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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und die Südafrikanische Republik

Europäer, selbst schwere Arbeit im Freien zu verrichten, ja man halt sie selbst
für dienlich gegen Lungenleiden, was namentlich vom Trnnsvaallande gilt.
Unter den 415)600 Einwohnern beider Staaten (wir runden die Zahlen hier
ab) befinden sich 136200 Weiße, von denen 75000 in der südafrikanischen
Republik und "1000 im Oranje-Freistaat wohnen. Die 372300 Farbigen
gehören zum großen Volke der Bauens, das wieder in die Stämme der
Betschuanen und der Kaffern zerfällt. Die meisten sind fleißige Ackerbauer
und Viehzüchter, einige auch, z. B. die Baralongs, geschickte Gerber und
Kürschner. Die weiße Bevölkerung besteht größtenteils aus Boers, namentlich
aus dem Lande, wo sie nach unserm Buche den Bauern unsrer Mittel- und
süddeutschen Bauern (man sollte nach ihrer Abkunft eher an norddeutsche denken)
ähneln. Es sind durchschnittlich hochgewachsene, sehr kräftig gebaute Leute,
deren schlichte altertümliche Sitten und Einrichtungen an anderwärts ver¬
gangene Jahrhunderte erinnern, und die sich durch Religiosität auszeichnen.
Tüchtige Viehzüchter und Ackerbauer, sind sie, wenn sie zu den Waffen gerufen
werden, um ihr Recht und ihre Freiheit zu verteidigen, auch wackere Kriegs¬
leute, besonders treffliche Schützen. Die außerhalb der Städte lebenden Boers
gehen den Engländern möglichst aus dein Wege, in den Städten, wo die Eng¬
länder stärker vertreten sind, und wo alle höheren Bildungsanstalten sich in
deren Händen befinden, läßt sich das nicht wohl durchführen. Die Regierung
wird in beiden Staaten von je einem auf fünf Jahre gewählten Präsidenten
geführt, der mit den Vorständen der einzelnen Regierungsabteilungen sowie den
Landdrosten und Heemraden den ausführenden Rat bildet, neben dein die Gesetz¬
gebung vom Volksrate besorgt wird. Die Gerechtigkeitspflege wird in erster
Instanz von den Landdrosten wahrgenommen, die als Richter und zugleich als
Verwaltungsbeamte wirken, und denen Landdrvsteischreiber mit der Befugnis
von Friedensrichtern beigeordnet sind. Schwere Verbrechen werden vor Schwur¬
gerichte verwiesen, die in jedem Bezirk von Zeit zu Zeit zusammentreten, und
bei denen ein Mitglied des Obergerichts in Pretoria, der Hauptstadt, den
Vorsitz führt, welches gleichzeitig als zweite Instanz in Zivilprozessen das
Urteil abgiebt. Dritte Instanz für diese ist jenes Obergericht. "Feldkornetten"
sind als Polizei und Gendarmerie thätig. Für die Farbigen besteht die Prügel¬
strafe, die namentlich bei Viehdiebstählen angewendet wird. Der farbige Knecht
wird von den Boers streng behandelt, befindet sich dabei aber nicht übel. Er
vermietet sich für bestimmte Zeit und erhält als Lohn freie Kost und ein
Stück Vieh. Andre verdienen sich Geld durch vertragsmäßige Arbeiten als
Maurer und Zimmerleute bei Häuserbauten und Dämmen oder bei Trans¬
porten. Das Gesetz verbietet ihnen den Erwerb von Grund und Boden und
räumt ihnen auch kein Stimmrecht ein. Erziehung, Zwang der Trägen zur
Arbeit, Verbot der Vielweiberei und Einschränkung des Branntweingenusses
werden die sittlichen Zustände dieser Klasse, die im allgemeinen nicht viel


Deutschland und die Südafrikanische Republik

Europäer, selbst schwere Arbeit im Freien zu verrichten, ja man halt sie selbst
für dienlich gegen Lungenleiden, was namentlich vom Trnnsvaallande gilt.
Unter den 415)600 Einwohnern beider Staaten (wir runden die Zahlen hier
ab) befinden sich 136200 Weiße, von denen 75000 in der südafrikanischen
Republik und «1000 im Oranje-Freistaat wohnen. Die 372300 Farbigen
gehören zum großen Volke der Bauens, das wieder in die Stämme der
Betschuanen und der Kaffern zerfällt. Die meisten sind fleißige Ackerbauer
und Viehzüchter, einige auch, z. B. die Baralongs, geschickte Gerber und
Kürschner. Die weiße Bevölkerung besteht größtenteils aus Boers, namentlich
aus dem Lande, wo sie nach unserm Buche den Bauern unsrer Mittel- und
süddeutschen Bauern (man sollte nach ihrer Abkunft eher an norddeutsche denken)
ähneln. Es sind durchschnittlich hochgewachsene, sehr kräftig gebaute Leute,
deren schlichte altertümliche Sitten und Einrichtungen an anderwärts ver¬
gangene Jahrhunderte erinnern, und die sich durch Religiosität auszeichnen.
Tüchtige Viehzüchter und Ackerbauer, sind sie, wenn sie zu den Waffen gerufen
werden, um ihr Recht und ihre Freiheit zu verteidigen, auch wackere Kriegs¬
leute, besonders treffliche Schützen. Die außerhalb der Städte lebenden Boers
gehen den Engländern möglichst aus dein Wege, in den Städten, wo die Eng¬
länder stärker vertreten sind, und wo alle höheren Bildungsanstalten sich in
deren Händen befinden, läßt sich das nicht wohl durchführen. Die Regierung
wird in beiden Staaten von je einem auf fünf Jahre gewählten Präsidenten
geführt, der mit den Vorständen der einzelnen Regierungsabteilungen sowie den
Landdrosten und Heemraden den ausführenden Rat bildet, neben dein die Gesetz¬
gebung vom Volksrate besorgt wird. Die Gerechtigkeitspflege wird in erster
Instanz von den Landdrosten wahrgenommen, die als Richter und zugleich als
Verwaltungsbeamte wirken, und denen Landdrvsteischreiber mit der Befugnis
von Friedensrichtern beigeordnet sind. Schwere Verbrechen werden vor Schwur¬
gerichte verwiesen, die in jedem Bezirk von Zeit zu Zeit zusammentreten, und
bei denen ein Mitglied des Obergerichts in Pretoria, der Hauptstadt, den
Vorsitz führt, welches gleichzeitig als zweite Instanz in Zivilprozessen das
Urteil abgiebt. Dritte Instanz für diese ist jenes Obergericht. „Feldkornetten"
sind als Polizei und Gendarmerie thätig. Für die Farbigen besteht die Prügel¬
strafe, die namentlich bei Viehdiebstählen angewendet wird. Der farbige Knecht
wird von den Boers streng behandelt, befindet sich dabei aber nicht übel. Er
vermietet sich für bestimmte Zeit und erhält als Lohn freie Kost und ein
Stück Vieh. Andre verdienen sich Geld durch vertragsmäßige Arbeiten als
Maurer und Zimmerleute bei Häuserbauten und Dämmen oder bei Trans¬
porten. Das Gesetz verbietet ihnen den Erwerb von Grund und Boden und
räumt ihnen auch kein Stimmrecht ein. Erziehung, Zwang der Trägen zur
Arbeit, Verbot der Vielweiberei und Einschränkung des Branntweingenusses
werden die sittlichen Zustände dieser Klasse, die im allgemeinen nicht viel


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[0126] Deutschland und die Südafrikanische Republik Europäer, selbst schwere Arbeit im Freien zu verrichten, ja man halt sie selbst für dienlich gegen Lungenleiden, was namentlich vom Trnnsvaallande gilt. Unter den 415)600 Einwohnern beider Staaten (wir runden die Zahlen hier ab) befinden sich 136200 Weiße, von denen 75000 in der südafrikanischen Republik und «1000 im Oranje-Freistaat wohnen. Die 372300 Farbigen gehören zum großen Volke der Bauens, das wieder in die Stämme der Betschuanen und der Kaffern zerfällt. Die meisten sind fleißige Ackerbauer und Viehzüchter, einige auch, z. B. die Baralongs, geschickte Gerber und Kürschner. Die weiße Bevölkerung besteht größtenteils aus Boers, namentlich aus dem Lande, wo sie nach unserm Buche den Bauern unsrer Mittel- und süddeutschen Bauern (man sollte nach ihrer Abkunft eher an norddeutsche denken) ähneln. Es sind durchschnittlich hochgewachsene, sehr kräftig gebaute Leute, deren schlichte altertümliche Sitten und Einrichtungen an anderwärts ver¬ gangene Jahrhunderte erinnern, und die sich durch Religiosität auszeichnen. Tüchtige Viehzüchter und Ackerbauer, sind sie, wenn sie zu den Waffen gerufen werden, um ihr Recht und ihre Freiheit zu verteidigen, auch wackere Kriegs¬ leute, besonders treffliche Schützen. Die außerhalb der Städte lebenden Boers gehen den Engländern möglichst aus dein Wege, in den Städten, wo die Eng¬ länder stärker vertreten sind, und wo alle höheren Bildungsanstalten sich in deren Händen befinden, läßt sich das nicht wohl durchführen. Die Regierung wird in beiden Staaten von je einem auf fünf Jahre gewählten Präsidenten geführt, der mit den Vorständen der einzelnen Regierungsabteilungen sowie den Landdrosten und Heemraden den ausführenden Rat bildet, neben dein die Gesetz¬ gebung vom Volksrate besorgt wird. Die Gerechtigkeitspflege wird in erster Instanz von den Landdrosten wahrgenommen, die als Richter und zugleich als Verwaltungsbeamte wirken, und denen Landdrvsteischreiber mit der Befugnis von Friedensrichtern beigeordnet sind. Schwere Verbrechen werden vor Schwur¬ gerichte verwiesen, die in jedem Bezirk von Zeit zu Zeit zusammentreten, und bei denen ein Mitglied des Obergerichts in Pretoria, der Hauptstadt, den Vorsitz führt, welches gleichzeitig als zweite Instanz in Zivilprozessen das Urteil abgiebt. Dritte Instanz für diese ist jenes Obergericht. „Feldkornetten" sind als Polizei und Gendarmerie thätig. Für die Farbigen besteht die Prügel¬ strafe, die namentlich bei Viehdiebstählen angewendet wird. Der farbige Knecht wird von den Boers streng behandelt, befindet sich dabei aber nicht übel. Er vermietet sich für bestimmte Zeit und erhält als Lohn freie Kost und ein Stück Vieh. Andre verdienen sich Geld durch vertragsmäßige Arbeiten als Maurer und Zimmerleute bei Häuserbauten und Dämmen oder bei Trans¬ porten. Das Gesetz verbietet ihnen den Erwerb von Grund und Boden und räumt ihnen auch kein Stimmrecht ein. Erziehung, Zwang der Trägen zur Arbeit, Verbot der Vielweiberei und Einschränkung des Branntweingenusses werden die sittlichen Zustände dieser Klasse, die im allgemeinen nicht viel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/126>, abgerufen am 28.09.2024.