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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Das adliche und das bürgerliche Element im deutschen l^eere

destruktive und anarchische Bestandteile sofort ausscheiden und aus seiner
Mitte entfernen, wenn es nicht an seiner eignen Zerstörung arbeiten und zum
Parlamentshecr herabsinken will, zu einem Heere, das in seinen materiellen wie
in seinen moralischen Existenzbedinglliigeli von dem Belieben der jeweiligen Parla¬
mentsmehrheit abhängig, keine der Voraussetzungen in sich trägt, die ein Heer zur
vollen Entfaltung seiner Kräfte befähigen. Von diesen beiden Aufgaben fällt die
letztere dem im Heere vertretenen ndelichen, die erstere dem bürgerlichen Elemente zu.

So birgt das deutsche Heer in sich selbst die Elemente, ans denen es
sein Wachstum zieht und die es vor der Zersetzung bewahren. Die Wechsel¬
wirkung beider auf einander ist eine unbewußte, aber eine ununterbrochene,
eine immer gedeihliche und förderliche, und wird es anch bleiben, da beide
Teile in der Ausübung ihrer Pflichten zum Heile des Ganzen sich die Hände
reichen und durch die im preußischen, beziehentlich deutschen Heere sprichwörtlich
gewordne, beiden Teilen gemeinsame altprenßischc Gewissenhaftigkeit, Hingebung,
Treue und Opferfreudigkeit mit einander verbunden sind. Mit dieser Vereinigung
entgegengesetzter, scheinbar oder anch in Wirklichkeit sonst sich widerstreitender
Eigenschaften bietet übrigens das heutige deutsche Heer ein Spiegelbild des
Mannes, dem die Nation nächst ihrem ersten Kaiser alles zu verdanken hat --
unsers Reichskanzlers.

Aus dem Bisherigen dürfte sich ergebe", daß von einem Antagonismus
beider Elemente im deutschen Heere, welcher die Unterordnung des einen uuter
das andre in absehbarer Ferne zur Folge haben könnte, nicht die Rede sein
kann; beide Teile dienen den Zwecken des Heeres, beide sind ihm unentbehrlich,
jeder muß von den Eigenschaften des andern annehmen, und wem: voll einem
Ergebnis dieses Verschmelzungsprozesses die Rede sein kann, so kann es nur
darin bestehen, daß die Unterscheidung zwischen adlichen und bürgerlichen Offi¬
zieren bezüglich der Berechtigung, der Aussicht beider sich innerhalb des Heeres
allmählich verwischen wird, wenn jeder der beiden Teile neben den seinigen
zugleich etwas von den Eigenschaften und Fähigkeiten des anderen angenommen
haben wird. Es wäre dies nicht der einzige Fall, wo außerhalb des Heeres
bestehende Differenzen keinen Eingang innerhalb desselben gesunden haben; ich
erinnere nur an den Kulturkampf. Dieser hat sich zu der Zeit, wo seine Wogen
am höchsten gingen, wo Familien- und Freundschaftsbande durch ihn erschüttert
wurden, nirgends im Heere fühlbar gemacht.

Wirft man die Frage auf, auf welcher Stufe sich augenblicklich der Aus¬
gleichungsprozeß befindet, der zur Gleichberechtigung beider Elemente im Heere
zu führen bestimmt ist, fo berührt man damit eine andre Frage, die schon
der Freisinn im Reichstage -- natürlich in seiner Weise -- angeregt hat.
Diese Frage lautet: Sind thatsächlich die höheren Stellen im deutschen Heere
auch in den Händen bürgerlicher Offiziere? Und diese Frage ist mit Aus¬
nahme der kommandirenden Generale für das deutsche Heer zu bejahen. In


Das adliche und das bürgerliche Element im deutschen l^eere

destruktive und anarchische Bestandteile sofort ausscheiden und aus seiner
Mitte entfernen, wenn es nicht an seiner eignen Zerstörung arbeiten und zum
Parlamentshecr herabsinken will, zu einem Heere, das in seinen materiellen wie
in seinen moralischen Existenzbedinglliigeli von dem Belieben der jeweiligen Parla¬
mentsmehrheit abhängig, keine der Voraussetzungen in sich trägt, die ein Heer zur
vollen Entfaltung seiner Kräfte befähigen. Von diesen beiden Aufgaben fällt die
letztere dem im Heere vertretenen ndelichen, die erstere dem bürgerlichen Elemente zu.

So birgt das deutsche Heer in sich selbst die Elemente, ans denen es
sein Wachstum zieht und die es vor der Zersetzung bewahren. Die Wechsel¬
wirkung beider auf einander ist eine unbewußte, aber eine ununterbrochene,
eine immer gedeihliche und förderliche, und wird es anch bleiben, da beide
Teile in der Ausübung ihrer Pflichten zum Heile des Ganzen sich die Hände
reichen und durch die im preußischen, beziehentlich deutschen Heere sprichwörtlich
gewordne, beiden Teilen gemeinsame altprenßischc Gewissenhaftigkeit, Hingebung,
Treue und Opferfreudigkeit mit einander verbunden sind. Mit dieser Vereinigung
entgegengesetzter, scheinbar oder anch in Wirklichkeit sonst sich widerstreitender
Eigenschaften bietet übrigens das heutige deutsche Heer ein Spiegelbild des
Mannes, dem die Nation nächst ihrem ersten Kaiser alles zu verdanken hat —
unsers Reichskanzlers.

Aus dem Bisherigen dürfte sich ergebe», daß von einem Antagonismus
beider Elemente im deutschen Heere, welcher die Unterordnung des einen uuter
das andre in absehbarer Ferne zur Folge haben könnte, nicht die Rede sein
kann; beide Teile dienen den Zwecken des Heeres, beide sind ihm unentbehrlich,
jeder muß von den Eigenschaften des andern annehmen, und wem: voll einem
Ergebnis dieses Verschmelzungsprozesses die Rede sein kann, so kann es nur
darin bestehen, daß die Unterscheidung zwischen adlichen und bürgerlichen Offi¬
zieren bezüglich der Berechtigung, der Aussicht beider sich innerhalb des Heeres
allmählich verwischen wird, wenn jeder der beiden Teile neben den seinigen
zugleich etwas von den Eigenschaften und Fähigkeiten des anderen angenommen
haben wird. Es wäre dies nicht der einzige Fall, wo außerhalb des Heeres
bestehende Differenzen keinen Eingang innerhalb desselben gesunden haben; ich
erinnere nur an den Kulturkampf. Dieser hat sich zu der Zeit, wo seine Wogen
am höchsten gingen, wo Familien- und Freundschaftsbande durch ihn erschüttert
wurden, nirgends im Heere fühlbar gemacht.

Wirft man die Frage auf, auf welcher Stufe sich augenblicklich der Aus¬
gleichungsprozeß befindet, der zur Gleichberechtigung beider Elemente im Heere
zu führen bestimmt ist, fo berührt man damit eine andre Frage, die schon
der Freisinn im Reichstage — natürlich in seiner Weise — angeregt hat.
Diese Frage lautet: Sind thatsächlich die höheren Stellen im deutschen Heere
auch in den Händen bürgerlicher Offiziere? Und diese Frage ist mit Aus¬
nahme der kommandirenden Generale für das deutsche Heer zu bejahen. In


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/14>, abgerufen am 28.09.2024.