Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.?ostulNÄ die lange Reihe der Jahre in eine symbolische Beziehung zur Hauptsache treten, Auch die Gedichte aus dem Nachlaß von Joseph Victor von Scheffel ?ostulNÄ die lange Reihe der Jahre in eine symbolische Beziehung zur Hauptsache treten, Auch die Gedichte aus dem Nachlaß von Joseph Victor von Scheffel <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204185"/> <fw type="header" place="top"> ?ostulNÄ</fw><lb/> <p xml:id="ID_292" prev="#ID_291"> die lange Reihe der Jahre in eine symbolische Beziehung zur Hauptsache treten,<lb/> ist gar nicht zu sagen; so z. B. die Figuren des Ole Michel, der Vollina, der<lb/> Trieu Jens, des Jeve Manners, die Angorakatze der Trier u. tgi. in. Letztere<lb/> hat Hänke Haien als Knabe einmal erwürgt, weil sie ihm hinterlistiger Weise einen<lb/> Eisvogel, den er glücklich erlegt hatte, rauben wollte. Dieser Vorfall dient vorerst<lb/> dem Erzähler dazu, des Knaben Mut und Tapferkeit zu beleuchten. Als Hänke<lb/> schon längst Vater geworden ist und die alte böse Trieu aus Mitleid ins Hans<lb/> genommen hat, lagert sein armes Kind auf dem Felle der Angorakatze zu Füßen<lb/> der Märcheuerzähleriu, die dem Wohlthäter seine jugendliche Übelthat gleichwohl<lb/> nicht verzeihen mag. Durch solche Züge hat Storm die harmonische Einheit seiner<lb/> Erfindung aufs feinste gefördert. Andre wieder, wie die wiederholten Schilde¬<lb/> rungen des Deichgrafen auf seinem feurigen Rosse mitten im Anprall des Sturmes<lb/> und d^er Wasserwogen, - dienen dazu, die Gespeustererschcinnng mit Nachdruck<lb/> der Phantasie einzuprägen. Man darf sagen, daß dies Storm in einer Weise<lb/> gelungen ist, daß der „Schimmelreiter" zu den Juwelen unsrer Nationallitte¬<lb/> ratur gerechnet werden wird. Ich kann nicht umhin, mich darüber zu ver¬<lb/> wundern, daß dies bisher so wenig von der Kritik erkannt worden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_293" next="#ID_294"> Auch die Gedichte aus dem Nachlaß von Joseph Victor von Scheffel<lb/> Stuttgart, Bonz, 1889) bringen alle Motive der Poesie des Dichters in Er¬<lb/> innerung. Da findet man im „Alpenliede" den Ton des Nodensteincyklus;<lb/> in den Gelegenheitsgedichten und Episteln vielfach die Stimmung des „Trom¬<lb/> peters"; man sieht den Dichter in seinen vielfachen Beziehungen zum Landes¬<lb/> herrn, zu berühmten Zeitgenossen, wie Emanuel Geibel, Karl Friedrich Lessing,<lb/> zu Kunstgenossenschaften und Studentenvereinen, zu Kneipgenosscn. Ein Gedicht<lb/> ist mitten aus der Arbeit am „Ekkehard" geschrieben; andre Gedichte sind<lb/> Mersetzuugen mittelhochdeutscher Gedichte (Neimars des Alten); Sonette er¬<lb/> innern an den voll ihm selbst in seine» „Reisebildern" beschriebenen Besuch<lb/> des Thales Vaucluse, wo Petrarca wohnte. Die wertvollsten Gedichte aber<lb/> sind die das Büchlein eröffnenden geistsprühenden Parodien der Hegelschen<lb/> Philosophie, die bisher ganz unbekannt geblieben sind. Denn hier wird die<lb/> Quelle der Scheffelscheu Auakreontit in ihrer ganzen Tiefe offenbar. Scheffels<lb/> Stellung in der Litteratur ist uicht bloß durch sein Meisterwerk eines histo¬<lb/> rischen Romans begründet, sondern auch durch den mit bewußter Absicht ge¬<lb/> führten Kampf gegen die pessimistisch weltflüchtige Lyrik. Das frische Zu¬<lb/> greifen des thatkräftigen jungen Mannes mußte sich auch von einer Philosophie<lb/> abgestoßen fühlen, die immer mehr in dialektischen Jrrgüngen von der farbigen,<lb/> sinnlichen Welt zu abstrakter Scholastik ablenkte; der Dichter in Scheffel wehrte<lb/> sich gegen die „schuftiger Kategorien", und dies ist die Seele seiner parodistischen<lb/> Gedichte. Allerdings sind dies Erzeugnisse eiues Gelehrtenhumors, der uur in<lb/> engern Kreisen Verständnis finden kann; deswegen dürfte sie auch Scheffel<lb/> selbst zurückgehalten haben. Schopenhauer hätte natürlich seinen Spaß an diesen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0096]
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die lange Reihe der Jahre in eine symbolische Beziehung zur Hauptsache treten,
ist gar nicht zu sagen; so z. B. die Figuren des Ole Michel, der Vollina, der
Trieu Jens, des Jeve Manners, die Angorakatze der Trier u. tgi. in. Letztere
hat Hänke Haien als Knabe einmal erwürgt, weil sie ihm hinterlistiger Weise einen
Eisvogel, den er glücklich erlegt hatte, rauben wollte. Dieser Vorfall dient vorerst
dem Erzähler dazu, des Knaben Mut und Tapferkeit zu beleuchten. Als Hänke
schon längst Vater geworden ist und die alte böse Trieu aus Mitleid ins Hans
genommen hat, lagert sein armes Kind auf dem Felle der Angorakatze zu Füßen
der Märcheuerzähleriu, die dem Wohlthäter seine jugendliche Übelthat gleichwohl
nicht verzeihen mag. Durch solche Züge hat Storm die harmonische Einheit seiner
Erfindung aufs feinste gefördert. Andre wieder, wie die wiederholten Schilde¬
rungen des Deichgrafen auf seinem feurigen Rosse mitten im Anprall des Sturmes
und d^er Wasserwogen, - dienen dazu, die Gespeustererschcinnng mit Nachdruck
der Phantasie einzuprägen. Man darf sagen, daß dies Storm in einer Weise
gelungen ist, daß der „Schimmelreiter" zu den Juwelen unsrer Nationallitte¬
ratur gerechnet werden wird. Ich kann nicht umhin, mich darüber zu ver¬
wundern, daß dies bisher so wenig von der Kritik erkannt worden ist.
Auch die Gedichte aus dem Nachlaß von Joseph Victor von Scheffel
Stuttgart, Bonz, 1889) bringen alle Motive der Poesie des Dichters in Er¬
innerung. Da findet man im „Alpenliede" den Ton des Nodensteincyklus;
in den Gelegenheitsgedichten und Episteln vielfach die Stimmung des „Trom¬
peters"; man sieht den Dichter in seinen vielfachen Beziehungen zum Landes¬
herrn, zu berühmten Zeitgenossen, wie Emanuel Geibel, Karl Friedrich Lessing,
zu Kunstgenossenschaften und Studentenvereinen, zu Kneipgenosscn. Ein Gedicht
ist mitten aus der Arbeit am „Ekkehard" geschrieben; andre Gedichte sind
Mersetzuugen mittelhochdeutscher Gedichte (Neimars des Alten); Sonette er¬
innern an den voll ihm selbst in seine» „Reisebildern" beschriebenen Besuch
des Thales Vaucluse, wo Petrarca wohnte. Die wertvollsten Gedichte aber
sind die das Büchlein eröffnenden geistsprühenden Parodien der Hegelschen
Philosophie, die bisher ganz unbekannt geblieben sind. Denn hier wird die
Quelle der Scheffelscheu Auakreontit in ihrer ganzen Tiefe offenbar. Scheffels
Stellung in der Litteratur ist uicht bloß durch sein Meisterwerk eines histo¬
rischen Romans begründet, sondern auch durch den mit bewußter Absicht ge¬
führten Kampf gegen die pessimistisch weltflüchtige Lyrik. Das frische Zu¬
greifen des thatkräftigen jungen Mannes mußte sich auch von einer Philosophie
abgestoßen fühlen, die immer mehr in dialektischen Jrrgüngen von der farbigen,
sinnlichen Welt zu abstrakter Scholastik ablenkte; der Dichter in Scheffel wehrte
sich gegen die „schuftiger Kategorien", und dies ist die Seele seiner parodistischen
Gedichte. Allerdings sind dies Erzeugnisse eiues Gelehrtenhumors, der uur in
engern Kreisen Verständnis finden kann; deswegen dürfte sie auch Scheffel
selbst zurückgehalten haben. Schopenhauer hätte natürlich seinen Spaß an diesen
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