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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Litteratur

schrieb er die glühendsten Liebesbriefe, beschwur Karolinen, auszuharren und lehnte
jedes Angebot der Freiheit, jedes Ansinnen, das Verlobungsversprechen zurückzugeben,
leidenschaftlich ab. Er war sich nicht klar über sich selbst. Es wurden ihm Liebe¬
leien mit andern Schönen nachgewiesen, aber Karolinen gab er nicht frei. Eine
Art von Stolz mochte ihn treiben, das einmal gegebene Versprechen um jeden
Preis einzulösen, und er verbarg vor sich selbst den innern Brief mit seiner Jugend¬
liebe. Dieses unerquickliche Verhältnis dauerte mehr als sieben Jahre (1832-- 1810).
Lina, die als eine sehr schöne und sehr feine Gestalt (wie aus einer Storm'scheu
Novelle, bemerkt die Erzählerin) geschildert wird, litt unsäglich unter dieser Halb¬
heit Freiligraths, bis sie sich schließlich im Sommer 1840 zu einem entschiedenen
Schritt aufraffte und endgiltig den Verkehr mit dem Neffen abbrach. Die Folge
davon war, daß Freiligrath in den nächsten drei Jahren jede Beziehung mit seiner
Familie mied, weder der Mutter, noch einer Schwester schrieb, sondern ihnen
überließ, sich aus zufällige" Zeitungsnachrichten über den inzwischen berühmt ge¬
wordenen Lyriker Kenntnis von seiner Lage zu holen. Nach drei langen Jahren
erhielten sie endlich aus Se. Goar einen tief bereuenden Brief Freiligraths, der
für sein Schweigen rührend um Verzeihung bat und seine Vermählung mit einer
der Familie unbekannten Frau mitteilte. Sie höhnten sich dann aus und blieben
seitdem in bester Eintracht.

Das ist die wichtige Geschichte, die diese Beiträge mitteile". Wir glauben
nicht, daß wir sie ungerecht beurteilt haben. Die Form ist dem Buchncrschen
Werke nachgeahmt: auch hier werden die zahlreichen Briefe des Dichters an Lina
mit wenigen Auslassungen mitgeteilt. Mau kann sie aber litterarisch nicht bedeutend
finden. Den übrigen Teil des Buches füllen Erinnerungen der Pietätvollen Schwester
an den Verkehr mit dem berühmten Bruder, teilweise recht hübsch, aber für die
Biographie ohne weiteren Belang.


Hochsommer. Gedichte von A. Leschivo. -- Liebe und Leidenschaft. Eine Phanta¬
stische Dichtung von A. Leschivo. WiSiuar, Hmstorffsche Hofbuchhnudluug.

In diesen Gedichten zeigt sich viel Temperament, sie sind der Ausdruck einer
stark bewegten Innerlichkeit, meistenteils verliebter Art. Aber über die Aufgaben
der lyrischen Kunst hat sich Leschivo nicht viel Rechenschaft gegeben. Er ist
rhetorisch, abstrakt, reflektircnd, vermag nicht ruhig zu gestalten. Zuweilen hübsche
Einfälle wie "Unrettbar," "Ein Verhängnis," die aber nicht für die Menge
dilettantisch hingewühltcr Verse entschädigen. Der "phantastischen" Dichtung (eine
eavtatio dLnovolontmo schon ans dem Titelblatte) mit ihrer Verworrenheit konnten
Wir keinen Geschmack abgewinnen. Beide Bücher sind (wie die meisten Dichtungen
von Dilettanten) prächtig gedruckt und eingebunden.







Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuvw in Leipzig
Verlag vou Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marqunrt in Leipzig
Litteratur

schrieb er die glühendsten Liebesbriefe, beschwur Karolinen, auszuharren und lehnte
jedes Angebot der Freiheit, jedes Ansinnen, das Verlobungsversprechen zurückzugeben,
leidenschaftlich ab. Er war sich nicht klar über sich selbst. Es wurden ihm Liebe¬
leien mit andern Schönen nachgewiesen, aber Karolinen gab er nicht frei. Eine
Art von Stolz mochte ihn treiben, das einmal gegebene Versprechen um jeden
Preis einzulösen, und er verbarg vor sich selbst den innern Brief mit seiner Jugend¬
liebe. Dieses unerquickliche Verhältnis dauerte mehr als sieben Jahre (1832— 1810).
Lina, die als eine sehr schöne und sehr feine Gestalt (wie aus einer Storm'scheu
Novelle, bemerkt die Erzählerin) geschildert wird, litt unsäglich unter dieser Halb¬
heit Freiligraths, bis sie sich schließlich im Sommer 1840 zu einem entschiedenen
Schritt aufraffte und endgiltig den Verkehr mit dem Neffen abbrach. Die Folge
davon war, daß Freiligrath in den nächsten drei Jahren jede Beziehung mit seiner
Familie mied, weder der Mutter, noch einer Schwester schrieb, sondern ihnen
überließ, sich aus zufällige» Zeitungsnachrichten über den inzwischen berühmt ge¬
wordenen Lyriker Kenntnis von seiner Lage zu holen. Nach drei langen Jahren
erhielten sie endlich aus Se. Goar einen tief bereuenden Brief Freiligraths, der
für sein Schweigen rührend um Verzeihung bat und seine Vermählung mit einer
der Familie unbekannten Frau mitteilte. Sie höhnten sich dann aus und blieben
seitdem in bester Eintracht.

Das ist die wichtige Geschichte, die diese Beiträge mitteile». Wir glauben
nicht, daß wir sie ungerecht beurteilt haben. Die Form ist dem Buchncrschen
Werke nachgeahmt: auch hier werden die zahlreichen Briefe des Dichters an Lina
mit wenigen Auslassungen mitgeteilt. Mau kann sie aber litterarisch nicht bedeutend
finden. Den übrigen Teil des Buches füllen Erinnerungen der Pietätvollen Schwester
an den Verkehr mit dem berühmten Bruder, teilweise recht hübsch, aber für die
Biographie ohne weiteren Belang.


Hochsommer. Gedichte von A. Leschivo. — Liebe und Leidenschaft. Eine Phanta¬
stische Dichtung von A. Leschivo. WiSiuar, Hmstorffsche Hofbuchhnudluug.

In diesen Gedichten zeigt sich viel Temperament, sie sind der Ausdruck einer
stark bewegten Innerlichkeit, meistenteils verliebter Art. Aber über die Aufgaben
der lyrischen Kunst hat sich Leschivo nicht viel Rechenschaft gegeben. Er ist
rhetorisch, abstrakt, reflektircnd, vermag nicht ruhig zu gestalten. Zuweilen hübsche
Einfälle wie „Unrettbar," „Ein Verhängnis," die aber nicht für die Menge
dilettantisch hingewühltcr Verse entschädigen. Der „phantastischen" Dichtung (eine
eavtatio dLnovolontmo schon ans dem Titelblatte) mit ihrer Verworrenheit konnten
Wir keinen Geschmack abgewinnen. Beide Bücher sind (wie die meisten Dichtungen
von Dilettanten) prächtig gedruckt und eingebunden.







Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuvw in Leipzig
Verlag vou Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marqunrt in Leipzig
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[0200] Litteratur schrieb er die glühendsten Liebesbriefe, beschwur Karolinen, auszuharren und lehnte jedes Angebot der Freiheit, jedes Ansinnen, das Verlobungsversprechen zurückzugeben, leidenschaftlich ab. Er war sich nicht klar über sich selbst. Es wurden ihm Liebe¬ leien mit andern Schönen nachgewiesen, aber Karolinen gab er nicht frei. Eine Art von Stolz mochte ihn treiben, das einmal gegebene Versprechen um jeden Preis einzulösen, und er verbarg vor sich selbst den innern Brief mit seiner Jugend¬ liebe. Dieses unerquickliche Verhältnis dauerte mehr als sieben Jahre (1832— 1810). Lina, die als eine sehr schöne und sehr feine Gestalt (wie aus einer Storm'scheu Novelle, bemerkt die Erzählerin) geschildert wird, litt unsäglich unter dieser Halb¬ heit Freiligraths, bis sie sich schließlich im Sommer 1840 zu einem entschiedenen Schritt aufraffte und endgiltig den Verkehr mit dem Neffen abbrach. Die Folge davon war, daß Freiligrath in den nächsten drei Jahren jede Beziehung mit seiner Familie mied, weder der Mutter, noch einer Schwester schrieb, sondern ihnen überließ, sich aus zufällige» Zeitungsnachrichten über den inzwischen berühmt ge¬ wordenen Lyriker Kenntnis von seiner Lage zu holen. Nach drei langen Jahren erhielten sie endlich aus Se. Goar einen tief bereuenden Brief Freiligraths, der für sein Schweigen rührend um Verzeihung bat und seine Vermählung mit einer der Familie unbekannten Frau mitteilte. Sie höhnten sich dann aus und blieben seitdem in bester Eintracht. Das ist die wichtige Geschichte, die diese Beiträge mitteile». Wir glauben nicht, daß wir sie ungerecht beurteilt haben. Die Form ist dem Buchncrschen Werke nachgeahmt: auch hier werden die zahlreichen Briefe des Dichters an Lina mit wenigen Auslassungen mitgeteilt. Mau kann sie aber litterarisch nicht bedeutend finden. Den übrigen Teil des Buches füllen Erinnerungen der Pietätvollen Schwester an den Verkehr mit dem berühmten Bruder, teilweise recht hübsch, aber für die Biographie ohne weiteren Belang. Hochsommer. Gedichte von A. Leschivo. — Liebe und Leidenschaft. Eine Phanta¬ stische Dichtung von A. Leschivo. WiSiuar, Hmstorffsche Hofbuchhnudluug. In diesen Gedichten zeigt sich viel Temperament, sie sind der Ausdruck einer stark bewegten Innerlichkeit, meistenteils verliebter Art. Aber über die Aufgaben der lyrischen Kunst hat sich Leschivo nicht viel Rechenschaft gegeben. Er ist rhetorisch, abstrakt, reflektircnd, vermag nicht ruhig zu gestalten. Zuweilen hübsche Einfälle wie „Unrettbar," „Ein Verhängnis," die aber nicht für die Menge dilettantisch hingewühltcr Verse entschädigen. Der „phantastischen" Dichtung (eine eavtatio dLnovolontmo schon ans dem Titelblatte) mit ihrer Verworrenheit konnten Wir keinen Geschmack abgewinnen. Beide Bücher sind (wie die meisten Dichtungen von Dilettanten) prächtig gedruckt und eingebunden. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuvw in Leipzig Verlag vou Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marqunrt in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/200>, abgerufen am 05.02.2025.