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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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(örillparzer und seine Jugendtraum

angebornen Blick für theatralische Wirkung. In der "Blanka" steht er noch
ganz in dein Banne der glänzenden Schillerschen Rhetorik, des hinreißenden
Schillerschen Idealismus. In zwei einaktigen Stücken merkt man den Einfluß
Ifflands. "Die Schreibfeder, ein Schauspiel," ist ein Rührstück, dessen Komik
freilich für uns wirksamer geblieben ist als die Rührung. Aber merkwürdig
gewandt ist die Führung des Dialogs, köstlich die Charakteristik eines alten
Polterers und Hitzkopfs, vortrefflich die Kontrastirung desselben mit einen:
Gewohnheitsschwätzer, der die andern nie zu Worte kommen läßt. Anmutig
ist das kleine Lustspiel "Wer ist schuldig?", in Alexandrinern, wo ganz im
Geschmacke der Zeit sich ein junges Ehepaar in einem Zankduett austobt,
das die Schwächen der Männer und Weiber munter durchhechelt. Hier ist
der Dramatiker noch nicht fertig, denn die Personen sprechen mehr zum
Publikum als zu einander. Ein Ausfall gegen die modische Verehrung alt¬
deutscher Sitte ist besonders merkwürdig, da sich der spätere Grillparzer der¬
gleichen Anspielungen auf Zeitereignisse nie mehr erlaubte. Den Titel "Monsieur"
auf Briefen lehnt der Ehemann Holl mit den Worten ab:


Der Nam' ist mir verhaßt,
Ein Ekel hat mich stets bei seinem Schall erfaßt.
O nehmet eure Gaben alle doch zurück, ihr Franken;
Ton, Sitten, Sprach' und was wir immer euch verdanken.
Germanien sank durch sie herab von seiner Höh',
Der Deutsche war ein Mann, jetzt ist er ein Monsieur.

Seine Frau erwidert darauf:


So hört man überall die zarten Herrchen klagen.
Seid deutsche Männer erst, wollt ihr den Namen tragen!
Ahmt nach der Väter Thun, seid bieder, treu und rein,
Ehrt Weib und Vaterland, wenn ihr wollt Deutsche sein! n, s. w.

Solcher Zeugnisse auf die nicht bloß äußerliche Teilnahme des jungeu Grill¬
parzer an den Strömungen seiner Zeit bieten seine Versuche eine überraschende
Menge, Zeugnisse von hohem poetischen Werte, wie wir noch sehen werden-
Das bedeutendste Werk dieser Periode aber ist "Blanka von Castilien," an der
Grillparzer mehrere Jahre seines Lebens arbeitete, in der er sämtliche Stil-
gattungen seines zu dieser Zeit leidenschaftlich geliebten Schiller zu vereinigen
bestrebt war, wie Sauer in seiner gehaltvollen biographisch-kritischen Einleitung
zur Gesamtausgabe bemerkt, und über deren allzu große Ähnlichkeit mit Schillers
"Don Carlos" der junge Dichter sich schließlich selbst am meisten ärgerte.
Sauer fügt noch treffend hinzu, daß der Held dieses Trauerspiels, Fedrikv
Guzman, Großmeister des Ordens von Sand Jago, Marquis Posa und Don
Carlos in einer Person sei.

Auch hier ein düsterer Despot, der grausame Pedro, und ein schwärmerisch
idealistischer Gegner, Guzman. Zwischen beiden ein passives Weib, die schöne


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angebornen Blick für theatralische Wirkung. In der „Blanka" steht er noch
ganz in dein Banne der glänzenden Schillerschen Rhetorik, des hinreißenden
Schillerschen Idealismus. In zwei einaktigen Stücken merkt man den Einfluß
Ifflands. „Die Schreibfeder, ein Schauspiel," ist ein Rührstück, dessen Komik
freilich für uns wirksamer geblieben ist als die Rührung. Aber merkwürdig
gewandt ist die Führung des Dialogs, köstlich die Charakteristik eines alten
Polterers und Hitzkopfs, vortrefflich die Kontrastirung desselben mit einen:
Gewohnheitsschwätzer, der die andern nie zu Worte kommen läßt. Anmutig
ist das kleine Lustspiel „Wer ist schuldig?", in Alexandrinern, wo ganz im
Geschmacke der Zeit sich ein junges Ehepaar in einem Zankduett austobt,
das die Schwächen der Männer und Weiber munter durchhechelt. Hier ist
der Dramatiker noch nicht fertig, denn die Personen sprechen mehr zum
Publikum als zu einander. Ein Ausfall gegen die modische Verehrung alt¬
deutscher Sitte ist besonders merkwürdig, da sich der spätere Grillparzer der¬
gleichen Anspielungen auf Zeitereignisse nie mehr erlaubte. Den Titel „Monsieur"
auf Briefen lehnt der Ehemann Holl mit den Worten ab:


Der Nam' ist mir verhaßt,
Ein Ekel hat mich stets bei seinem Schall erfaßt.
O nehmet eure Gaben alle doch zurück, ihr Franken;
Ton, Sitten, Sprach' und was wir immer euch verdanken.
Germanien sank durch sie herab von seiner Höh',
Der Deutsche war ein Mann, jetzt ist er ein Monsieur.

Seine Frau erwidert darauf:


So hört man überall die zarten Herrchen klagen.
Seid deutsche Männer erst, wollt ihr den Namen tragen!
Ahmt nach der Väter Thun, seid bieder, treu und rein,
Ehrt Weib und Vaterland, wenn ihr wollt Deutsche sein! n, s. w.

Solcher Zeugnisse auf die nicht bloß äußerliche Teilnahme des jungeu Grill¬
parzer an den Strömungen seiner Zeit bieten seine Versuche eine überraschende
Menge, Zeugnisse von hohem poetischen Werte, wie wir noch sehen werden-
Das bedeutendste Werk dieser Periode aber ist „Blanka von Castilien," an der
Grillparzer mehrere Jahre seines Lebens arbeitete, in der er sämtliche Stil-
gattungen seines zu dieser Zeit leidenschaftlich geliebten Schiller zu vereinigen
bestrebt war, wie Sauer in seiner gehaltvollen biographisch-kritischen Einleitung
zur Gesamtausgabe bemerkt, und über deren allzu große Ähnlichkeit mit Schillers
„Don Carlos" der junge Dichter sich schließlich selbst am meisten ärgerte.
Sauer fügt noch treffend hinzu, daß der Held dieses Trauerspiels, Fedrikv
Guzman, Großmeister des Ordens von Sand Jago, Marquis Posa und Don
Carlos in einer Person sei.

Auch hier ein düsterer Despot, der grausame Pedro, und ein schwärmerisch
idealistischer Gegner, Guzman. Zwischen beiden ein passives Weib, die schöne


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[0610] (örillparzer und seine Jugendtraum angebornen Blick für theatralische Wirkung. In der „Blanka" steht er noch ganz in dein Banne der glänzenden Schillerschen Rhetorik, des hinreißenden Schillerschen Idealismus. In zwei einaktigen Stücken merkt man den Einfluß Ifflands. „Die Schreibfeder, ein Schauspiel," ist ein Rührstück, dessen Komik freilich für uns wirksamer geblieben ist als die Rührung. Aber merkwürdig gewandt ist die Führung des Dialogs, köstlich die Charakteristik eines alten Polterers und Hitzkopfs, vortrefflich die Kontrastirung desselben mit einen: Gewohnheitsschwätzer, der die andern nie zu Worte kommen läßt. Anmutig ist das kleine Lustspiel „Wer ist schuldig?", in Alexandrinern, wo ganz im Geschmacke der Zeit sich ein junges Ehepaar in einem Zankduett austobt, das die Schwächen der Männer und Weiber munter durchhechelt. Hier ist der Dramatiker noch nicht fertig, denn die Personen sprechen mehr zum Publikum als zu einander. Ein Ausfall gegen die modische Verehrung alt¬ deutscher Sitte ist besonders merkwürdig, da sich der spätere Grillparzer der¬ gleichen Anspielungen auf Zeitereignisse nie mehr erlaubte. Den Titel „Monsieur" auf Briefen lehnt der Ehemann Holl mit den Worten ab: Der Nam' ist mir verhaßt, Ein Ekel hat mich stets bei seinem Schall erfaßt. O nehmet eure Gaben alle doch zurück, ihr Franken; Ton, Sitten, Sprach' und was wir immer euch verdanken. Germanien sank durch sie herab von seiner Höh', Der Deutsche war ein Mann, jetzt ist er ein Monsieur. Seine Frau erwidert darauf: So hört man überall die zarten Herrchen klagen. Seid deutsche Männer erst, wollt ihr den Namen tragen! Ahmt nach der Väter Thun, seid bieder, treu und rein, Ehrt Weib und Vaterland, wenn ihr wollt Deutsche sein! n, s. w. Solcher Zeugnisse auf die nicht bloß äußerliche Teilnahme des jungeu Grill¬ parzer an den Strömungen seiner Zeit bieten seine Versuche eine überraschende Menge, Zeugnisse von hohem poetischen Werte, wie wir noch sehen werden- Das bedeutendste Werk dieser Periode aber ist „Blanka von Castilien," an der Grillparzer mehrere Jahre seines Lebens arbeitete, in der er sämtliche Stil- gattungen seines zu dieser Zeit leidenschaftlich geliebten Schiller zu vereinigen bestrebt war, wie Sauer in seiner gehaltvollen biographisch-kritischen Einleitung zur Gesamtausgabe bemerkt, und über deren allzu große Ähnlichkeit mit Schillers „Don Carlos" der junge Dichter sich schließlich selbst am meisten ärgerte. Sauer fügt noch treffend hinzu, daß der Held dieses Trauerspiels, Fedrikv Guzman, Großmeister des Ordens von Sand Jago, Marquis Posa und Don Carlos in einer Person sei. Auch hier ein düsterer Despot, der grausame Pedro, und ein schwärmerisch idealistischer Gegner, Guzman. Zwischen beiden ein passives Weib, die schöne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/610>, abgerufen am 25.08.2024.