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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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wiener Litteratur

Realist, der zuweilen wirkliche Erreignisse mir leicht verschleiert darstellt. Er
schildert mit guter und für viele belehrender Sachkenntnis; er giebt Sittenbilder
zur Kulturgeschichte jener Gesellschaftskreise, in denen er als persönlich liebens¬
würdiger Mann Jahre lang verkehrt hat und uoch immer verkehrt. Von seiner
Jugenderziehung her -- Saar war Soldat -- ist ihm aber der rege politische
Sinn geblieben, er sieht alles, was er erzählt auf dem Hintergrunde der
Politischen Ereignisse Österreichs.

Nirgends mehr als in der kleinen Novelle Vg,s vioti8! erhebt sich sein
Blick zu historischer Höhe, wobei nur zu bedauern ist, daß ihm seine
enge Begabung nicht ermöglicht hat, seinen Stoff, wie es sich gebührte, in
dem großen Stile des Romans auszuführen, denn die kurze inhaltsreiche Er¬
zählung mutet nur wie die Skizze zu einem größern Gemälde an. Sie führt
uns in die ersten sechziger Jahre, wo das Parlament nach langer "Sistirnng"
wieder tagte. Im italienischen Kriege hatte die österreichische Armee nicht bloß
die Niederlage auf dem Schlnchtfelde erlitten, sondern auch ihr Ansehen in
der Heimat eingebüßt. Bis dahin hatte sie das Ruder der Negierung in
der Hand, nun mußte sie den Bürgerlichen Platz machen. Wien berauschte
sich damals an den glänzenden Reden der Advokaten im Abgeordnetenhaus^
An dein tragischen Ende des einst siegreichen Generals Brandenberg hat Saar
diesen Umschwung der öffentlichen Meinung typisch veranschaulicht; er ist
übrigens einer wirklichen Begebenheit gefolgt (Gablenz). Die Frau des
Generals, die kalte, stolze Corona, verachtet ihren Mann, der ohne Lorbeeren
von Svlferino zurückgekehrt; ihr Herz hat sich leidenschaftlich einem (von Saar
wohl absichtlich unbenannten) "Doktor" zugewendet, der im Parlament und in
der Presse durch seine glänzende Rhetorik wahre Triumphe feiert und die
Minister erzittern macht. Aus Gram über die Treulosigkeit seines Weibes
und weil er glaubt, daß er in der That, wie jener Doktor sagt, in die neue
Zeit des nahenden "volkswirtschaftlichen Aufschwungs" nicht mehr passe, erschießt
sich der stolze General und rünmt damit das einzige Hindernis für die Ver¬
bindung Cvrvnas mit dein Doktor aus dem Wege. Allein auch die Blütezeit
des Doktors geht bald vorbei; zur Regierung berufen, beweist er bald seine
Praktische Unfähigkeit und verscherzt sich die öffentliche Gunst.

In einer andren Novelle ,,Haus Neichegg" schildert Saar eiuen alten
österreichischen Diplomaten aus der Mctternichschen Schule, einen jener finstern
Absolutisten und Klerikalen, die mit am Konkordat geschmiedet haben. Von
Goethe und Schiller, deren Büsten Baron Neichegg gleichwohl auf seinem
Tische stehen hat, sagt er: "Das waren zwei große, gewaltige Geister, und ich
bin stets in Gesellschaft ihrer Werke. Aber man darf sich von ihren Ideen
nicht fortreißen lassen; denn Phantasie und Wirklichkeit sind zweierlei." Einen
dritten typischen Österreicher schildert Saar in dem alten Landespräsidenten,
dem Helden der schönen Novelle "Der Exzellenzherr." "Jahre gingen dahin,"


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Realist, der zuweilen wirkliche Erreignisse mir leicht verschleiert darstellt. Er
schildert mit guter und für viele belehrender Sachkenntnis; er giebt Sittenbilder
zur Kulturgeschichte jener Gesellschaftskreise, in denen er als persönlich liebens¬
würdiger Mann Jahre lang verkehrt hat und uoch immer verkehrt. Von seiner
Jugenderziehung her — Saar war Soldat — ist ihm aber der rege politische
Sinn geblieben, er sieht alles, was er erzählt auf dem Hintergrunde der
Politischen Ereignisse Österreichs.

Nirgends mehr als in der kleinen Novelle Vg,s vioti8! erhebt sich sein
Blick zu historischer Höhe, wobei nur zu bedauern ist, daß ihm seine
enge Begabung nicht ermöglicht hat, seinen Stoff, wie es sich gebührte, in
dem großen Stile des Romans auszuführen, denn die kurze inhaltsreiche Er¬
zählung mutet nur wie die Skizze zu einem größern Gemälde an. Sie führt
uns in die ersten sechziger Jahre, wo das Parlament nach langer „Sistirnng"
wieder tagte. Im italienischen Kriege hatte die österreichische Armee nicht bloß
die Niederlage auf dem Schlnchtfelde erlitten, sondern auch ihr Ansehen in
der Heimat eingebüßt. Bis dahin hatte sie das Ruder der Negierung in
der Hand, nun mußte sie den Bürgerlichen Platz machen. Wien berauschte
sich damals an den glänzenden Reden der Advokaten im Abgeordnetenhaus^
An dein tragischen Ende des einst siegreichen Generals Brandenberg hat Saar
diesen Umschwung der öffentlichen Meinung typisch veranschaulicht; er ist
übrigens einer wirklichen Begebenheit gefolgt (Gablenz). Die Frau des
Generals, die kalte, stolze Corona, verachtet ihren Mann, der ohne Lorbeeren
von Svlferino zurückgekehrt; ihr Herz hat sich leidenschaftlich einem (von Saar
wohl absichtlich unbenannten) „Doktor" zugewendet, der im Parlament und in
der Presse durch seine glänzende Rhetorik wahre Triumphe feiert und die
Minister erzittern macht. Aus Gram über die Treulosigkeit seines Weibes
und weil er glaubt, daß er in der That, wie jener Doktor sagt, in die neue
Zeit des nahenden „volkswirtschaftlichen Aufschwungs" nicht mehr passe, erschießt
sich der stolze General und rünmt damit das einzige Hindernis für die Ver¬
bindung Cvrvnas mit dein Doktor aus dem Wege. Allein auch die Blütezeit
des Doktors geht bald vorbei; zur Regierung berufen, beweist er bald seine
Praktische Unfähigkeit und verscherzt sich die öffentliche Gunst.

In einer andren Novelle ,,Haus Neichegg" schildert Saar eiuen alten
österreichischen Diplomaten aus der Mctternichschen Schule, einen jener finstern
Absolutisten und Klerikalen, die mit am Konkordat geschmiedet haben. Von
Goethe und Schiller, deren Büsten Baron Neichegg gleichwohl auf seinem
Tische stehen hat, sagt er: „Das waren zwei große, gewaltige Geister, und ich
bin stets in Gesellschaft ihrer Werke. Aber man darf sich von ihren Ideen
nicht fortreißen lassen; denn Phantasie und Wirklichkeit sind zweierlei." Einen
dritten typischen Österreicher schildert Saar in dem alten Landespräsidenten,
dem Helden der schönen Novelle „Der Exzellenzherr." „Jahre gingen dahin,"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/191>, abgerufen am 05.02.2025.