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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Grillparzer und seine Jugendtraum

schwache und feige König nieder. Graf Trastamaras siegreicher Einzug wird
verkündet.

Gruppirung und Charakteristik der Personen, Führung und Motivirung
der Handlung verraten noch den Anfänger. Auf der einen Seite Guzman
und Blanka, auf der andern Pedro und Maria; Guzmans guter Geist ist
Gomez, Petros böser Geist Rodrigo; dieselben Listen gebrauchen Gomez und
Rodrigo, um ihre Freunde zu überreden; auf der einen Seite das hellste Licht,
auf der andern rabenschwarzes Dunkel: alles ganz schematisch. Die Charaktere
aber schwanken in einem fort: zwischen ehelicher Pflicht und Liebe schwankt
Blanka hin und her, Guzman zwischen Vasallentreue und Leidenschaft, Pedro
zwischen Angst und Begier, zwischen Blanka und Maria; "mir ekelt vor dem
Anschaun dieses Mannweibs," sagt Maria von ihm. Aber auch sie fällt schlie߬
lich aus der Rolle. Nachdem sie die längste Zeit mit flammender Leidenschaft
den Untergang Blankas betrieben hat, bereut sie plötzlich nun ebenso leiden¬
schaftlich und will die schöne Unschuld gerettet sehen -- kurz, es geht recht
sentimental zu, und den Ausgang des Stückes bestimmt schließlich doch nur
der böse Zufall. Alle Personen sind außerordentlich beredt, sie tragen das
Herz auf der Zunge, machen häufig den Eindruck der Nervosität und lieben
starke Worte. So sagt Guzman im zweiten Akte, als er zu seiner Über¬
raschung die ihm untergebenen Soldaten aus dem Schloßhofe abziehen sieht,
was der mißtrauisch gewordne Pedro geheim angeordnet hatte:


Ha, teuflische Verräterci! Ich eile,
Sie zum Gehorsam zurückzudonnernl

Oder Rodrigo erteilt den Befehl, den geheimen Unterhändler Trastamaras ge¬
fangen zu setzen, mit folgenden Worten:


Führet schnell ihn fort,
Daß in des tiefsten Kerkers Höllennacht
Er seinen teuflischen Verrat bereue,
Bei kahlen Schädeln früherer Bewohner
Der blutgen Reue öffne seine Brust
Und in der morschen Totenknochen Klappern
Sein eignes grosses Schicksal schaudernd lese.

Tod, Hölle, Teufel, Tugend und Sünde werden überhaupt sehr in Anspruch
genommen, ganz so wie in Schillers Jugendwerken. Nach dem Muster der
"eilenden Wolken, Segler der Lüfte," die Maria Stuart anruft, schwärmt
Blanka im ersten Akt:


Wo Quellen, rein wie seines Volkes Herzen
Und ungefärbt vom Blut erschlaguer Brüder
Die heitern Himmclsflurcn kühlend tränken,
Wo sanfter strahlt der goldnen Sonne Antlitz,
Und eine andre, schönere Natur
Den reichen Segensmantel uns entfaltet!

Grillparzer und seine Jugendtraum

schwache und feige König nieder. Graf Trastamaras siegreicher Einzug wird
verkündet.

Gruppirung und Charakteristik der Personen, Führung und Motivirung
der Handlung verraten noch den Anfänger. Auf der einen Seite Guzman
und Blanka, auf der andern Pedro und Maria; Guzmans guter Geist ist
Gomez, Petros böser Geist Rodrigo; dieselben Listen gebrauchen Gomez und
Rodrigo, um ihre Freunde zu überreden; auf der einen Seite das hellste Licht,
auf der andern rabenschwarzes Dunkel: alles ganz schematisch. Die Charaktere
aber schwanken in einem fort: zwischen ehelicher Pflicht und Liebe schwankt
Blanka hin und her, Guzman zwischen Vasallentreue und Leidenschaft, Pedro
zwischen Angst und Begier, zwischen Blanka und Maria; „mir ekelt vor dem
Anschaun dieses Mannweibs," sagt Maria von ihm. Aber auch sie fällt schlie߬
lich aus der Rolle. Nachdem sie die längste Zeit mit flammender Leidenschaft
den Untergang Blankas betrieben hat, bereut sie plötzlich nun ebenso leiden¬
schaftlich und will die schöne Unschuld gerettet sehen — kurz, es geht recht
sentimental zu, und den Ausgang des Stückes bestimmt schließlich doch nur
der böse Zufall. Alle Personen sind außerordentlich beredt, sie tragen das
Herz auf der Zunge, machen häufig den Eindruck der Nervosität und lieben
starke Worte. So sagt Guzman im zweiten Akte, als er zu seiner Über¬
raschung die ihm untergebenen Soldaten aus dem Schloßhofe abziehen sieht,
was der mißtrauisch gewordne Pedro geheim angeordnet hatte:


Ha, teuflische Verräterci! Ich eile,
Sie zum Gehorsam zurückzudonnernl

Oder Rodrigo erteilt den Befehl, den geheimen Unterhändler Trastamaras ge¬
fangen zu setzen, mit folgenden Worten:


Führet schnell ihn fort,
Daß in des tiefsten Kerkers Höllennacht
Er seinen teuflischen Verrat bereue,
Bei kahlen Schädeln früherer Bewohner
Der blutgen Reue öffne seine Brust
Und in der morschen Totenknochen Klappern
Sein eignes grosses Schicksal schaudernd lese.

Tod, Hölle, Teufel, Tugend und Sünde werden überhaupt sehr in Anspruch
genommen, ganz so wie in Schillers Jugendwerken. Nach dem Muster der
„eilenden Wolken, Segler der Lüfte," die Maria Stuart anruft, schwärmt
Blanka im ersten Akt:


Wo Quellen, rein wie seines Volkes Herzen
Und ungefärbt vom Blut erschlaguer Brüder
Die heitern Himmclsflurcn kühlend tränken,
Wo sanfter strahlt der goldnen Sonne Antlitz,
Und eine andre, schönere Natur
Den reichen Segensmantel uns entfaltet!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/612>, abgerufen am 25.08.2024.