Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Zur italienischen Krisis trotzdem reich werden; war es doch das vornehmste Industrie- und Handels- Der ungeheure Fehler bestand darin, daß man eine Kriegsmacht nach Auch in militärischer Beziehung vermißte das mittelalterliche Italien deu Zur italienischen Krisis trotzdem reich werden; war es doch das vornehmste Industrie- und Handels- Der ungeheure Fehler bestand darin, daß man eine Kriegsmacht nach Auch in militärischer Beziehung vermißte das mittelalterliche Italien deu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204743"/> <fw type="header" place="top"> Zur italienischen Krisis</fw><lb/> <p xml:id="ID_11" prev="#ID_10"> trotzdem reich werden; war es doch das vornehmste Industrie- und Handels-<lb/> volk Europas. Aber seit dein sechzehnten Jahrhundert ward es von seinen<lb/> nördlichen Konkurrenten überflügelt. Nehmen wir auch um, die Italiener wollten<lb/> sich vom heutigen Tage an mit aller Kraft auf Handel und Gewerbe werfen<lb/> (obwohl die moderne Form eines Teils der Ausfuhrgewerbe, das Arbeiten in<lb/> geschlosseuen Fabrikräumen, der Natur des Volkes widerstrebt); uuter den<lb/> jetzigen Verhältnissen, wo drei bis vier Stantenrieseu in dem Wettbewerb auf<lb/> Leben und Tod mit einander ringen, hat Italien die Wiedergeburt jener feiner<lb/> großen Zeit nicht zu hoffen, wo der ganze europäische Norden ihm in ähn¬<lb/> licher Weise tributpflichtig war, wie bis vor wenigen Jahrzehnte» unser Erd¬<lb/> teil deu Engländern. Der einzige Weg zur ökonomischen Kräftigung des Laudes<lb/> ist die Schaffung eines kräftigen Bauernstandes durch eine großartige Agrar¬<lb/> reform (entweder bessere Regelung der Pachtverhältnisse oder Ablösung nach<lb/> dem Muster der preußischen). Dann wird das Volk, wenn auch nicht Schätze<lb/> ans dem Auslande ziehen, so doch wenigstens daheim satt zu essen sinden. Die<lb/> Negierung des Königs Victor Emanuel hatte das erkannt. Sie schuf u. a. auf<lb/> Sizilien aus säknlarisirten Kirchengütern einige tausend Vanerngütchen. Leider<lb/> verschwanden diese sehr bald wieder. Von den Panzerfregatten sind die neuen<lb/> Kronbauern gefressen worden. Wegen rückständiger Steuern kam eines jener<lb/> Gütchen nach dem andern nnter den Hammer. Käufer fanden sich nicht; der<lb/> Fiskus mußte sie zurücknehmen, und er wirtschaftete nicht besser als die übrigen<lb/> Großgrundbesitzer. Alle die gelehrten Steuer- und siiiauzpolitischen Abhandliliigen,<lb/> die der Handelsteil großer deutscher Zeitungen in den letzten Monaten aus<lb/> und über Italien brachte, hätten sich die Verfasser sparen können, wenn sie an<lb/> das Sprüchlein gedacht hätten: wo nichts ist, da hat der Kaiser das Recht<lb/> verloren.</p><lb/> <p xml:id="ID_12"> Der ungeheure Fehler bestand darin, daß man eine Kriegsmacht nach<lb/> preußischem und französischem Muster schaffen wollte, ehe das Material für<lb/> eine solche vorhanden war: ein Bnuerustnud wie in Preußen, in ganz Deutsch¬<lb/> land und selbst in Frankreich. Nur die Bauernvölker siud kriegstüchtig; Land-<lb/> burscheu bilden den Kern unsrer Bataillone. In Italien fehlt nicht bloß, wie<lb/> gesagt, ein kräftiger Bauernstand, sondern infolge der endemischen Hungersnot<lb/> verkümmert die ländliche Vevölkeruug immer mehr. Von den Hungerberichten<lb/> italienischer Blätter, die weit wichtiger und belehrender sind als die Kammer¬<lb/> berichte, ist nur sehr wenig in unsre deutschen Blätter gedrungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_13" next="#ID_14"> Auch in militärischer Beziehung vermißte das mittelalterliche Italien deu<lb/> fehlenden Bauernstand nur wenig; führten doch seine Städte, seine kleinen<lb/> Fürsten vom dreizehnten Jahrhundert ab ihre Kriege mit schweizerischen, deutschen,<lb/> französischen, englischen, spanischen (katalanischen) Söldnern. Ein Volk der Geist¬<lb/> lichen, Gelehrten und Künstler, der Industriellen und Kaufleute ist nun einmal<lb/> notwendigerweise unkriegerisch. Alle unsre Familien, pflegte Giuv Capponi von</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0012]
Zur italienischen Krisis
trotzdem reich werden; war es doch das vornehmste Industrie- und Handels-
volk Europas. Aber seit dein sechzehnten Jahrhundert ward es von seinen
nördlichen Konkurrenten überflügelt. Nehmen wir auch um, die Italiener wollten
sich vom heutigen Tage an mit aller Kraft auf Handel und Gewerbe werfen
(obwohl die moderne Form eines Teils der Ausfuhrgewerbe, das Arbeiten in
geschlosseuen Fabrikräumen, der Natur des Volkes widerstrebt); uuter den
jetzigen Verhältnissen, wo drei bis vier Stantenrieseu in dem Wettbewerb auf
Leben und Tod mit einander ringen, hat Italien die Wiedergeburt jener feiner
großen Zeit nicht zu hoffen, wo der ganze europäische Norden ihm in ähn¬
licher Weise tributpflichtig war, wie bis vor wenigen Jahrzehnte» unser Erd¬
teil deu Engländern. Der einzige Weg zur ökonomischen Kräftigung des Laudes
ist die Schaffung eines kräftigen Bauernstandes durch eine großartige Agrar¬
reform (entweder bessere Regelung der Pachtverhältnisse oder Ablösung nach
dem Muster der preußischen). Dann wird das Volk, wenn auch nicht Schätze
ans dem Auslande ziehen, so doch wenigstens daheim satt zu essen sinden. Die
Negierung des Königs Victor Emanuel hatte das erkannt. Sie schuf u. a. auf
Sizilien aus säknlarisirten Kirchengütern einige tausend Vanerngütchen. Leider
verschwanden diese sehr bald wieder. Von den Panzerfregatten sind die neuen
Kronbauern gefressen worden. Wegen rückständiger Steuern kam eines jener
Gütchen nach dem andern nnter den Hammer. Käufer fanden sich nicht; der
Fiskus mußte sie zurücknehmen, und er wirtschaftete nicht besser als die übrigen
Großgrundbesitzer. Alle die gelehrten Steuer- und siiiauzpolitischen Abhandliliigen,
die der Handelsteil großer deutscher Zeitungen in den letzten Monaten aus
und über Italien brachte, hätten sich die Verfasser sparen können, wenn sie an
das Sprüchlein gedacht hätten: wo nichts ist, da hat der Kaiser das Recht
verloren.
Der ungeheure Fehler bestand darin, daß man eine Kriegsmacht nach
preußischem und französischem Muster schaffen wollte, ehe das Material für
eine solche vorhanden war: ein Bnuerustnud wie in Preußen, in ganz Deutsch¬
land und selbst in Frankreich. Nur die Bauernvölker siud kriegstüchtig; Land-
burscheu bilden den Kern unsrer Bataillone. In Italien fehlt nicht bloß, wie
gesagt, ein kräftiger Bauernstand, sondern infolge der endemischen Hungersnot
verkümmert die ländliche Vevölkeruug immer mehr. Von den Hungerberichten
italienischer Blätter, die weit wichtiger und belehrender sind als die Kammer¬
berichte, ist nur sehr wenig in unsre deutschen Blätter gedrungen.
Auch in militärischer Beziehung vermißte das mittelalterliche Italien deu
fehlenden Bauernstand nur wenig; führten doch seine Städte, seine kleinen
Fürsten vom dreizehnten Jahrhundert ab ihre Kriege mit schweizerischen, deutschen,
französischen, englischen, spanischen (katalanischen) Söldnern. Ein Volk der Geist¬
lichen, Gelehrten und Künstler, der Industriellen und Kaufleute ist nun einmal
notwendigerweise unkriegerisch. Alle unsre Familien, pflegte Giuv Capponi von
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