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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Grillparzer und seine Zugenddramen

haltlosen Pedro bekundet: das sind Proben des großen Dramatikers im Keime.
Dieser König Pedro, der still vor sich hinbrütend dasteht, indeß um ihn her
gesprochen wird, hat Verwandtschaft mit Kaiser Rudolf. Auch die Neigung,
die Last der Schuld auf mehrere Schultern (Pedro, Rodrigo) zu verteilen, der
Kontrast zwischen den zwei Frauen Blanka und Maria sind originell grill-
parzerisch, und merkwürdigerweise stimmt auch schon der erste dramatische Held
des jungen Grillparzer die Klage um deu Verlust der Jugend an:


Laß mich zum Kinde werden, Mann!
Nimm alles, was ich habe, was ich bin,
Laß mich zum Kinde werden! O der schönen,
Der engelschönen Blütezeit des Lebens!
Da lag mein heitres, kindliches Gemüt,
Ein zart Gewebe ohne Falten, offen
Vor jedes Menschen forschenden; Gesicht;
Da hob ich rein die reinen Hand' empor,
Nicht zum Vergelter, Richter, nein, zum Vater;
Der Andacht Blume war mir aufgeschlossen,
Da konnt' ich beten, Mann, da konnt ich beten!
Da liebt' ich alles, was ich auf dem Pfade,
Dem engbegrenzten, meines Wirkens fand,
Wars eine Blume, wars ein Mensch; in beiden
Fand ich nichts, als den zarten Widerhall
Der reinen Harmonie, die aus des Herzens
Geweihten Saiten himmlisch heilig hauchte.
Des Zorns und Hasses tötliche Gefühle,
Sie waren fremd der liebevollen Seele!
Da konnt' ich noch den schönen Apfel teilen,
Nach dem des Vrnders Aug' verlangend blickte,
Ihn teilen oder ganz dem Teuern schenken!
O kehre wieder, goldne, heilge Zeit!

Das ist eine der lyrischen Prachtstellen der Dichtung, und wenn sie sonst nichts
Merkwürdiges enthielte, als Denkmal sprachlicher Meisterschaft Grillparzers
in einem Lebensalter, wo kein bekannter Genius noch etwas ähnliches geschaffen
hat, ist die Veröffentlichung der "Blanka von Castilien" gerechtfertigt. Wie
weit die deutsche Sprache durch die Thätigkeit unsrer Klassiker sich veredelt
hat, ist hier sichtbar. Wie die Sprache von Goethes "Werther" ohne Klop-
stock uicht denkbar ist, so auch die Sprache des jungen Grillparzer nicht ohne
Schiller. Dies richtig erkannt zu haben ist Sauers Verdienst, Laube hat den
literarhistorischen Wert des Stückes noch nicht zu würdigen gewußt. Für
Grillparzer aber weit verhängnisvoller war, daß gerade derjenige Manu, dem
er sein Werk anvertraute, keine tiefern Einsichten befaß und es rundweg als
bühneminfähig ablehnte. Was die Folge war, erzählt Grillparzer in der Lebens¬
beschreibung: "Mir selbst fiel bei der Rückgabe meines Trauerspiels die Prophe¬
zeiung meines Vaters ein, und ich fühlte mich in dem Entschlüsse bestärkt, der


Grillparzer und seine Zugenddramen

haltlosen Pedro bekundet: das sind Proben des großen Dramatikers im Keime.
Dieser König Pedro, der still vor sich hinbrütend dasteht, indeß um ihn her
gesprochen wird, hat Verwandtschaft mit Kaiser Rudolf. Auch die Neigung,
die Last der Schuld auf mehrere Schultern (Pedro, Rodrigo) zu verteilen, der
Kontrast zwischen den zwei Frauen Blanka und Maria sind originell grill-
parzerisch, und merkwürdigerweise stimmt auch schon der erste dramatische Held
des jungen Grillparzer die Klage um deu Verlust der Jugend an:


Laß mich zum Kinde werden, Mann!
Nimm alles, was ich habe, was ich bin,
Laß mich zum Kinde werden! O der schönen,
Der engelschönen Blütezeit des Lebens!
Da lag mein heitres, kindliches Gemüt,
Ein zart Gewebe ohne Falten, offen
Vor jedes Menschen forschenden; Gesicht;
Da hob ich rein die reinen Hand' empor,
Nicht zum Vergelter, Richter, nein, zum Vater;
Der Andacht Blume war mir aufgeschlossen,
Da konnt' ich beten, Mann, da konnt ich beten!
Da liebt' ich alles, was ich auf dem Pfade,
Dem engbegrenzten, meines Wirkens fand,
Wars eine Blume, wars ein Mensch; in beiden
Fand ich nichts, als den zarten Widerhall
Der reinen Harmonie, die aus des Herzens
Geweihten Saiten himmlisch heilig hauchte.
Des Zorns und Hasses tötliche Gefühle,
Sie waren fremd der liebevollen Seele!
Da konnt' ich noch den schönen Apfel teilen,
Nach dem des Vrnders Aug' verlangend blickte,
Ihn teilen oder ganz dem Teuern schenken!
O kehre wieder, goldne, heilge Zeit!

Das ist eine der lyrischen Prachtstellen der Dichtung, und wenn sie sonst nichts
Merkwürdiges enthielte, als Denkmal sprachlicher Meisterschaft Grillparzers
in einem Lebensalter, wo kein bekannter Genius noch etwas ähnliches geschaffen
hat, ist die Veröffentlichung der „Blanka von Castilien" gerechtfertigt. Wie
weit die deutsche Sprache durch die Thätigkeit unsrer Klassiker sich veredelt
hat, ist hier sichtbar. Wie die Sprache von Goethes „Werther" ohne Klop-
stock uicht denkbar ist, so auch die Sprache des jungen Grillparzer nicht ohne
Schiller. Dies richtig erkannt zu haben ist Sauers Verdienst, Laube hat den
literarhistorischen Wert des Stückes noch nicht zu würdigen gewußt. Für
Grillparzer aber weit verhängnisvoller war, daß gerade derjenige Manu, dem
er sein Werk anvertraute, keine tiefern Einsichten befaß und es rundweg als
bühneminfähig ablehnte. Was die Folge war, erzählt Grillparzer in der Lebens¬
beschreibung: „Mir selbst fiel bei der Rückgabe meines Trauerspiels die Prophe¬
zeiung meines Vaters ein, und ich fühlte mich in dem Entschlüsse bestärkt, der


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[0614] Grillparzer und seine Zugenddramen haltlosen Pedro bekundet: das sind Proben des großen Dramatikers im Keime. Dieser König Pedro, der still vor sich hinbrütend dasteht, indeß um ihn her gesprochen wird, hat Verwandtschaft mit Kaiser Rudolf. Auch die Neigung, die Last der Schuld auf mehrere Schultern (Pedro, Rodrigo) zu verteilen, der Kontrast zwischen den zwei Frauen Blanka und Maria sind originell grill- parzerisch, und merkwürdigerweise stimmt auch schon der erste dramatische Held des jungen Grillparzer die Klage um deu Verlust der Jugend an: Laß mich zum Kinde werden, Mann! Nimm alles, was ich habe, was ich bin, Laß mich zum Kinde werden! O der schönen, Der engelschönen Blütezeit des Lebens! Da lag mein heitres, kindliches Gemüt, Ein zart Gewebe ohne Falten, offen Vor jedes Menschen forschenden; Gesicht; Da hob ich rein die reinen Hand' empor, Nicht zum Vergelter, Richter, nein, zum Vater; Der Andacht Blume war mir aufgeschlossen, Da konnt' ich beten, Mann, da konnt ich beten! Da liebt' ich alles, was ich auf dem Pfade, Dem engbegrenzten, meines Wirkens fand, Wars eine Blume, wars ein Mensch; in beiden Fand ich nichts, als den zarten Widerhall Der reinen Harmonie, die aus des Herzens Geweihten Saiten himmlisch heilig hauchte. Des Zorns und Hasses tötliche Gefühle, Sie waren fremd der liebevollen Seele! Da konnt' ich noch den schönen Apfel teilen, Nach dem des Vrnders Aug' verlangend blickte, Ihn teilen oder ganz dem Teuern schenken! O kehre wieder, goldne, heilge Zeit! Das ist eine der lyrischen Prachtstellen der Dichtung, und wenn sie sonst nichts Merkwürdiges enthielte, als Denkmal sprachlicher Meisterschaft Grillparzers in einem Lebensalter, wo kein bekannter Genius noch etwas ähnliches geschaffen hat, ist die Veröffentlichung der „Blanka von Castilien" gerechtfertigt. Wie weit die deutsche Sprache durch die Thätigkeit unsrer Klassiker sich veredelt hat, ist hier sichtbar. Wie die Sprache von Goethes „Werther" ohne Klop- stock uicht denkbar ist, so auch die Sprache des jungen Grillparzer nicht ohne Schiller. Dies richtig erkannt zu haben ist Sauers Verdienst, Laube hat den literarhistorischen Wert des Stückes noch nicht zu würdigen gewußt. Für Grillparzer aber weit verhängnisvoller war, daß gerade derjenige Manu, dem er sein Werk anvertraute, keine tiefern Einsichten befaß und es rundweg als bühneminfähig ablehnte. Was die Folge war, erzählt Grillparzer in der Lebens¬ beschreibung: „Mir selbst fiel bei der Rückgabe meines Trauerspiels die Prophe¬ zeiung meines Vaters ein, und ich fühlte mich in dem Entschlüsse bestärkt, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/614>, abgerufen am 26.08.2024.