für die Neuerwerbung einer Kolonie<lb/>
die Möglichkeit der thatsächlichen Beherrschbarkeit zu fordern. Daher ist es<lb/>
z. B. ohne rechtliche Wirksamkeit, einen Teil des Weltmeeres mit den darin<lb/>
liegenden Inseln zu oktupireu. Diese Möglichkeit, die Vesitzergreisnng zu be¬<lb/>
haupten, wird als notwendiges Element zur Erwerbung einer Kolonie, besonders<lb/>
seit der Kongoakte vom 26. Februar allgemein anerkannt.  Das bloße<lb/>
&#x201E;Flnggenhissen" auf weiten Strecken genügt somit keineswegs, sondern es muß<lb/>
eine Obrigkeit geschaffen werden, die Leben und Eigentum in der Kolonie<lb/>
sichert. Die Erwerbung bestehender Kolonien geschieht durch Vertrag oder<lb/>
Ererbung, zwei Fälle, von denen nur der erstere für kleine Gebietsstrecken im<lb/>
deutschen Kolonialrecht bisher praktisch geworden ist. Bei den dentschen<lb/>
Kolonien ist im wesentlichen also nur der Fall der Neubegründnng ins Auge<lb/>
zu fassen, und daß bei der Erwerbung derselben die vorgenannten Grundsätze,<lb/>
die nu einzelnen freilich wieder bei der Praxis sehr verschiedenartige Folgen<lb/>
haben, gewahrt sind, weist Stengel näher nach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_526" next="#ID_527"> Was die öffentlich-rechtliche Stellung der deutschen Kolonien anlangt, so<lb/>
wirft Stengel die Frage uns, ob die Kolonien unter der Souveränität des<lb/>
dentschen Reiches stehen oder nnr in einem. Protektoratsverhältnis. Diese<lb/>
schwierige Frage entscheidet er in längerer Ausführung, in der wir überall<lb/>
die sichere Hand eines den Stoff völlig beherrschenden Mannes erkennen, dahin,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0211] Deutsches Aolonialrecht an Stengels Werk wollen wir im Folgenden einen kurzen Überblick über das Wissenswerteste des deutschen Kvlonialrechts geben. Wer über Kolvninlrecht schreiben will, muß zunächst den Begriff Kolonie feststellen. Wir sprechen von dentschen Kolonien in Rußland, Brasilien u. s. w. in dem Sinne, daß von dein dentschen Bolle ein Teil nnswnndert und in fremden Ländern in kleinern oder größern Vereinigungen seßhaft wird. Dieser ethnographische Begriff des Wortes Kolonie ist von dem rechtlichen Begriffe verschieden. Eine Kolonie im rechtlichen Sinne ist nur vorhanden, wenn ein Gebiet, wo Angehörige eines Staates wohnen, in eine Staats- oder völker¬ rechtliche Abhängigkeit zum Mutterlande gebracht wird. Hinsichtlich der Erwerbung ist zu unterscheiden die Neubegründung einer Kolonie und die Erwerbung einer bestehenden von einem fremden Staate. Zur Neubegründung einer Kolonie sind verschiedene Umstände rechtlich erforderlich. Zunächst genügt nicht die Besitzergreifung eines Gebietes durch Private oder Gesellschaften, sondern ein Staat muß die Herrschaft begründen über ein bisher herrenloses Stück Land. Der Begriff der Herrenlosigkeit im Privntrecht und im Völker¬ recht ist durchaus verschieden. Böllerrechtlich herrenlos ist ein Gebiet, das noch nicht unter der Herrschaft eines in die völkerrechtliche Gemeinschaft auf- genommenen Staates steht. Die völkerrechtliche Gemeinschaft bilden zunächst die christlichen Staaten und einige nichtchristliche, wie China, Japan, die Türkei, Persien u. s. w., mit denen die erstern einen diplomatisch-völkerrecht¬ lichen Verkehr unterhalten. Sodann ist für die Neuerwerbung einer Kolonie die Möglichkeit der thatsächlichen Beherrschbarkeit zu fordern. Daher ist es z. B. ohne rechtliche Wirksamkeit, einen Teil des Weltmeeres mit den darin liegenden Inseln zu oktupireu. Diese Möglichkeit, die Vesitzergreisnng zu be¬ haupten, wird als notwendiges Element zur Erwerbung einer Kolonie, besonders seit der Kongoakte vom 26. Februar allgemein anerkannt. Das bloße „Flnggenhissen" auf weiten Strecken genügt somit keineswegs, sondern es muß eine Obrigkeit geschaffen werden, die Leben und Eigentum in der Kolonie sichert. Die Erwerbung bestehender Kolonien geschieht durch Vertrag oder Ererbung, zwei Fälle, von denen nur der erstere für kleine Gebietsstrecken im deutschen Kolonialrecht bisher praktisch geworden ist. Bei den dentschen Kolonien ist im wesentlichen also nur der Fall der Neubegründnng ins Auge zu fassen, und daß bei der Erwerbung derselben die vorgenannten Grundsätze, die nu einzelnen freilich wieder bei der Praxis sehr verschiedenartige Folgen haben, gewahrt sind, weist Stengel näher nach. Was die öffentlich-rechtliche Stellung der deutschen Kolonien anlangt, so wirft Stengel die Frage uns, ob die Kolonien unter der Souveränität des dentschen Reiches stehen oder nnr in einem. Protektoratsverhältnis. Diese schwierige Frage entscheidet er in längerer Ausführung, in der wir überall die sichere Hand eines den Stoff völlig beherrschenden Mannes erkennen, dahin,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/211
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/211>, abgerufen am 05.02.2025.